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Die ROK hat der Verteidigungsfähigkeit des Staates einen schlechten Dienst geleistet


In den russischen Massenmedien und sozialen Netzwerken hat sich, nachdem ein Soldat im Grundwehrdienst bei Woronesch Kameraden ermordete, die Diskussion zu Problemen des Grundwehrdienstes und der Auffüllung der Truppen aktiviert. Der haben sich auch Vertreter der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) angeschlossen. Der Vorsitzende der Abteilung für auswärtige Kirchenbeziehungen, Metropolit Hilarion (Alfejew), erklärte, dass eine moderne Armee vollkommen aus Vertragssoldaten bestehen müsse. „Ich teile nicht die Meinung der Menschen, die sagen, dass jeder Mann den obligatorischen Wehrdienst leisten muss“, sagte der Kirchenhierarch, wobei er betonte, dass er dies als ein Mann sage, der „zwei Jahre lang den Wehrdienst abgeleistet hat“. 

Es sei daran erinnert, dass am 9. November der Soldat im Grundwehrdienst Anton Makarow auf dem Militärflugplatz Baltimor in Woronesch drei Kameraden umgebracht hat. Das Verbrechen wird noch aufgeklärt, aber der Vertreter der ROK zieht bereits Schlussfolgerungen aus diesem. Seiner Meinung nach hätte man den Zwischenfall vermeiden können, wenn eine „richtige Auswahl der Kader für die Armee“ vorgenommen worden wäre, möglicherweise durch die Gewinnung von Vertragssoldaten für den Militärdienst. „Wenn ein Mensch vom Charakter her ein konfliktanfälliger ist, wenn er in der Vergangenheit in solchen Situationen angetroffen wurde, die dem Leben und der Gesundheit von anderen Schaden zufügen konnten, so darf man solch einen Menschen zumindest nicht an eine Waffe lassen“, erklärte Alefew. 

Die Worte des hochrangigen religiösen Vertreters haben einige Politiker und Journalisten als Position der ROK gewertet, die der Landesführung vorschlägt, auf die Einberufung zugunsten einer vollkommen professionellen Armee zu verzichten. Freilich, später  erklärte der Vorsitzende der Synodalabteilung für das Zusammenwirken mit den Streitkräften und Rechtsschutzorganen des Moskauer Patriarchats, der Bischof von Klin Stefan (Priwalow), dass „sich die Frage des Übergangs der Armee von der Grundlage der Einberufung auf die von Verträgen in der Kompetenz der höchsten Staatsführung befindet und es für religiöse Organisationen nicht korrekt sei, ihre Empfehlungen in diesem Bereich zu geben“. 

In der Tat, die Kirche in Russland ist offiziell vom Staat getrennt. Und obgleich Metropolit Hilarion das Recht hatte, sich zu Problemen der Armee zu äußern, so ist erstens besser, dies argumentiert zu tun und zweitens nicht zum Schaden des Staates. Seine Meinung über die „Unnötigkeit“ des obligatorischen Wehrdienstes für jeden Bürger der Russischen Föderation hat der Geistliche zu einer Zeit bekanntgegeben, in der die Hauptphase der Herbst-Einberufungskampagne im Land läuft. Viele Wehrpflichtige sind gläubige Menschen. Was werden sie denken, nachdem sie solch eine Meinung eines Vertreters der Russischen Orthodoxen Kirche gehört haben? Das, was der Metropolit sagte, fördern nicht die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit des Landes. Selbst wenn das Ansehen der Armee wächst, kann man jetzt nicht sagen, dass die Erfassung von Wehrpflichtigen für die Streitkräfte und andere bewaffnete Strukturen schmerzlos erfolgt. Einige junge Männer wollen nicht den 59. Verfassungsartikel erfüllen, in dem geschrieben steht, dass „die Verteidigung des Vaterlands eine Ehre und Pflicht eines Bürgers der Russischen Föderation“ ist. Sie entziehen sich dem Erhalt von Vorladungen in die Einberufungskommissionen. Laut Angaben aus der Staatsduma (Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) gibt es mindestens 150.000 solcher Verweigerer, was beinahe der Zahl der in die Armee Einberufenen im Frühling dieses Jahres ausmacht. Dabei rufen einige Politiker regelmäßig auf, überhaupt auf das Einberufungssystem zu verzichten und die Armee im Land zu einer vollkommen professionellen wie in den USA und einigen anderen NATO-Ländern.   

Die These von der Notwendigkeit der Bildung einer Berufsarmee in Russland ist schon lange bekannt. Auf Berufssoldaten sind bereits die Grenztruppen des FSB (Inlandsgeheimdienst Russlands, dem die Grenztruppen unterstehen – Anmerkung der Redaktion) umgestellt worden. Die Russische Föderation geht aber aufgrund ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten, des großen Territoriums und der Traditionen der Gesellschaft bei der Auffüllung der Truppen einen anderen Weg. Für die Streitkräfte erfolgt die Auffüllung entsprechend einem gemischten Prinzip – über Wehrkreiskommandos auf der Grundlage des 59. Artikels des Grundgesetzes und durch die Gewinnung von Vertragssoldaten. Innerhalb eines Jahres des Grundwehrdienstes erhält der jeweilige junge Mann eine militärische Qualifikation, und man erfasst ihn in der Personal-Mobilisierungsreserve (PMR), die im Falle einer Aggression gegen Russland gebraucht werden kann. Die Vertragssoldaten aber erfüllen die Hauptaufgaben in den Truppen – auf Militärstützpunkten, in den Kontingenten von Friedenstruppen, sie leisten den Gefechtsbereitschaftsdienst, nehmen an langen Seefahrten teil usw. Das heißt, unsere Armee ist vom Wesen her eine Berufsarmee. 

Angemerkt sei, dass solch eine Armee im Kriegsfall leider nicht lange durchhält. Entsprechend den Erfahrungen aus dem jüngsten Krieg in Bergkarabach muss konstatiert werden, dass zu einer der Ursachen für die Niederlage der armenischen Armee durch die Streitkräfte Aserbaidschans das geworden ist, dass Jerewan eine Mobilisierung von nur 50 Prozent vom Notwendigen vorgenommen hatte. Das heißt, man hatte erheblich weniger Reserven an Menschen für eine Auswechselung jener Profis, die in den ersten Kriegstagen gefallen waren, mobilisiert. 

Kann aber die Russische Föderation auf den Grundwehrdienst verzichten? Ja, aber dann werden die Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit stark zunehmen. Sie sind auch jetzt erheblich und machen über 30 Prozent des gesamten Landeshaushalts aus. Über dies hinaus muss der Staat Gelder finden, um Reservisten auszubilden, mit ihnen Manöver durchzuführen usw. Das ist ein sehr kostenaufwendiges System. Beispielsweise waren im Jahr 2015, als Präsident Wladimir Putin den Erlass Nr. 370 „Über die Bildung einer Personal-Mobilisierungsreserve der Streitkräfte der Russischen Föderation“ unterzeichnete, für die Versorgung und Ausbildung einer Brigade von Reservisten (dies sind rund 5.000 Menschen) im Verlauf eines Experiments zur Entfaltung innerhalb von nur ein, zwei Monaten im Verlauf von drei Jahren grob überschlagen 1,5 Milliarden Rubel erforderlich. Die Kosten für die Ausbildung, Unterhaltung und Kompensationen aufgrund der Arbeitsunterbrechung der Reservisten würden noch größere Summen ausmachen. Das heißt, um entsprechend diesem Schema ca. 250.000 Männer einzuberufen und auszubilden, die man in der Zukunft nicht für die Truppen und Marine einberufen muss und die in der PMR der Streitkräfte erfasst sein werden, sind mindestens 350 bis 400 Milliarden Rubel im Jahr notwendig. Dies sind beinahe 15 Prozent vom gesamten Militäretat des Landes. Anders gesagt: Jeder Steuerzahler der Russischen Föderation muss für eine Berufsarmee mindestens 15 Prozent mehr Steuern, als er bisher tut, an die Staatskasse abführen.

Russland kann sich derzeit solche Ausgaben nicht leisten. Die „NG“ hat bereits geschrieben, dass der Staat ohnehin die Anhebung der Pensionen für die in den Ruhestand versetzten Militärs auf Eis legt. Und bis dahin hatte er mehr als ein Jahr lang (in den Jahren 2013 bis 2017) die Dienstbezüge der Militärs nicht indexiert. Nach wie vor sind erhebliche Geldsummen für die Sozialprogramme, für Wohnraum für Militärs und die Unterhaltung der Truppen erforderlich. Es ist kein Zufall, dass es nach dem Jahr 2015 keine Erlasse über die Durchführung von Experimenten mit Reservisten in der Russischen Föderation gegeben hat. Es funktioniert das alte gute Schema der Ausbildung von Kadern durch die Einberufung von Wehrpflichtigen zum einjährigen Grundwehrdienst, das erlaubt, sowohl die Sicherheit des Landes zu gewährleisten als auch die Armee zu finanzieren.