Der Oppositionelle Alexej Nawalny hat am 15. Dezember die Veröffentlichungen in Medien über eine Beteiligung von FSB-Mitarbeitern an der Organisierung und Verübung des Versuchs seiner Vergiftung durch eine Klageschrift an das Untersuchungskomitee und den Geheimdienst an sich mit der Forderung nach einer offiziellen Untersuchung untermauert. Appelle an den FSB bereiten auch Abgeordnete der Partei „Jabloko“ in einer Reihe regionaler gesetzgebender Versammlungen vor. Die Nichteinverstandenen bezeichnen Nawalny als einen Staatsmann und nötigen die Rechtsschützer zu einer prozessualen Reaktion auf das Attentat. Der Sinn solcher Aktivitäten besteht scheinbar darin, bis zum 17. Dezember den Versuch zu unternehmen, das Szenario der Pressekonferenz von Präsident Wladimir Putin umzukrempeln.
„Ich schlage die Strafprozessordnung auf und komme bis zum Artikel „Mitteilung über eine Straftat“. Entsprechend dem Artikel der StPO machen wir eine Mitteilung über eine Straftat, die sowohl an das Untersuchungskomitee als auch an den FSB gesandt wird“, erklärte Nawalny in einer Sendung des Hörfunksenders „Echo Moskaus“.
Zuvor hatten die Projekte „The Insider“, Bellingcat und der Fernsehsender CNN unter Beteiligung des deutschen Magazins „Der Spiegel“ sowie mit Unterstützung von Nawalny selbst Nachforschungen veröffentlicht, in denen behauptet wird, dass an der Vergiftung des Oppositionellen angeblich mehrere aktive Mitarbeiter des FSB beteiligt gewesen seien.
Außer der Klageschrift an das Untersuchungskomitee und den Inlandsgeheimdienst im Namen Nawalnys werden bald auch andere Anfragen an die Rechtsschützer folgen. Boris Wischnewskij, Abgeordneter der Petersburger Gesetzgebenden Versammlung von der Partei „Jabloko“, teilte mit, dass der Entwurf einer Erklärung von einer Gruppe Petersburger Parlamentarier vorbereitet worden sei. Das Dokument sollte am 16. Dezember allen interessierten Abgeordneten zur Unterschrift vorgelegt werden. Wischnewskij sagte gegenüber der „NG“, dass es bisher (bei Redaktionsschluss) unter dem Appell seine Unterschrift und die des Abgeordneten von der Partei des Wachstums Maxim Resnik gebe.
Wischnewskij hat bereits Kopien des Appells an Parteikollegen in anderen regionalen Parlamenten gesandt. Und „Jabloko“ hat Fraktionen noch in sechs Regionen – in Moskau, Pskow, Kostroma, Astrachan, Chabarowsk und Karelien. Vorerst haben nur die Pskower „Jabloko“-Vertreter bestimmt geantwortet. Im eigentlichen Schreiben Wischnewskijs an das Untersuchungskomitee und dann an den FSB heißt es: „Wir bitten, einen Auftrag zur Vornahme einer Überprüfung entsprechend der Mitteilung über eine Straftat, die in den Massenmedien verbreitet wurde, zu erteilen und entsprechend ihrer Ergebnisse die Frage der Einleitung eines Strafverfahrens gemäß Artikel 277 des StGB der RF „Angriff auf das Leben eines Staatsmannes oder gesellschaftlichen Funktionärs, der zur Beendigung seiner staatlichen oder anderen politischen Tätigkeit oder aus Vergeltung für solch eine Tätigkeit verübt wurde“ zu prüfen“. Wischnewskij erinnerte daran, dass sich im September eine Gruppe Petersburger Abgeordneter bereits an das Untersuchungskomitee mit der Forderung gewandt hatte, ein Strafverfahren einzuleiten. Doch als Antwort kamen nichtssagende Schreiben. Übrigens, damals hatten Vertreter der Parteien „Gerechtes Russland“ und KPRF den Appell unterstützt.
„Wir haben mit Nawalny Meinungsverschiedenheiten zu politischen Fragen, wir sind aber der Auffassung, dass eine Vergiftung eine Vergeltung für seine oppositionelle Tätigkeit ist. Und gerade für die Herrschenden ist in erster Linie eine Untersuchung von Vorteil, um sich der Verdächtigungen zu entledigen“, betonte der „Jabloko“-Vertreter. Es muss betont werden, dass sich derzeit alle liberalen Gruppen und Politiker für eine Unterstützung Nawalnys aussprechen. Andrej Piwowarow, Exekutivdirektor von „Offenes Russland“, sagte beispielsweise gegenüber der „NG“, dass diese ganze Geschichte „solch ein neuer Abgrund“ sei.
Derweil ist klar, dass die investigative Nachforschung nicht zufällig wenige Tage vor der Pressekonferenz des Präsidenten erschienen ist. Und die gegenwärtigen Forderungen der Oppositionspolitiker sind aus dem gleichen Grunde keine zufälligen. Dies ist ein gewisser Versuch, die informationsseitige Tagesordnung an sich zu reißen. Und der Plan scheint aufzugehen. Am 15. Dezember meldete die russische Staatsagentur RIA Novosti, dass es in den nächsten zwei Tagen keine Telefon-Briefings des Pressesekretärs des Präsidenten Dmitrij Peskow geben werde. „Wir bereiten uns auf die Pressekonferenz vor“, erläuterte er.
Der Sekretär des ZK der KPRF Sergej Obuchow erinnerte daran, dass jetzt in Bezug auf Putin bereits regelmäßig Nachforschungen zu den einen oder anderen brisanten oder überhaupt zu persönlichen Themen erscheinen würden. „Es erfolgt eine De-Sakralisierung oder gar eine Dämonisierung des Staatsoberhauptes“, unterstrich der Kommunist. Seiner Meinung nach gebe es dafür mehrere Versionen. Eine von ihnen – eine Spaltung in der Elite des Landes. Die zweite Version, die allerdings nur die erste ergänzt, ist eine geopolitische. „Es ist klar, dass die ganze Stabilität am Angelhaken mit dem Namen Rating des Präsidenten hängt. Wobei dies auch im Ausland klar ist. Und sicher haben sich Einflussgruppen gefunden, die beschlossen haben, einen Schlag gegen diesen Haken zu führen. Es ist offensichtlich, dass die Stiftung zur Korruptionsbekämpfung (von Nawalny – Anmerkung der Redaktion) solche Nachforschungen nicht im Alleingang durchführen kann“, betonte Obuchow. Und natürlich sei die Nachforschung über die Vergiftung Nawalnys gerade speziell in diesen Tagen aufgetaucht, ist er sich sicher. „Dies ist eine alte Technologie, vor irgendeinem markanten Ereignis spezielle Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen, um das Interesse anzuheizen. Die liberale Opposition hat hier einfach die Situation ausgenutzt, um die Pro-Kreml-Tagesordnung durcheinander zu bringen. Es war offensichtlich, dass sich der Präsident anschickt, das Volk zu beruhigen. Jetzt aber erklingen Anschuldigungen, wonach die Russische Föderation beinahe ein terroristischer Staat sei“. Dabei war er darüber erstaunt, warum die Herrschenden, wenn sie sich ihrer sicher sind, nicht selbst Nachforschungen einleiten. Vorerst aber, konstatierte Obuchow, hatten das entsprechende Video von Nawalny schon fast sieben Millionen Menschen gesehen. Und dies seien 6 Prozent der Wähler.
Alexej Kurtow, Präsident der Russischen Vereinigung politischer Konsultanten, vermutete, dass die Zeit für das Auftauchen der Nachforschung doch ein Zufall gewesen sein könnte. „Solche Sachen werden in Regel lange vorbereitet. Die Vorbereitungsarbeit der ausländischen Geheimdienste erfolgte über Monate, wobei über sie sogar Informationen vor ein paar Monaten aufgetaucht waren“. Doch selbst wenn irgendwer auch beschlossen haben sollte, ein Geschenk zur Pressekonferenz des Präsidenten zu machen, so sei die Rechnung nicht aufgegangen, erklärte Kurtow. Denn das Staatsoberhaupt antworte nie schnell auf solche Sachen. Ja, und in der Situation, in der es bei der Pressekonferenz „zu 100 Prozent eine Vorab-Moderation aller Fragen gibt, kann es keine Zufälligkeiten geben“. Der Experte unterstrich, dass er doch die Interessierten nicht im, sondern außerhalb des Landes suchen würde. „Natürlich, dies ist keine Initiative Nawalnys und der Opposition. Doch Nawalny nutzt die Situation für eine eigene Promotion aus. Da er beabsichtigt, in die Russische Föderation zurückzukehren und sich politisch zu betätigen, braucht er einen Schutz, darunter auch einen informationsseitigen“, konstatierte Kurtow.