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Wird die Wochenend-Quarantäne in der Ukraine durch einen Ausnahmezustand abgelöst?


Seit Samstag wird auf dem Territorium der Ukraine die sogenannte Wochenend-Quarantäne realisiert. Die Behörden versuchen, die Kette zur Übertragung des Coronavirus abreißen zu lassen, um die lawinenartige Zunahme der Zahl der Erkrankten zu stoppen. Gegen die Einschränkungen sind viele Unternehmer. Auf ihre Seite ist bereits Lwows Bürgermeister Andrej Sadowoj getreten. Ihm können sich die kommunalen Behörden anderer Städte und Verwaltungsgebiete im Westen der Ukraine anschließen.

Früher hatte es die Führung einer Reihe von Städten in den westlichen und zentralen Verwaltungsgebieten des Landes bereits riskiert, gegen die im März verhängten strengen Restriktionen aufzutreten. Kiew drohte anfangs eine Bestrafung an, hat aber ab Sommer die Maßnahmen gelockert, indem es im Land eine sogenannte adaptive Quarantäne verhängte. Beabsichtigt wurde, dass die Beschränkungen in jeder Region unterschiedlich gelten werden, in Abhängigkeit von der Situation hinsichtlich der Erkrankungsrate.

Während im Frühjahr per Laboruntersuchungen eine Infizierung von 100 bis 500 Menschen täglich bestätigt wurde, hat die Zahl der ermittelten Kranken im Sommer die eintausend überschritten. Später wurden es mehrere Tausend pro Tag. Ende Oktober näherten sich die Werte der Marke von 10.000 positiven Test am Tag. Und in dieser Woche wurde ein neuer negativer Rekord registriert – über 11.000 Fälle. Der Präsident der Ukraine, Wladimir Selenskij, und der Chef des Präsidenten-Offices, Andrej Jermak, über deren Erkrankung am vergangenen Wochenende berichtet wurde, sind am Mittwoch im Regierungskrankenhaus zur stationären Behandlung aufgenommen worden.

Am gleichen Tag beschloss die Regierung, bis Ende November eine Wochenend-Quarantäne einzuführen. Samstags und sonntags werden allen Einkaufs- und Freizeit-Zentren und Sporthallen sowie Schwimmbäder und alle Einrichtungen des Dienstleistungssektors geschlossen, verboten sind Massenveranstaltungen. Arbeiten werden nur Apotheken inkl. Tierapotheken, Lebensmittelgeschäfte und Transportunternehmen. Eine der größten Handelsketten im Land, die sich auf den Verkauf von Baumaterialien spezialisiert, reagierte auf das Verbot mit einer neuen Werbung für einen „72-Stunden-Freitag“: „Lebensmittel haben wir, medizinische Erzeugnisse und Medikamente gibt es. Tierfutter gibt es. Brenn- und Kraftstoffe liefern wir“. Am Donnerstag empörte sich Gesundheitsminister Maxim Stepanow im Verlauf des turnusmäßigen Briefings über die Situation hinsichtlich der Corona-Epidemie über solch eine Werbung und lud „die Liebhaber von Übermut“ ein, die Intensivstation eines COVID-Krankenhauses zu besuchen. 

Viele Vertreter der Wirtschaft sind gegen die Wochenend-Quarantäne. Am Tag, als die Regierung diese Frage behandelte, organisierten sie mehrere Protestaktionen in Kiew, Lwow, Dnepr und Charkow, aber auch im Donezker Verwaltungsgebiet. Mitarbeiter gastronomischer Einrichtungen behaupteten, dass sie über eine Statistik verfügen, wonach in den Cafés und Restaurants, die entsprechend den Quarantänemaßnahmen arbeiten, die geringste Anzahl von Menschen angesteckt werde. Vertreter des Kleinunternehmertums erklärten, dass sie die Gesetzgebung nicht verletzen und sich an alle sanitär-hygienischen Vorschriften halten würden. Die Behörden aber würden, indem sie Arbeitsverbote verhängen, die Verfassungsnorm über Unternehmensfreiheit verletzen. Die Teilnehmer der lauten Protestaktionen hielten Plakate in den Händen, deren Losungen auf die Frage hinausliefen, wie die Menschen überleben sollen, wenn ihnen zu arbeiten verboten wird.

Der Fernsehkanal „Prjamoi“ veröffentliche Daten, die die Befürchtungen der einfachen Bürger bestätigen. Laut einer Prognose der UNO-Verwaltung zur Koordinierung humanitärer Fragen erwarte die Ukraine entsprechend den Ergebnissen des Jahres 2020 die schlimmste Rezession der letzten zehn Jahre, in deren Ergebnis neun Millionen Bürger des Landes unter die Armutsgrenze geraten werden. Der Inhaber einer Pizzeria-Kette, Dmitrij Fedotenkow, den die Internetzeitung „Strana“ zitiert, betonte, dass die Herrschenden seit März praktisch nichts getan hätten, um sich auf die Epidemie vorzubereiten. Jetzt aber würden sie eine Wochenend-Quarantäne einführen, obgleich die Menschen werktags ihr normales Leben weiter leben würden, womit sie die Ansteckungsketten fortsetzen würden. „Das Problem sind das Transportwesen und die Nachtdiskotheken, die keiner am Wochenende schließt. Nun, das Wichtigste aber ist: Man muss das Land vor den clownesken Verwaltungsentscheidungen bewahren. Und ich schlage vor, die Wochenend-Quarantäne als eine kriminelle Anordnung nicht einzuhalten“.

Organisiert reagierten die städtischen Offiziellen von Lwow auf den Beschluss der ukrainischen Regierung. Der amtierende Bürgermeister Andrej Sadowoj, der an dem bald anstehenden 2. Urnengang der Kommunalwahlen teilnehmen wird, informierte über die Absicht, sich an ein Gericht aufgrund der von der Regierung verhängten Verbote zu wenden. „Ein Lockdown am Wochenende ist absurd.“ Er betonte, dass der Gastronomie- und Dienstleistungssektor bis zu 40 Prozent der Wocheneinnahmen gerade am Samstag und Sonntag erhalte. Und keiner kompensiere den tausenden Familien den Verlust an Einnahmen. Daher habe Lwow entschieden, die Forderungen Kiews nicht zu erfüllen. „Die Stadt wird keinerlei unvernünftige Entscheidungen treffen. Wir müssen zusammen die Verpflichtungen übernehmen – keinerlei Bankette, Jubiläumsfeiern und Hochzeiten… Aber von einem vollständigen Lockdown darf man nicht reden“.

Dabei hatte vor ein paar Wochen der sich vor der ukrainischen Justiz verbergende Ex-Mitstreiter von Viktor Justschenko und Petro Poroschenko, David Shvania, in einem erneuten Videoappell an Wladimir Selenskij von der Möglichkeit eines baldigen Verlassens des Unterstellungsverhältnisses in Bezug auf Kiew durch westukrainische Städte und Verwaltungsgebiete gesprochen. Er erklärte, dass die Auflehnung in der Region, wo die Positionen von Poroschenko und dessen Partei „Europäische Solidarität“ stark sind, zum Prolog für einen Machtwechsel in der Ukraine werden könne. Mitstreiter Poroschenkos bezichtigen Shvania der Verleumdung und eines Arbeitens „unter Russlands Fuchtel“. Die Erklärung Sadowojs jedoch, wonach man in Lwow den Beschluss der ukrainischen Regierung nicht umsetzen werde, ähnelt dem Beginn eines Aufstands. 

Kiew bleiben noch Hebel, um die Situation zu beeinflussen. Die Mehrheit in der Werchowna Rada kann das Regime einer Notstandssituation oder eines Ausnahmezustands bestätigen. Und dann werden die Verbote weitaus strenger. Oleg Ruban, Leiter des Staatlichen Verbraucherdienstes von Kiew, sagte gegenüber der Agentur „RBC-Ukraine“, dass die Wochenend-Quarantäne der Versuch sei, die Lawine der Epidemie zu stoppen. „Die Inkubationsperiode beträgt im Durchschnitt 7 bis 8 Tage. Wir werden das Ergebnis (der Wochenend-Quarantäne – Anmerkung der Redaktion) in der zweiten, dritten Woche anhand der Verringerung der Erkrankungsrate sehen“. Wenn es kein Ergebnis geben werde, würden die Behörden nach Aussagen Rubans gezwungen sein, ernsthaftere Entscheidungen zu treffen.

Die Situation drückt auf die Ratings der Führungsriege. Das Kiewer Internationale Institut für Soziologie veröffentlichte Ergebnisse einer Untersuchung, wonach für Wladimir Selenskij bei Präsidentschaftswahlen, wenn sie jetzt abgehalten werden würden, 25,3 Prozent aller Wähler oder 33,3 Prozent derjenigen, die sich festgelegt haben und vorhaben, unbedingt an der Abstimmung teilzunehmen, stimmen würden. Im April dieses Jahres wären fast 41 Prozent bereit gewesen, für Selenskij zu votieren. Auf dem zweiten Rang wäre jetzt erneut Poroschenko gewesen. 17,3 Prozent derjenigen, die sich festgelegt haben, wären bereit, für ihn zu stimmen.