Die Musiktheater Moskaus geben eins nach dem anderen ihre Pläne für die kommende Spielzeit bekannt. Wladimir Urin, Generaldirektor des Bolschoi-Theaters, hat den Mitarbeitern ein Rundschreiben gesandt. Als Alternative zum Treffen der gesamten Truppe werden die Mitarbeiter der „Helikon-Oper“ dennoch zusammenkommen, doch anstelle des traditionellen Wettbewerbs um die besten Speisen wurde ein Wettbewerb um die schönste Maske ausgeschrieben. Und die „Neue Oper“ spielt bereits und die Eintrittskarten für die ersten Aufführungen sind mit seltenen Ausnahmen ausverkauft.
Die letzte Anordnung der russischen Hygieneaufsicht Rospotrebnadzor für Moskau erlaubt Massen- und Chorszenen im Theater, doch der Spielplan der „Neuen Oper“ ist vor Veröffentlichung dieses wichtigen Dokuments erstellt worden. Daher umfasst das August-Repertoire nur ganze zwei Opernaufführungen, die keine Zusammenballung von Künstlern auf der Bühne erfordern: Rossinis „Barbier von Sevilla“ und Brittens „Die Schändung der Lucretia“. Ja, aber im September wird es sozusagen Opern-Schwergewichte geben – „Fürst Igor“, „Schneeflöckchen“, „La Traviata“, „Rigoletto“ und „Madame Butterfly“.
Das Stanislawskij-Nemirowitsch-Dantschenko-Musiktheater eröffnet die Spielzeit mit zwei Gala-Konzerten, die im Frühjahr aufgrund der Coronavirus-Pandemie abgesagt werden mussten. Dies sind eine Opern- und eine Ballett-Gala zum 180. Geburtstag von Tschaikowskij. Auf dem Programm „Tschaikowskij. Opern-Leidenschaften“ (am 4. September) stehen Fragmente aus allen zehn Opern des Komponisten (einschließlich der unvollendeten „Undine“), an deren Aufführung die besten Solisten der Truppe – Jelena Besgodkowa, Natalia Muradymowa, Natalia Petroschizkaja, Daria Terechowa, Andrej Baturkin, Wladimir Dmitruk, Nikolaj Jerochin, Alexej Schischljajew und Dmitrij Uljanow — teilnehmen werden. „Wir haben bewusst versucht, das Programm mit Fragmenten, Szenen, Arien und Ensembleszenen aus jenen Werken zu bilden, die nicht im Repertoire der Moskauer Theater sind. Wir wollten gern einen anderen Tschaikowskij zu sehen bekommen“, heißt es in einem Kommentar von Felix Korobow, Chefdirigent des Theaters, in einer Pressemitteilung. „Nicht den gewohnten und von den Solisten und Hörern auswendig gekannten, sondern jenen Tschaikowskij, der „Eugen Onegin“ in San Remo beendet und „Pique Dame“ in Florenz beginnt. Jenen, der nach Amerika fährt, um die Carnegie Hall zu eröffnen (Tschaikowskij dirigierte das Konzert zur Eröffnung der New Yorker Konzerthalle 1891 – Anmerkung der Redaktion). Man möchte nicht gern einfach ein Porträt an der Wand im Großen Saal des (Moskauer) Konservatoriums sehen, kein Jubiläumsprofil auf einer sowjetischen Münze und Briefmarke, sondern einen lebendigen Menschen – einen nicht ganz gewöhnlichen, aber phantastisch aufrichtigen und absolut genialen.“ In der erwähnten Pressemitteilung lüftet das Theater auch den Schleier hinsichtlich der Pläne für die kommende Spielzeit, zu denen unter anderem die Premiere von „Jolanthe“ in einer Inszenierung von Michail Bytschkow, künstlerischer Leiter des Woronescher Kammertheaters, gehört (dies ist nach „Werther“ seine zweite Inszenierung im Theater).
Entsprechend der Idee des Leiters der Balletttruppe des Stanislawskij-Nemirowitsch-Dantschenko-Musiktheaters, des Franzosen Laurent Hilaire, ist die Ballett-Gala (10. September), „indem sie verschiedene Schulen, Stile sowie die westliche und russische Klassik vereint, bereit zu bekräftigen, dass die Kunst die Welt vereint“. Hier wird es Fragmente geben aus „Paquita“ und „Dornröschen“ in der Choreographie von Marius Petipa, „Laurentia“ (Wachtang Tschabukiani), Arbeiten der modernen Choreographen Mauro Bigonzetti (Italien) und Roland Petit (Frankreich), aber auch als ein Zeichen der Unterstützung für junge Spezialisten ein Fragment aus dem Ballett „Romeo und Julia“ in einer Inszenierung des Solisten der eigenen Truppe und Choreographen Maxim Sewagin. Abgerundet wird die Tschaikowskij-Hommage im Spielplan durch die Visitenkarte des Theaters, durch das Ballett „Schwanensee“ in einer Inszenierung von Wladimir Burmeister (am 13. und 14. September).
Die „Helikon-Oper“ beginnt die neue Spielzeit mit einer Premiere der Alexander-Dargomyschskij-Oper „Der steinerne Gast“ – in den Operntheatern kein häufiger Gast (freilich wird dieses Werk auf der Neuen Bühne des Bolschoi-Theaters gezeigt), doch aufgrund der kleinen Zusammensetzung ein angebrachter und sogar passender unter den gebotenen Umständen. Die Inszenierung besorgt der künstlerische Leiter des Theaters, Dmitrij Bertman, der bei der für den 17. August geplanten großen Zusammenkunft der Truppe auch die Pläne für die gesamte Spielzeit verkünden wird.
Und schließlich das Bolschoi-Theater. Es startet grandios. Und die von Wladimir Urin verkündeten Pläne sind entsprechende. Am 6. und 8. September werden Anna Netrebko, Ildar Abdrasakow und Yusif Aivazov in der Verdi-Oper „Don Carlos“ auftreten. Anna Netrebko an sich wird auch in zwei Premieren des Hauses agieren – in der bereits seit langem angekündigten Co-Produktion mit der Metropolitan Opera „Salome“ von Richard Strauss in der Regie des Deutschen Claus Guth (Premiere ist für den 25. Februar 2021 angekündigt worden – Anmerkung der Redaktion) und in „Tosca“ von Giacomo Puccini. Auf den Opern-Plänen des Bolschois stehen auch „Ariodante“ von Händel und „Mazeppa“ von Tschaikowskij (die Premieren sind bewusst auf den Winter, das Frühjahr und den Sommer verlegt worden, um die Künstler gleich nach der Coronavirus-Isolationszeit nicht mit Proben zu überlasten). Das abgesagte Gastspiel von Placido Domingo wird nun doch stattfinden. Der Maestro wird die Puccini-Oper „Manon Lescaut“ am 21. Oktober dirigieren und am 24. Oktober bei einem Galakonzert von Opernstars auftreten. Und noch einen deutschen Akzent bietet die anstehende Spielzeit mit der Oper „Weiße Rose“ des Dresdener Udo Zimmermann, die in der zweiten Mai-Hälfte nächsten Jahres ihre Premiere in Moskau erleben soll.
Was den Ballett-Spielplan angeht, so unterstreicht man im Bolschoi, dass alle neuen Inszenierungen der am 12. September beginnenden 245. Spielzeit Auftragswerke des Theaters sein werden. Eine Weltpremiere des Balletts „Orlando“ wird der deutsche Choreograph und Direktor des Zürcher Balletts am Opernhaus Zürich Christian Spuck im März 2021 vorstellen, „Die Möwe“ zur Musik von Ilja Demuzkij – Jurij Posochow. Und zum dritten in dieser Runde (Regisseur der beiden vorangegangenen Ballette Posochows „Ein Held unserer Zeit“ und „Nurejew“ war Kirill Serebrennikow) wird Alexander Molotschnikow.