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Über zwei Typen von Gewalt


Auf Journalistenfragen nach den unerlaubten Meetings antwortend, stellte der Chef des Pressedienstes des russischen Präsidenten Dmitrij Peskow ein elegantes und durchaus transparentes Argumentationssystem vor. Die Rede ist nicht davon, ob dieser Gedankengang ein richtiger ist oder nicht. Die Journalisten haben einfach diese Logik jedes Mal zu berücksichtigen, wenn sie Protestaktionen mit Machtvertretern erörtern wollen. Letztere werden in der nächsten Zeit augenscheinlich kein anderes Koordinatensystem haben. 

Für die Herrschenden war und bleibt, den Äußerungen von Peskow nach zu urteilen (und nicht nur, natürlich), die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Aktion das wichtigste. Wenn sie nicht abgestimmt und nicht sanktioniert worden ist, bedeutet dies: Ihre Teilnehmer und umso mehr jene, die zu solch einer Teilnahme aufrufen, werden automatisch zu Rechtsbrechern. Sie und die Polizisten befinden sich in unterschiedlichen Rechtsformaten. Jegliche Gewalt seitens der Protestierenden gleicht nicht der Gewalt seitens der Mitarbeiter der Rechtsschutzorgane, denn erstere verstoßen gegen das Gesetz, und die zweiten tun ihre Arbeit, „versuchen, die Stadt vor aggressiven Schlägertypen zu schützen“.

Hat es am vergangenen Samstag (am 23. Januar) Akte einer übermäßigen Härte und sogar Brutalität von Polizisten gegeben? Ja, bestätigte Dmitrij Peskow, aber dies seien Einzelfälle gewesen. In deren Hinsicht hat eine dienstliche Überprüfung begonnen, eine Untersuchung. Von Strafverfahren sei keine Rede, denn… Siehe den ersten Punkt: Die Polizei schützt die Stadt, die Protestierenden aber provozieren sie zu einer Aggression. Für diejenigen, die den Wunsch haben, zu einer unerlaubten Aktion zu gehen, soll dies als eine Warnung dienen. 

Mit denen, die zu unerlaubten Meetings und Umzügen kommen, werden die Herrschenden keinen Dialog führen. Die übrigen müssen Fragen in dem durch das Gesetz festgelegten Rahmen stellen. Ist aber dieser Rahmen nicht zu eng? Engen nicht die Herrschenden selbst den Raum für das Artikulieren der Meinung der Bürger ein? Peskow bezeichnete dies als eine philosophische Frage. Seinen Worten zufolge „werden die Formen für das Artikulieren seiner Meinung durch unterschiedliche Aktionen in vielen Ländern der Welt ernsthaft per Gesetz reglementiert“. Das Ziel sei eine Gewährleistung der Rechtsordnung und der Sicherheit, was, wie der Leiter des Pressedienstes des russischen Präsidenten sagte, eine Hauptfunktion des Staates sei.

Dies ist die Grundlage für die Logik der Offiziellen. Die Journalisten, die die Fragen nach der Polizeigewalt stellen, bleiben oft im Rahmen eines ganz anderen logischen Systems. Sie gehen davon aus, dass die Hauptfunktion des Staates das Garantieren der Rechte und Freiheiten, die in der Verfassung festgeschrieben worden sind, sei. Unter ihnen ist auch die Versammlungsfreiheit. Gemäß dieser Logik bräuchten die Herrschenden den Antrag zur Veranstaltung einer Aktion nicht dafür, um sie zu billigen oder abzulehnen, sondern dafür, um die Sicherheit der eigentlichen Protestierenden zu gewährleisten und um den Verkehr umzuorganisieren, wenn nötig. Die Offiziellen müssten einfach wissen, wo die Bürger beabsichtigen, eine Kundgebung durchzuführen. Das Recht an sich, friedlich auf die Straße zu gehen und sich frei zu äußern, werde nicht diskutiert.

Die russische Führung sieht in jeglicher Protestaktion vor allem „aggressive Schlägertypen“, die unbedingt die ganze Stadt zertrümmern, wenn man sie nicht durch Polizeibeamte mit Schlagstöcken und „grünen Minnas“ einkreist. Die Sicherheit zu gewährleisten bedeutet in solch einem Koordinatensystem, jene vor den Protestierenden abzuschirmen, die nicht an dem Meeting teilnehmen, inklusive auch der Herrschenden an sich. So sieht das Setzen der Prioritäten aus. Man kann diese Frage für eine philosophische halten. Die Offiziellen können dies aussprechen oder auch nicht, doch im Rahmen ihrer Philosophie ist ein Protest, das Nichteinverstandensein bzw. eine Ablehnung eine Sache der Minderheit, die sich dem Willen der Mehrheit unterwerfen müsse.

Die Herrschenden senden erneut sowohl den Protestierenden als auch den Polizisten eine Message. Ihr Wesen besteht darin, dass Gewalt (wenn es sie geben wird) nicht gleichermaßen ausgelegt werden wird. Es gibt die Gewalt derjenigen, die das Gesetz verletzen. Und überdies, wie die Herrschenden behaupten, sich hinter Kindern und Frauen verstecken würden. Solchen Menschen würden mit aller Strenge zur Verantwortung gezogen werden. Und es gibt eine erzwungene, eine provozierte Gewalt der Polizei. Natürlich, auch die Polizisten müssen die Nerven im Zaum halten. Für die Herrschenden ist es aber weitaus leichter, sie zu verstehen, ihnen zu vergeben, sie zu schützen und abzuschirmen. Ergo muss ein Polizist bei seinem Tun keine Zweifel hegen.