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Äußerst statisch und ohne Poesie


Die Oper „Der Dämon“ ist für die russische Musik ein ungewöhnlich wichtiges Werk. Forscher betonen, dass in Vielem aus ihm, der ersten russischen lyrischen Oper (die ihre Premiere 1875 erlebte – Anmerkung der Redaktion), „Eugen Onegin“ herausgewachsen sei (die Peter-Tschaikowski-Oper wurde erstmals im März 1879 aufgeführt – Anmerkung der Redaktion). Zumindest im abschließenden Duett sind genau Ähnlichkeiten zu erahnen – sowohl hinsichtlich des Orts in der Form eines Ganzen als auch hinsichtlich der leidenschaftlichen Intonation.

Mit dem Verstreichen der Zeit – und dem Auftauchen neuer Namen – rückte die bekannteste Oper von Anton Rubinstein in den Hintergrund. In den letzten fünfzig Jahren haben sich die Theater und Inszenierungskollektive, im Großen und Ganzen berechtigt auf die unscharfe Dramaturgie verweisend, nicht gerade oft ihr zugewandt. Die Moskauer erinnern sich natürlich an die halbszenische Version, die durch Dmitrij Bertman mit Dmitrij Chworostowskij und Asmik Grigorjan inszeniert worden war.

Interessant ist, dass sich Wladimir Urin das zweite Mal in den letzten zwanzig Jahren der Oper „Der Dämon“ zuwendet. In der Ära seiner Direktorentätigkeit wurde das Werk im Stanislawskij- und Nemirowitsch-Dantschenko-Musiktheater inszeniert, und jetzt – auf der Neuen Bühne des Bolschoi-Theaters. Den „Dämon“ vertraute man dem Regisseur Wladislaw Nastawschews und dem Dirigenten Artjom Abaschew an. Ihre nicht stattgefundene Zusammenarbeit in der Permer Oper – übrigens bezüglich der Oper „Eugen Onegin“ – wurde nun in Moskau zu einer Realität.

Nastawschews, Autor der Inszenierung der „Perlenfischer“ auf der Bühne des Pokrowskij-Kammermusiktheaters (seit einigen Jahren Teil des Bolschoi-Theaters und derzeit aufgrund einer umfassenden Rekonstruktion geschlossen – Anmerkung der Redaktion), erhielt eine zweite Inszenierung, bereits auf der Neuen Bühne. Die von ihm vorgeschlagene Konzeption ist interessant, wenn auch nicht exklusiv. Er schlägt das Verfahren „Theater im Theater“ vor, bei dem die Funktionen der Künstler und Zuschauer zusammenwachsen. Der Dämon ist hier eine dunkle Materie, ein böses Genie, eine zerstörende Kraft. Indem der Regisseur das Theater-Thema offeriert, distanziert sich der Regisseur aber scheinbar auf paradoxe Weise vom Theater. Die Inszenierung ist äußerst statisch – infolge des von Nastawschews selbst vorgeschlagenen Bühnenbildes, das wie ein Spiegel das Zuschauerparkett der Neuen Szene reflektiert. Der Regisseur ist scheinbar an einem Scheideweg steckengeblieben. Er distanziert sich bewusst vom psychologischen Theater, wobei er mit halb angedeuteten Anspielungen, und Bildern agiert, lediglich die Funktionen der Personen umreißt, sie aber nicht entwickelt. Wir begreifen nur im Allgemeinen, dass die Platzanweiserinnen die Engel sind, eine von ihnen ist gar auch die Amme Tamaras (Alina Tschertasch, die ein zauberhaftes Timbre besitzt), ein anderer – ein alter Diener des Fürsten von Sinodal, dass Tamara die Künstlerin ist, der Chor – Freundinnen und Einwohner des Auls. Aber ihre Motive, die Logik ihres Verhaltens – dies liegt außerhalb der Entscheidung des Regisseurs. Das heißt: Eine Geschichte, die – sagen wir einmal – Dmitrij Tschernjakow bis ins kleinste Detail im Rahmen des vorgegebenen Themas entwickeln könnte, gibt es hier nicht. Tschernjakow wird hier nicht ohne Grund erwähnt: Es scheint, dass diese Inszenierung eine Hommage auf seinen beispiellosen Marsch der Platzanweiserinnen mit Blumenkörben bei der Wiedereröffnung der Historischen Bühne des Bolschois nach mehrjähriger Rekonstruktion ist.

Es gibt aber auch keine Poesie. Es scheint, dass wir die Helden, ihr Hin und Her, ihre Leiden und Empfindungen, wenn nicht begreifen, so spüren sollen. Doch oh weh, entweder ist das Kaliber der Darsteller nicht das (gebraucht wird ein Star mit einer ordentlichen Portion Charisma) oder der beabsichtigte Gedankengang des Regisseurs… Da ist der Dämon (Andrej Potaturin) ein Biker, eine romantische, eine furchtlose Figur, die herausfordert. All dies muss sich der Zuschauer selbst erschließen, da die zwei Dutzend langsamen Fahrten aus einer Kulisse in die andere, ja und auch noch mit einem leidenschaftslosen Gesichtsausdruck, lediglich Langeweile aufkommen lassen. Irina Latschina (Tamara) schuf eine etwas sensiblere Figur. Aber sie hatte auch mehr Aufgaben. Schließlich musste sie sowohl eine Braut darstellen, die am Vorabend der Hochzeit von Gedanken über einen anderen gepeinigt wird, als auch eine Primadonna, die leider nicht den Prüfungen durch den Ruhm standhält und ums Leben kommt (nach einem Kuss durch den Dämon im dritten Akt sinkt sie tot zu Boden – Anmerkung der Redaktion). So, dass der Berg von Blumensträußen sowohl zu Momenten einer Anerkennung als auch zu einem Grab wird. Originell ist, dass in dieser „Poetik des Sterbens“ (Definition des Regisseurs) die Platzanweiserinnen zu Totengräberinnen und Klageweibern werden. Nastawschews idealisiert dieses Bild nicht, von ihnen geht keine engelsgleiche Ehrfurcht aus. Und die hauptsächlichste springt so auch überhaupt auf das Motorrad zum Dämon bereits im ersten Akt auf. Die Platzanweiserinnen bedecken die Sessel mit einem Tuch, silberfarben wie der Schnee auf den Gipfel der Kaukasus-Berge, wobei sie den Prinzen von Sinodal zudecken.

Die Inszenierung rettet der Dirigent, der im „Dämon“ sowohl ein Drama (das Duett im Finale) als auch Lyrisches (ein glänzender Bekhsod Dawronow mit der Arie des Fürsten Gudal), sowohl eine erhebende Pathetik („Im Himmelsozean“) als auch eine verborgene Trauer (der Chor mit „Eine dunkle Nacht“) sowie Eleganz (Szene der Tänze) findet. Im Großen und Ganzen rehabilitiert er sowohl die Partitur Rubinsteins und führt vom Monotonen des Geschehens auf der Bühne weg. Artjom Abaschew, der vor einem Jahr das Amt des Chefdirigenten des Permer Operntheaters verlassen hatte, hat ein Glückslos gezogen. Das Bolschoi-Theater hatte dringend einen Ersatz für das Repertoire gesucht, dass Tugan Sochijew (war bis Anfang März 2022 Chefdirigent im Bolschoi und gab dieses Amt im Zusammenhang mit der von Präsident Putin befohlenen militärischen Sonderoperation in der Ukraine auf – Anmerkung der Redaktion) betreut hatte. „Rusalka“, „Carmen“, „Don Giovanni“. Und da erhielt der Maestro eine eigene Inszenierung. Man möchte gern glauben, dass diese nicht die letzte ist.