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Der Open-Skies-Vertrag hat seinen Sinn verloren


Washingtons Ausstieg aus dem Open-Skies-Vertrag beeinflusst nicht die Entscheidung Russlands, ihn zu bewahren, wenn die übrigen 33 Signatarstaaten garantieren, keine Aufklärungsdaten an eine dritte Seite – an die USA – weiterzugeben. Solch eine Forderung formulierte das russische Außenministerium in seiner offiziellen Erklärung. Allerdings gibt es keinerlei Garantien für eine Erfüllung dieses Szenarios. Dmitrij Peskow, der Pressesekretär des russischen Präsidenten, betonte, dass ohne die USA der Vertrag hinfällig sei. 

Der 1992 unterzeichnete Open-Skies-Vertrag (Vertrag zum Offenen Himmel) ist der letzte Splitter aus der Ära der allgemeinen Entspannung in Europa. Er erlaubte westlichen und russischen Militärs, mit Hilfe von Aufklärungsflugzeugen den Zustand der konventionellen Waffen in den Signatarstaaten des Abkommens zu beobachten. Für uns war dies die Möglichkeit, die Entwicklung der militärischen Infrastruktur der NATO in Europa zu verfolgen und Inspektionsflüge über dem Territorium der USA vorzunehmen. Genau das gleiche taten die Mitglieder des Nordatlantikpaktes über unserem Territorium. Allein im vergangenen Jahr haben wir 42 Beobachtungsflüge durchgeführt, und sie – 29. 

Im Mai dieses Jahres legte US-Außenminister Michael Pompeo die Ursachen für den Unwillen der Vereinigten Staaten, das Abkommen einzuhalten, offen: „Vom Wesen her soll der Vertrag alle seinen Signatarstaaten einen größeren Grad an Transparenz, gegenseitigem Einvernehmen und Zusammenarbeit unabhängig von ihrer Größe gewährleisten. Die Realisierung und die Verletzung des Open-Skies-Vertrags durch Russland haben jedoch diese zentrale Funktion untergraben“. Was Russland konkret hinsichtlich des Abkommens nicht einhalte, haben die Amerikaner gemäß dem Usus der letzten Jahre nicht mitgeteilt. Man kann es aber vermuten. 

Im Jahr 2014 hatte Russland den USA einen Flug in der 500-Kilometer-Zone über dem Verwaltungsgebiet Kaliningrad und die Vornahme solcher Flüge in der 10-Kilometer-Zone entlang der Grenzen mit Abchasien und Südossetien, die aus der Sicht der Russischen Föderation souveräne Staaten sind, verweigert. Beanstandungen gegenüber den USA hat auch die russische Seite: die Beschränkung von Flügen in geringen Höhen im gebiet von Washington D. C., die Verringerung des Raums für eine Beobachtung über den Hawaii-Inseln und die Verweigerung einer Übernachtung für Crews auf den Luftwaffenstützpunkten Robins und Ellsworth in den US-Bundesstaaten Georgia und South Dakota. Ihre Nutzung erlaubte unseren Flugzeugen und Besatzungen, erheblich größere Gebiete Nordamerikas einzusehen. Eingeschränkt wurden die Flüge auch über den Aleuten. Als Antwort darauf gab Moskau bekannt, dass es den US-amerikanischen Crews eine Übernachtung auf drei russischen Militärflugplätzen verwehre.

Es gibt auch noch einen Grund. Dies ist das neue russische Flugzeug Tu-214ON. Hinsichtlich der technischen Möglichkeiten übertreffen die in ihm installierten Aufklärungsgeräte erheblich die amerikanischen und europäischen analogen Apparaturen. Das Mitglied des Streitkräfte-Ausschusses des US-Senats Tom Cotton erklärte direkt, dass „für Mister Putin dieser Vertrag lediglich ein weiteres Schema zur Erlangung einer militärischen und Aufklärungsüberlegenheit über die USA und die NATO war. Außerdem war der Vertrag technisch ein nicht arbeitender und ein genauso veralteter und unangebrachter wie ein Video- oder Kassetten-Recorder… Ich freue mich besonders darüber, dass die Steuerzahler der USA nicht mehr fast eine Viertelmilliarde Dollar für die Modernisierung unseres Parks an Flugzeugen vom Typ OC-135 Open Skies zahlen müssen“, unterstrich der Senator.

Nach Meinung von Professor Wadim Kosjulin aus der Akademie für Militärwissenschaften sei die Situation vor allem durch das Fehlen eines politischen Dialogs zwischen den Ländern schlecht. Dies gestehe man auch in Amerika ein, wo es Gruppe von Politikern und Spezialisten gibt, die den Open-Skies-Vertrag für ein Instrument der Transparenz in den Ost-West-Beziehungen hielten. Allerdings würden seiner Meinung nach für die Seiten Möglichkeiten einer Kontrolle bleiben, aber auf einer technisch anderen Ebene.

„Der Unwille Washingtons, die internationalen Verträge auf dem Gebiet der Rüstungsbegrenzungen zu bewahren, wird wahrscheinlich durch den Pragmatismus von Präsident Donald Trump ausgelöst. Im Westen glaubt man an keinen großen Krieg und an einen Beginn eines Wettrüstens. Heute gibt es keinen ideologischen Background für eine Konfrontation der Seiten. Und die Wirtschaftsfragen werden durch Sanktionen gelöst. Zumal der Westen mehr an solchen Druckhebeln hat als wir. Das Problem der Rüstungskontrolle lösen erfolgreich Satelliten. Dabei muss man den Überflug über das für sie interessierende Territorium und die interessierenden Infrastrukturobjekte mit keinem abgestimmt werden“, betont Kosjulin.

Die einzigen Leidtragenden in dieser Situation können die Europäer sein. Sie haben physisch keinen solchen Umfang an satellitengestützten Kontrollmitteln. Gerade daher geht ihnen Russlands Außenministerium ihnen scheinbar entgegen. Die Frage ist aber, wie lang dies andauern wird. Garantien dafür schriftlich zu geben, dass die Informationen der Inspektionen russischer Militärobjekte nicht auf die andere Seite des Atlantiks gelangen, schickt sich keiner der Signatarstaaten des Open-Skies-Vertrages an. Moskau hat bereits solch einen Fehler begangen, als es Brüssel in den 1990er Jahren aufs Wort geglaubt hatte, dass die NATO nicht gen Osten ausgedehnt werde.