Das Moskauer Gebietsgericht hat die Berufung von Alexej Nawalny zu seiner Inhaftierung gemäß einer Gerichtsentscheidung vom 18. Januar gleich nach der Rückkehr nach Russland (am 17. Januar) abgewiesen. Der Oppositionelle wird in der Moskauer U-Haftanstalt „Matrosenstille“ bis zum 15. Februar bleiben, und wahrscheinlich auch länger. Somit verlieren die angekündigten Aktionen der Nawalny-Anhänger für den 31. Januar nicht an Aktualität. Die Herrschenden haben diese Herausforderung seitens der Nichteinverstandenen, die sich entschieden haben, sich auf eine Zuspitzung ohne eine Erfolgsgarantie einzulassen, angenommen. Eine Antwort auf die Aufrufe, auf zentralen Plätzen von rund einhundert Städten zu protestieren, wird eine großanlegte Polizeioperation sein.
Für die Behandlung der Klage der Anwälte Nawalnys sind durch das Moskauer Gebietsgericht weniger als anderthalb Stunden aufgewandt worden. In dieser Zeitspanne hatte es auch noch zwei Unterbrechungen mit einer Dauer von einer halben Stunde gegeben. Alles in allem kann man konstatieren, dass die russische Rechtsprechung nicht aus der Übung gekommen ist.
Das Wesen der Forderungen der Verteidigung bestand darin, dass die gesamte Entscheidung des Stadtgerichts von Chimki (ein Vorort Moskaus – Anmerkung der Redaktion) über die Inhaftierung Nawalnys für die Dauer von 30 Tagen von vorne bis hinten nicht dem Gesetz entspreche.
Es sei daran erinnert, dass für diejenigen, die gegen den Status von auf Bewährung Verurteilten verstoßen, keinerlei vorbeugende bzw. Sicherungsmaßnahmen oder irgendwelche andere Arten einer Einschränkung der Freiheit vorgesehen sind. Hinsichtlich derjenigen, die das Regime oft und böswillig verletzen, wird eine einzige Maßnahme vorgesehen – die Ersetzung der Bewährungsstrafe durch eine reale Haftstrafe. Was auch der Föderale Dienst für den Strafvollzug bei der entsprechenden Gerichtsverhandlung am 2. Februar fordern wird.
Daraus folgt, dass sowohl die Festnahme von Nawalny als auch das Scheitern der Haftbeschwerde eine gewisse Lehre sind. Was auch der Angeklagte erklärte: „Dies ist eine demonstrative Gesetzlosigkeit, um mich und alle einzuschüchtern“. Wie es scheint, bestand augenscheinlich die Absicht auch darin, jedoch nicht nur seitens der Offiziellen. Scheinbar hatte auch Nawalny selbst damit gerechnet, die Offiziellen zu einer Demonstration von Gesetzwidrigkeit zu bringen. Denn es kann schwerlich angenommen werden, dass der Oppositionelle, indem er Anschuldigungen gegen den Präsidenten vorbrachte, keine harte Antwort erwartete. Jedoch ist bisher unklar: Bestand nur darin der Hauptplan Nawalnys – zu einem russischen Nelson Mandela zu werden, dessen Anweisungen für die gesamte Nicht-System- bzw. außerparlamentarische Opposition zu unanfechtbaren werden? Oder ist doch das lange Einsitzen in der U-Haftanstalt doch ein Plan B, der jetzt realisiert wird, da es nichts Besseres gibt?
Allerdings ist das strategische Ziel der Nawalny-Anhänger ein unverändertes geblieben – das Regime mit allen möglichen Mitteln zu erschüttern. In den nächsten Tagen soll dieses Ziel durch unerlaubte Aktionen am 31. Januar realisiert werden. Vorbereitet werden sie in etwa einhundert Städten. Doch die Nichteinverstandenen haben natürlich keine Garantien dafür, dass zumindest die gleiche Anzahl von Menschen auf die Straßen kommt wie am 23. Januar. Und in diesem Sinne sieht das Verbleiben von Nawalny in der U-Haft wie ein notwendiges Argument für das Schüren von Proteststimmungen vor dem Sonntag aus.
Noch mehr Fragen hatte es am Vorabend hinsichtlich der Pläne der Offiziellen gegeben. Am 28. Januar wurden sie jedoch scheinbar deutlich, als direkt vor der Gerichtsverhandlung gegen Nawalny Russlands Untersuchungskomitee die erste Figur der Strafsache bezüglich einer Involvierung Minderjähriger in für sie potenziell gefährliche Veranstaltungen nannte. Zum Hauptverdächtigen wurde der Koordinator der regionalen Nawalny-Stäbe Leonid Wolkow erklärt, der sich freilich seit fast anderthalb Jahren im Ausland befindet und sich erlauben kann, keine Festnahme zu fürchten. Derweil zeigen die Ereignisse, die sich in den letzten Tagen um die Mitstreiter des Oppositionspolitikers und Aktivisten der Proteste abgespielt haben, dass die Herrschenden beschlossen haben, sie entschieden zu unterdrücken. Nunmehr bleibt zu begreifen, wie weit diese Entschlossenheit gehen wird.
Die Proteststimmungen in Russland kommentieren Autoren gesellschaftspolitischer Telegram-Kanäle. „In der nächsten Zeit wird die Staatsduma in zweiter Lesung einen Gesetzesentwurf über die Anhebung der Strafen wegen Ungehorsam gegenüber Vertretern der Rechtsschutzorgane bei Meetings annehmen. Die Sanktionen werden um das 4fache ansteigen – von 1000 bis 4000 Rubel (umgerechnet von knapp 11 bis ca. 44 Euro). Ein erneuter Verstoß droht, zu einer Strafe von bis zu 20.000 Rubel (etwa 219 Euro) zu führen. Der Staatsduma-Ausschuss für Staatsaufbau und Gesetzgebung hat die Novelle gebilligt“, schreibt „Temnik“ (https://t.me/polittemnik). „Die Initiative wurde bereits im vergangenen Jahr unterbreitet. Die Autoren waren der Auffassung, dass die gegenwärtigen Strafen zu geringe seien und die Bürger nicht vor Ungehorsam gegenüber den Vertretern der Rechtsschutzorgane abhalten würden. Die Hauptaufgabe der Gesetzesvorlage ist, den Preis für den Besuch eines unerlaubten Meetings anzuheben. Das heißt, die präventiven Maßnahmen zu verstärken und die Menschen vor einem Gang zu ungesetzlichen Veranstaltungen abzuhalten.“Wegen Rechtsverletzungen sind nach der Aktion vom 23. Januar in Moskau 267 Personen ordnungsrechtlich zur Verantwortung gezogen worden, zitierte der Chefredakteur des Hörfunksenders „Echo Moskaus“ Alexej Wenediktow Angaben der Hauptverwaltung des Innenministeriums für Moskau auf seinem Kanal (https://t.me/aavst55). „Außerdem sind Ordnungsrechtsprotokolle in Bezug auf 173 Eltern erstellt worden, deren Kinder an der nichterlaubten Aktion vom 23. Januar in Moskau teilgenommen hatten. Eine Bestrafung in Form einer Ordnungshaft ist für 110 Aktionsteilnehmer verhängt worden“.