Die offizielle Führung Russlands hat bisher nicht auf die Meldung des schwedischen Internetportals „Nordic Monitor“ reagiert, das unter Berufung auf Aussagen des Stabsoberst Ali Durmuş mitteilte, dass das russische Bombenflugzeug Su-24 im Jahr 2015 über Syrien auf Befehl des Kommandierenden der türkischen Luftstreitkräfte Abidin Ünal abgeschossen worden war (https://nordicmonitor.com/2021/05/turkish-air-force-commander-abidin-unal-gave-direct-order-to-down-russian-jet-in-syria/). Diese spektakuläre Nachricht kann zu einer Verschlechterung der Beziehungen Moskaus mit Ankara führen.
Die offizielle Führung der Russischen Föderation reagiert bisher sehr vorsichtig auf die zunehmenden militärischen Aktivitäten der Türkei. Moskau kritisert hauptsächlich lediglich zurückhaltend das, wie Kiew und Ankara im militärischen und militär-diplomatischen sowie militärtechnischen Bereich zusammenwirken. Unter anderem hatten im April Journalisten bereits versucht, mit Vizepremier Jurij Borissow die Frage nach einem Reagieren Russlands auf die Lieferungen einer neuen Partie türkischer Aufklärungs- und Kampfdrohnen „Bayraktar“ für die Ukraine zu erörtern. Diese Flugapparate, mit denen die Türkei die ukrainische Armee bewaffnete, führen regelmäßig ein Monitoring des Territoriums in der Nähe der Krimgrenze der Russischen Föderation durch und fliegen über den Gefechtspositionen im Donbass. In Kiew hatte man angedroht, diese Waffen gegen die Russische Föderation bei einem möglichen bewaffneten Konflikt einzusetzen. Diese neuen Waffen, die an die Ukraine geliefert werden, belasten noch mehr die schwierige Beziehungen Moskaus mit der gegenwärtigen Kiewer Führung. „Wir werden konkret gucken, im konkreten Fall“, sagte Borissow bei der Beantwortung der Frage der Medien, ob Russland die militärtechnische Zusammenarbeit mit der Türkei einstellen werde, wenn Ankara eine neue Partie von Drohnen der Ukraine liefere.
Und bei einem ihrer Briefings hatte die offizielle Vertreterin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa Ankara aufgrund der offiziellen Aussagen des türkischen Diplomaten Tansu Bilgic kritisiert. Nach dessen Aussagen werde sein Land „auch 77 Jahre nach der Deportation seine Brüder für eine Behebung der schweren Lage der Krimtataren weiter unterstützen, die weiter gegen die Schwierigkeiten kämpfen, die durch die Annexion der Krim verursacht wurden“. Solch eine Besorgnis Ankaras bezeichnete Sacharowa als eine „konjunkturelle“. „Wenn solch eine Rhetorik fortgesetzt wird, werden auch wir gezwungen sein, die Aufmerksamkeit auf derartige Probleme in der Türkei zu lenken. Wir würden dies ungern tun. Daher hoffe ich, dass das Außenministerium der Türkei uns heute vernimmt“, erklärte Sacharowa, was als ein diplomatisches Signal an die Türkei aufgenommen wurde.
Derweil ignoriert Ankara derartige Signale Russlands und drückt hinsichtlich vieler Fragen seine Interessen nicht nur in der Ukraine, sondern auch in anderen Regionen der GUS durch, wobei es bestrebt ist, die Positionen der Russischen Föderation einzuengen. Während Moskau beispielsweise vorerst erhebliche Vermittlungsanstrengungen unternimmt, um die Lage an der Grenze im Bereich des Bergkarabach-Konfliktes zu normalisieren, verstärkt die Türkei die Gefechtsmöglichkeiten der Einheiten der aserbaidschanischen Militärs, die in der Nähe von Armenien konzentriert sind.
Laut Angaben aus Baku haben die in der Vorwoche stattgefundenen Militärmanöver der aserbaidschanischen Armee auch Episoden eines Zusammenwirkens mit der Armee der Türkei umfasst. Gemeldet wurde, dass „im Verlauf der Manöver durch spezielle Gruppen Aufgaben für ein verdecktes Eindringen und die Organisierung eines Hinterhalts in der Tiefe der Verteidigung des angenommenen Gegners zu verschiedenen Tageszeiten, aber auch zur Einnahme eines Kommandopunktes und von militärischen Objekten gelöst wurden. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Organisierung eines verdeckten Bewegens, der Vernichtung von Diversionsgruppen, der Unterbindung von Provokationen des Gegners und zum Studium von Besonderheiten konterterroristischer Operationen geschenkt“. Spezialisten unterstreichen, dass ein gesondertes Thema bei diesen Manövern der Einsatz von Bayraktar-Drohnen gewesen sei, „übrigens nicht nur für die Erfüllung von Gefechtsaufgaben auf den Übungsplätzen, sondern auch für das Trainieren konterterroristischer Operationen unter Beteiligung von Einheiten der Landstreitkräfte“.
Am 24. Mai haben Ankara und Baku eine neue Serie von Manövern begonnen. In der Türkei starteten die Manöver „Anatolischer Phoenix 2021“ mit einer Dauer von zwei Wochen. Wie Medien schreiben, „sind als Teilnehmer von den Streitkräften Aserbaidschans mehrere Mi-17-Hubschrauber in die Türkei entsandt worden, aber auch Militärs der Division von Such- und Rettungsschiffen vom Marinestützpunkt Puta“. Parallel zu diesen Manövern setzte die Türkei die Verlegung von Truppen nach Rumänien für eine Teilnahme an den großangelegten NATO-Manövern „Defender Europe 2021“ fort. Seitens der Türkei werden bei denen über 200 Gefechtsfahrzeuge und 1300 Soldaten eingesetzt werden. Ob sich an diesen Manövern Militärs der Streitkräfte Aserbaidschans beteiligen werden, ist bisher unbekannt. Aber Baku fährt offenkundig die militärischen Kontakte mit Moskau zurück. Unter anderem wird in diesem Jahr im Vergleich zu den vorangegangenen die Teilnahme aserbaidschanischer Militärangehöriger an den durch Moskau organisierten internationalen Armee-Spielen und an den Militärmanövern mit einer Beteiligung von Einheiten der russischen Streitkräfte eingeschränkt.
„Dass Moskau auf die Türkei Druck ausüben kann, um seine geopolitischen und militärischen Interessen zu realisieren, steht außer Zweifel“, erklärte gegenüber der „NG“ der Experte Generalleutnant Jurij Netkatschjow, der lange Zeit im Südkaukasus gedient hatte. „Aber für den Kreml stehen, wie es scheint, ganz andere Ziele auf dem Spiel. Und die wichtigsten von ihnen hängen mit den wirtschaftlichen, den Energieprojekten zusammen, die Moskau in der Türkei und in Europa geplant hat. Diese Projekte, denke ich, werden realisiert werden. Obgleich aus einer generellen, durch die Verteidigungsinteressen bestimmten Sicht, um den militanten Eifer Ankaras zu dämpfen, auch einschränkende Schritte im Bereich der militärischen Zusammenarbeit mit ihm, auf dem Gebiet des Tourismus usw. unternommen werden. Dies bezeichnet der eine oder andere im Westen als Elemente eines hybriden Krieges“.