Die Parlamentspartei „Gerechtes Russland“ verliert in mehreren Regionen gegenüber der neuen, vor kurzem entstandenen Partei „Neue Leute“. Wer und warum den so liebevoll gestalteten Parteienkonsens ins Wanken gebracht hat, analysiert der Politologe Dmitrij Solonnikow, Direktor des Instituts für moderne Staatsentwicklung.
Knapp eine Woche ist bis zur Abstimmung bei den Regionalwahlen der aktuellen Wahlsaison geblieben. Die Haupttrends der Kampagne sind bereits auszumachen. Und wenn nicht irgendetwas Außerordentliches geschieht, so kann man das Endergebnis, das nach Auszählung der Stimmzettel bekanntgegeben wird, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit prognostizieren.
Im Grunde genommen waren gerade dem auch die wichtigsten Informationsthemen der letzten Tage gewidmet.
Erstens ist dies die Veröffentlichung von Daten des staatlichen Allrussischen Meinungsforschungszentrum VTsIOM mit einer Analyse der Unterstützung für die Parteien, die bei den anstehenden Wahlen zu den gesetzgebenden Machtorganen der Subjekte der Russischen Föderation antreten. Der obere Teil der Liste der politischen Vorlieben des Elektorats ist standardgemäß und hat keine prinzipiellen Veränderungen erfahren. Erwartungsgemäß wird in allen Regionen der erste Platz von „Einiges Russland“ gewahrt bleiben, die freilich nirgends 50 % der Unterstützung auf sich vereinigen wird, aber überall die Positionen der politischen Hauptkraft behalten wird, wobei sie die nächsten Verfolger mit einem Ergebnis übertreffen wird, das mehr als zweimal höher liegen wird.
Den zweiten und dritten Platz werden die KPRF und die LDPR halten, wobei sie von Region zur Region die Plätze wechseln werden. Dabei sind die Parteien offenkundig nicht in der Lage, die aktuelle Protestwelle für sich auszunutzen und den Anteil der Anhänger zu erhöhen. Sie werden aber das Kernelektorat bewahren, was ihnen eine bestimmte Stabilität sichert.
Weiter aber wird es interessant! Die vierte Position, die bis in die jüngste Vergangenheit „Gerechtes Russland“ stabil eingenommen hatte, ist nun zu einem Feld eines ernsthaften Kampfes geworden. Und die Vertreter von „Gerechtes Russland“ verlieren ihn, je weiter desto spürbarer.
Im Grunde genommen sehen wir jetzt, wie die Matrix des Duma-Parteienkonsens in die Brüche zu gehen beginnt, die im Verlauf der letzten Dezennien so liebevoll geschaffen sowie gepflegt und gehegt wurde. Aus ihr fallen die Schwächsten und Unbeholfensten, wobei sie Platz für neue – junge und aktive – Anwärter machen.
Ein schwaches Glied in dieser Situation ist gerade die Partei „Gerechtes Russland“. Mit ihr beginnt die Demontage der — wie es den Anschein hatte – unerschütterlichen Grundfesten. Und dies ist logisch. Die Vertreter von „Gerechtes Russland“ hatten mit Mühen die 5-Prozent-Hürde bei den letzten Wahlen zur Staatsduma genommen. Die Partei hat es auch nicht verstanden, nicht eines der bereits angekündigten Integrationsprojekte in Gang zu bringen. Und im Ergebnis dessen hat sie keinen Impuls in der Entwicklung bekommen und kein neues Image präsentiert.
Letzteres betrifft auch die Parteiführer, in deren Reihen keine neuen Gesichter auftauchen. Die alten aber verschwinden nur.
Solche Probleme gibt es ebenfalls mit der Formulierung auffälliger, den Wählern naher Initiativen. Und da ist die Idee von Sergej Mironow (Vorsitzender der Partei „Gerechtes Russland“ – Anmerkung der Redaktion), den Rentenfonds Russlands zu liquidieren, gerade ein Beispiel für einen Flop in Sachen politischer PR-Aktionen. Im Ergebnis dessen ist die Partei auf dem Wege einer rasanten Verringerung ihrer Präsenz in der Regionalpolitik nach dem Einheitlichen Wahltag-2020, wobei sie Platz für die neuen Rekruten im Parteien-Regiment macht.
Die durch VTsIOM vorgestellten Materialien soziologischer Untersuchungen in den Regionen bestätigen dies. Auf den vierten Rang hinsichtlich der Vorlieben der Wähler stößt selbstbewusst die Partei „Neue Leute“ vor, deren Projekt sich bisher als das maximal effektivste unter allen, die Anfang des Jahres 2020 gestartet worden waren, erwiesen hat.
Wenn es zu einer Auswechselung des vierten Akteurs in der Gruppe der Spitzenreiter kommt, so wird dies ein lautes Signal für alle Verfechter der Konzeption „um jeden Preis festhalten und nichts ändern“ sein. Die Bewahrung des Status quo hinsichtlich der gesamten Konstruktion für das Gleichgewicht der politischen Interessen und der Verteilungen rund um die Parteien wird damit in starkem Maße in Frage gestellt.
Wenn sich die Partei „Neue Leute“ auf der vierten Position in den regionalen Ratings festsetzen kann, wird dies der stärkste politische Neustart der letzten Jahre sein. Früher hatte es bereits solche Werte für eine Zunahme der Unterstützung. Man kann sich da an den Start des Projekts für den Wahlblock „Einheit“ oder des Wahlblocks „Rodina“ („Heimat“) oder auch des Beginns der politischen Karriere von „Gerechtes Russland“ erinnern. Aber nach dem Jahr 2006 ist es keinem gelungen, diesen Erfolg zu wiederholen.
Und hier muss man gerade auf ein zweites Material bzw. zweites Ereignis die Aufmerksamkeit lenken, das Ende August als Datum aufweist. Und zwar ein Interview des Chefs von „Gerechtes Russland“ Sergej Mironow, das er dem kremlnahen Sender RT gab und einer Analyse der möglichen traurigen Perspektiven gewidmet war.
„Mich und die Partei trägt man seit 2006 zu Grabe“, sagte Sergej Michailowitsch (Mironow). Und als neue Totengräber weist er verantwortungsbewusst das Projekt „Neue Leute“ aus. Was ist das? Ein Zufall? Oder sind die soziologischen Daten wirklich schon für die höchsten Bereiche der politischen Landesführung zu einem Allgemeingut geworden, so dass man jetzt nur eine offizielle Bestätigung des neuen Kräfteverhältnisses abwarten muss?
Da muss man wohl wirklich fragen „Was ließ dich schöne Maid erröten und die Augen mit Tränen erfüllen?“, wie es in einem alten Lied hieß, und kann eine zu erwartende Antwort bekommen.
Das Geschehen in der gegenwärtigen (politischen) Saison ist besonders wichtig, da zur nächsten Wahlkampagne die zu den Wahlen in die Staatsduma des Landes wird. Die im Herbst dieses Jahres zu beobachtenden Tendenzen kann man leicht auf die zu erwartende Aufteilung der Duma-Mandate extrapolieren.
Genauso wichtig ist, dass sich die Liste der Parteien, die ein Recht haben, Kandidaten für die Staatsduma ohne die Sammlung von Unterschriften (zu ihrer Unterstützung) aufzustellen, nach dem 13. September verlängern kann. Und die „Neuen Leute“ erheben gerade darauf einen Anspruch, in ihr einen würdigen Platz einzunehmen.
Derzeit erfolgt ein Buhlen nicht nur um die Sympathien der Einwohner mehrere Subjekte der Russischen Föderation, sondern es werden auch die grundlegenden voraussagbaren Trends deutlich. Und es wird ebenfalls eine technologische Basis für die nächste Wahlkampagne geschaffen.
Das heißt, der muntere Start der Partei „Neue Leute“ kann sofort zur Lösung mehrerer wichtiger Aufgaben für sie selbst und für die Gestaltung eines Bildes von der neuen politischen Zukunft für uns alle werden. Einer Zukunft, in der viele möglicherweise gern leben möchten.
Man kann also die Duma-Wahlen bzw. die Kampagne für diese bereits als gestartete ansehen. Und der eine hat sich bei ihr schon als Outsider eingeschrieben, während ein anderer den realen Kampf um den Hauptpreis fortsetzen kann.