Die Manöver der russischen Nordmeerflotte mit dem nach Kinderart liebevollen Namen „Umka-2021“ haben mit einem Schlag der Welt die Möglichkeit einer verdeckten Vorbereitung und Durchführung eines konzentrierten Nuklearschlages durch strategische Raketen-U-Boote demonstriert. Im Rahmen einer Arktis-Expedition der Russischen Geografischen Gesellschaft sind gleich drei Atom-U-Boote im Gebiet des Franz-Josef-Land-Archipels, unweit der Alexandraland-Insel gleichzeitig aus dem Meereswasser aufgetaucht. Zwei von ihnen waren Raketenträger des Projekts 667BDRM „Delphin“. Das dritte – der neueste Kreuzer „Fürst Wladimir“ des Projekts 955 „Borei-A“ (nach dem griechischen Windgott Boreas – Anmerkung der Redaktion). Insgesamt befanden sich an Bord der Schiffe 48 ballistische Raketen, die mit 288 nuklearen Gefechtsköpfen ausgerüstet sind.
Der Befehlshaber der Seekriegsflotte Admiral Nikolaj Jewmenow teilte mit, dass im Rahmen der Expeditionen 43 Maßnahmen vorgesehen seien. Durchgeführt seien bereits 35. Ein Teil gemeinsam mit der Russischen Geografischen Gesellschaft. Bei der Expedition sind über 600 Militärangehörige und Zivilisten mit rund 200 Arten von Bewaffnung sowie von Militär- und Spezialtechnik im Einsatz. Die Arbeit erfolgt unter rauen Klimabedingungen. Im Expeditionsgebiet beträgt die Durchschnittstemperatur derzeit rund minus 30 °C. Und die Stärke des Eispanzers übersteigt anderthalb Meter. Dabei erreicht der Wind an der Oberfläche eine Geschwindigkeit von 32 Metern in der Sekunde.
Der Befehlshaber der Seekriegsflotte betonte, dass es zu solch einem Ereignis erstmals in der Geschichte der Seekriegsflotte „entsprechend einer gemeinsamen Grundidee und einem gemeinsamen Plan zu einer festgelegten Zeit und im Gebiet mit einem Radius von 300 Metern“ gekommen sei: „der Flug eines Paares von MiG-31-Kampfjets im polarnahen Raum mit einem Auftanken in der Luft sowie mit einem Passieren des geografischen Punkts des Nordpols hin und zurück; ein praktisches Torpedo-Schießen eines sich unter dem Eis befindlichen Atom-U-Bootes mit einem anschließenden Landen eines praktischen Torpedos auf dem Eis, dessen Auffinden durch technische Mittel sowie Bergung und an die Oberfläche-bringen. Gleichfalls wurde eine taktische Übung einer Einheit der arktischen Mot.-Schützen-Brigade unter schwierigen meteorologischen Bedingungen mit einer Loslösung von den Hauptstützpunkten in einem unbekannten Gebiet durchgeführt“.
„Entsprechend den Ergebnissen der durchgeführten Maßnahmen haben die Muster der Waffen sowie Gefechts- und Spezialtechnik, die an den militärtechnischen Experimenten teilnahmen, insgesamt ihre taktisch-technischen Eigenschaften unter den Bedingungen des Hohen Nordens und der tiefen Temperaturen bestätigt“, meldete der Befehlshaber dem Obersten Befehlshaber Wladimir Putin.
„Umka“ am Pol
Die russischen Militärs sind in der Lage zu scherzen. Umka ist der Held eines Kindertrickfilms (aus der Sowjetunion, der 1969 in die Kinos kam – Anmerkung der Redaktion), ein kleiner Eisbär, der mit seiner Pfote die schwarze Nasenspitze verdeckt, damit man ihn im Schnee nicht sieht. Genauso haben auch unsere U-Bootfahrer gehandelt. Das Fahren im Eis ist ein überaus schwieriges Element der Gefechtsausbildung. In das Gebiet des Gefechtseinsatzes zu kommen ist nur das eine, die halbe Sache, man muss vom Prinzip her genau in dieses gelangen. Das Eis weist nicht nur eine (ordentliche) Stärke auf. Es reicht durch seine Stalaktiten bis zum Meeresgrund herab. Dafür sichert es im Falle der atomaren Raketenträger denen eine 100-%ige Tarnung. Die Kielwasserspur eines in einer Tiefe von selbst 100 Metern fahrenden U-Bootes wird heute von Satelliten erfasst. Ja, aber das Eis macht deren Bewegung unsichtbar.
US-amerikanische Seeleute haben in den vergangenen Jahren mehrfach die Möglichkeit einer verdeckten Realisierung der Hauptgefechtsaufgabe im Rahmen der ICEX-2018-Manöver, an denen gleichfalls britische U-Boot-Fahrer und kanadische Fliegerkräfte teilgenommen hatten, demonstriert. Damals waren im Gebiet von Alaska das Mehrzweck-Atom-U-Boot der Seawolf-Klasse USS Connecticut, das in Bangor (US-Staat Washington) seinen Heimathafen hat, das U-Boot USS Hartford, das in Groton (US-Staat Connecticut) stationiert ist, aber auch das britische HMS Trenchant aufgetaucht. Sie alles sind mit Torpedos und Tomahawk-Flügelraketen, die in der Lage sind, Kernsprengköpfe zu tragen, ausgerüstet. Im vergangenen Jahr haben die U-Boote USS Toledo und USS Connecticut die Tour wiederholt.
„Die Arktis ist ein potenzieller strategischer Korridor zwischen der Indo-Pazifischen Region, Europa und den USA. Die U-Boot-Kräfte müssen die Bereitschaft aufrechterhalten, wobei sie unter arktischen Bedingungen handeln, um einen Schutz der Interessen und nationalen Sicherheit zu garantieren, aber auch das Kräftegleichgewicht in der Region und in Europa, wenn erforderlich, aufrechterhalten, teilte zu den Ergebnissen der Manöver Vizeadmiral Daryl L. Caudle, Befehlshaber der U-Boot-Kräfte der US Navy, mit.
Die russischen U-Bootfahrer revanchieren sich sozusagen. Freilich, das letzte Auftauchen mit einer Demonstration der Möglichkeiten erfolgte unsererseits 1997. Damals hatte der strategische Raketenkreuzer des Projekts 941 „Severstal“ eine Fahrt zum Nordpol unternommen, war erfolgreich im Eis aufgetaucht und nahm den Trainingsstart einer ballistischen Rakete vor.
Heißes Eis
Vizeadmiral Daryl L. Caudle hat recht: Die Arktis wird in den letzten Jahren nicht einfach zu einem Korridor, der Europa und Asien verbindet, sondern auch zu einem potenziellen Schlachtfeld. Von der japanischen Hafenstadt Yokohama bis zum niederländischen Rotterdam beträgt der Seeweg ganze 7.300 Seemeilen gegenüber den 11.200 Seemeilen, wenn die Schiffe an den Küsten Südostasiens vorbei über den Indischen Ozean, das Rote Meer, durch den Suez-Kanal, über das Mittelmeer und die Nordsee fahren würden. Der Nördliche Seeweg erspart 13 Tage Fahrt. Allein im Jahr 2018 sind über diese Route 20,2 Millionen Tonnen Frachtgut befördert worden. Bis zum Jahr 2024 werden 80 Millionen Tonnen erwartet. Außerdem sind die nördliche Küstenregion Russlands und deren Territorialgewässer die ausgedehntesten Quellen von Kohlenwasserstoffen und anderen Bodenschätzen in der Welt. Die sich dort befindlichen Öl- und Gasvorräte werden durch Experten mit mehr als 30 Prozent von den weltweiten insgesamt beziffert.
Auf unsere Arktis erheben heute eine ganze Reihe von Ländern Anspruch. Die bereits erwähnten Vereinigten Staaten sind der Auffassung, dass diese Route eine internationale, das heißt eine kostenlose sein müsse. Wie merkwürdig es auch sein mag, diese Position vertritt ebenfalls China. Und weder die einen noch die anderen macht nicht verlegen, dass dies Territorialgewässer Russlands gemäß der UNO-Seerechtskonvention von 1982 sind. Die an die Arktis angrenzenden Staaten besitzen das souveräne Recht auf eine Erschließung und Ausbeutung der Tiefen in den Grenzen der ihnen gehörenden ausschließlichen Wirtschaftszonen (mit einer Breite von bis zu 200 Meilen) und des kontinentalen Schelfs (mit einer Breite von bis zu 350 Meilen), obgleich diese Regionen der Arktis nicht zu deren Staatsterritorien gehören.
Gerade aufgrund der sich herausbildenden Situation hat Russland eine aktive Militarisierung der Region begonnen. Gegenwärtig sind im Norden Russlands sechs Militärstützpunkte eingerichtet worden – auf den Inseln Kotelny (Neusibirische Inseln), Alexandraland (gehört zum Archipel Franz-Josef-Land), Sredny (Sewernaja Semlja), aber auch in der Siedlung Rogatschjowo (Nowaja Semlja), auf dem Kap Schmidt und der Wrangel-Insel (gehören zum Autonomen Bezirk Tschukotka). Außer ihnen gibt es mehr als ein Dutzend von Militärflugplätzen, Positionen von Raketenabwehrsystemen und Militärhäfen. All dies soll die Unantastbarkeit unseres Territoriums sichern.
Der Atem von „Borei“
Die U-Bootes des Projekts 667BDRM bilden die Grundlage der maritimen Komponente der Kräfte des Landes zur nuklearen Zügelung. Bis zur vollwertigen Indienststellung der Schiffe der neuen Generation des Projekts 955 „Borei-A“ mit den „Bulawa“-Raketen tragen gerade sie die Last für unsere strategische Sicherheit. Die „Delphin“-U-Boote sind 1984 erstmals auf Kiel gelegt worden. Derzeit befinden sich im Bestand der Seekriegsflotte sieben Schiffe dieser Klasse. In der Mitte der Nulljahre haben sie alle eine ernsthafte Modernisierung durchlaufen. Auf den Schiffen wurden vollkommen die elektronischen Anlagen und die Funkortungssysteme ausgetauscht. Erneuert wurden die Mechanismen der Antriebs- und Steuergruppe. Die Schiffe erhielten die neuen ballistischen Raketen „Sineva/Liner“. Dies ist eine der effektivsten strategischen Waffen in ihrer Klasse hinsichtlich des Kriteriums „Masse der Rakete gegenüber der Abwurfmasse“. Mit ihren 40 Tonnen transportiert sie über eine Entfernung von mehr als 11.000 Kilometern bis zu zehn Kernsprengköpfe.
Die Atom-U-Boote des Typs „Borei“ sind eine nicht weniger schreckliche Waffe. An Bord eines Schiffes sind 16 ballistische Raketen des „Bulawa“-Komplexes. Derzeit befinden sich auf der Werft des Sewerodwinsker Maschinenbaubetriebs „Sewmasch“ die folgenden U-Bootes des Projekts 955A „Borei-A“ in einem unterschiedlichen Fertigungszustand: „Fürst Oleg“, „Generalissimus Suworow“, „Zar Alexander III.“ und „Fürst Posharskij“. Es wird erwartet, dass bis zum Jahr 2022 alle U-Boote an das Verteidigungsministerium übergeben werden.
Neben den strategischen „Borei“-Schiffen wird in dem Betrieb eine Serie von atomaren Kampf-U-Booten des Projekts 885M „Yasen-M“ gebaut. Dies sind die „Kasan“, „Nowosibirsk“, „Archangelsk“, „Perm“ und „Uljanowsk“. Wie auch im Fall mit den „Borei“-Booten wird erwartet, dass alle „Yasen“-U-Boote bis Ende des Jahres 2022 der Seekriegsflotte Russlands übergeben werden. Beide U-Boot-Typen werden die Schlagkraft unserer atomaren Flotte ausmachen. Sie werden in der Lage sein, sowohl die Aufgaben zu einer nuklearen Zügelung als auch zur Kontrolle der Schifffahrt auf dem gesamten Nördlichen Seeweg zu lösen.
Eines der wichtigsten Details der Manöver „Umka-2021“ besteht darin, dass die Fahrt unserer Boote zum Kältepol von keinen zusätzlichen Vorbereitungsmaßnahmen begleitet wurde. Die US-amerikanischen Seeleute sichern sich bei der Umsetzung einer analogen Aufgabe stets ab. Vor dem Auftauchen aus den Meerestiefen wird das entsprechende Gebiet von einem Hubschrauber aus untersucht. Von ihm aus wird die Eis-Situation bestimmt. Und danach wird an der Stelle, die sich am besten für die Durchführung des entsprechenden Manövers eignet, ein Ortungssender positioniert. Anhand dieses bestimmt im Grunde genommen auch die U-Boot-Crew die Stelle für das Auftauchen. Die russischen Besatzungen lösen die Aufgabe selbständig ohne eine anderweitige Hilfe. Und dass sich die drei U-Boote auch noch auf parallelen Kursen in einem Radius von 300 Metern zueinander befunden haben, belegt das überaus hohe Niveau der Gefechtsausbildung der Crews. Bisher hat dies kein anderer demonstriert und wird es wohl in der nächsten Zeit auch nicht wiederholen können.