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Moskau und Karabach: ein diplomatischer Sieg oder ein geopolitischer Fehler?


Das Abkommen zu Bergkarabach halten die einen für einen diplomatischen Sieg Russlands, andere – für einen geopolitischen Fehler, ein Zugeständnis und fast eine Niederlage. Diejenigen, die die zweite Auffassung vertreten, gehen davon aus, dass in dem Konflikt Baku gesiegt hat. Und wo Baku ist, da ist auch Ankara mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der von einer Verwandlung der Türkei in eine regionale Supermacht träumt. Jetzt wird die Türkei auch unweigerlich ihren Einfluss im Transkaukasus verstärken.  

Hatte dies Moskau ins Kalkül gezogen? Es konnte wohl kaum solch ein Szenario ignorieren. Karabach ist jedoch ein besonderer Fall. Gegenwärtig ist dies im Bereich der GUS wohl die einzige Konfliktzone, in der Russland in der Rolle eines Garanten für Frieden oder eines Schlichters auftreten kann. Im Verlauf von 30 Jahren hat sich Moskau weder mit Jerewan noch mit Baku zerstritten, während im Fall mit Abchasien, Südossetien, dem Donbass und selbst mit Transnistrien seine Position von der politischen Orientierung der georgischen, ukrainischen und moldawischen Herrschenden abhing und abhängt. Wenn diese Orientierung eine prowestliche ist, verwandeln sich die Konfliktgebiete für Russland automatisch in Territorien strategischer Bedeutung.   

Die Türkei ist Mitglied der NATO. Für alle ist aber klar, dass Erdogan sein geopolitisches Spiel spielt. Man kann mutmaßen, was wäre, wenn die USA oder die Europäische Union die Seite von irgendwem im Bergkarabach-Konflikt einnehmen würde. Doch der Westen hat sich de facto selbst zurückgezogen, womit er Moskau sowie Baku und Ankara erlaubte, selbst zu klären, wer in der Region der „Wichtigste“ ist. Russland ließ sich nicht auf einen direkten Konflikt mit Aserbaidschan aufgrund des abgeschossenen Hubschraubers ein, eines Zwischenfalls, dem alle Wesensmerkmale einer Provokation eigen waren. Die Offiziellen der Russischen Föderation haben den Status eines Friedensstifters vorgezogen. Ein Beispiel von Zurückhaltung, von denen es – ehrlich gesagt – in der russischen Außenpolitik der letzten Jahre nicht viele gegeben hat. 

Es sei angemerkt, dass man die russische öffentliche Meinung auch auf kein anderes Szenario vorbereitet hatte. Laut Angaben einer Untersuchung der Stiftung für öffentliche Meinung, die am 9. November veröffentlicht wurden, steht die überwiegende Mehrheit der befragten Bürger der Russischen Föderation (71 Prozent) in gleicher Weise den Beteiligten der Bergkarabach-Konfliktes gegenüber. 57 Prozent sind der Auffassung, dass Russland über der Auseinandersetzung stehen und keinen unterstützen sollte. Mit anderen Worten: Es besteht keinerlei Bedürfnis dafür, dass sich Moskau auf eine regionale Konfrontation mit Baku und Ankara einlässt oder sie gar unterstützt. Die russischen Offiziellen hatten dies auch nicht geplant. Die staatliche Propaganda hatte die Bevölkerung nicht „bearbeitet“. 

Man kann sagen, dass Russland im Verlauf von 30 Jahren nichts Wesentliches dafür getan hatte, wobei es seine Position „über dem Konflikt“ bewahrte, um das Karabach-Problem zu lösen. Eine Vorahnung, ein Vorgefühl hinsichtlich eines Krieges lag die ganze Zeit in der Luft. Allerdings zu sagen: „Versöhnt euch!“ ist weitaus leichter, als dies zu erreichen. Die Zuspitzung des Konflikts im Herbst des Jahres 2020 – und dies kann man nur mit Bedauern sagen – hat gezeigt, dass nur ein Krieg, nur Tote und Verwundete die Staaten zwingen können, sich über irgendetwas zumindest für fünf Jahre zu einigen. Solange keine Schüsse zu vernehmen sind und kein Blut fließt, bleiben jegliche Verhandlungen diplomatische Spiele und Rituale. Und an denen hat Russland ständig teilgenommen.  

Hat Moskau eine richtige Entscheidung getroffen, indem es keinen unterstützte und Alijew und Erdogan erlaubte, sich als Sieger zu fühlen? Russland hat weder ökonomische noch moralische Kräfte für eine neue geopolitische Auseinandersetzung. Sie würde Moskau weder in der Innen- noch Außenpolitik Punkte bringen. Der Versuch eines Stiftens von Frieden und einer Schlichtung in dem Konflikt ist dagegen eine Entscheidung, die aus der Sicht des Images einen Gewinn bringt. Das Blutvergießen ist gestoppt und anderen Ländern ein Beispiel gegeben worden. 

Es gibt keinerlei Garantien für die Stabilität des Bergkarabach-Friedens. Die Friedenstruppen werden die Seiten trennen, die bereit sind, sich zu jeglichem Moment aufeinander zu stürzen. Unklar ist, was mit der Regierung Armeniens werden wird. Wird nicht die „Partei der Revanche“ im Land triumphieren? Wird den aserbaidschanischen Herrschenden der durch den Sieg erzielte Popularitätsschub für lange ausreichen? Russland hat jedoch „hier und jetzt“, indem es Zurückhaltung demonstrierte, sich selbst nicht geschadet.