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Belousow wird wohl die zivile Kontrolle in Bezug auf die Armee reanimieren


Nach Konsultationen im Föderationsrat (dem russischen Oberhaus), wo die Kandidaten für die Posten der Leiter der sogenannten Power-Strukturen und des Außenministers in der neuen Regierung aufgetreten waren, ernannte Russlands Präsident Wladimir Putin Andrej Belousow zum neuen Verteidigungsminister. Damit löste der 65jährige, der nie in der Armee gedient hatte, den bisherigen Verteidigungsminister Sergej Schoigu ab (der zum Sekretär des Sicherheitsrates Russlands ernannt wurde). Und bereits am 15. Mai wurde der studierte Wirtschaftsfachmann bei einer Tagung des Kollegiums des Verteidigungsministeriums der Führung der Streitkräfte Russlands vorgestellt.

Schon am 14. Mai hatte Andrej Belousow erzählt, welche Aufgaben nach seiner Meinung vor dem Verteidigungsministerium stehen würden, wobei er unter anderem die „Ausrüstung der agierenden Gruppierung“ mit Waffen, die „Absicherung der Lieferungen von Fernmeldemitteln, Drohnen und funkelektronischen Kampfmitteln“ nannte. Noch eine Priorität sei das Trainieren neuer Formen für das Führen von Kampfhandlungen. Wie Belousow betonte, „lernt der Gegner schnell“ und setze unter anderem neue Technologien ein. Und notwendig seien vorbeugende Maßnahmen. Als noch eine Aufgabe bezeichnete er die Auffüllung der Streitkräfte der Russischen Föderation. „Ich möchte speziell für die Journalisten unterstreichen, dass es nicht um eine Mobilmachung geht, um irgendwelche außerordentliche Maßnahmen. Es geht um planmäßige Maßnahmen“, sagte Belousow, wobei er betonte, dass „dieser Prozess bereits in Gang gesetzt wurde – sowohl eine Einberufung von Bürgern wie auch, was besonders wichtig ist, das Unter-Vertrag-nehmen (die Gewinnung von Menschen auf der Grundlage von Verträgen – „NG“).

Gleichfalls müsse man sich, wie er erklärte, mit Fragen im Zusammenhang mit der Militärausbildung befassen. Wie Belousow betonte, gebe es in diesem Bereich „bestimmte Probleme“, obgleich der frühere Verteidigungsminister Sergej Schoigu und seine Kollegen „eine sehr große Arbeit geleistet haben“.

„Belousow hat erstmals seit den letzten zwölf Jahren klar gemacht, dass wir in der Armee Probleme mit der militärischen Ausbildung haben. Diese Probleme wurden zu Zeiten von Anatolij Serdjukow hervorgebracht (er hatte von 2007 bis 2012 das Amt des Verteidigungsministers bekleidet)“, meinte gegenüber der „NG“ der Militärexperte und Generalleutnant im Ruhestand Jurij Netkatschjow. „Unter ihm war faktisch für mehrere Jahre die Erfassung für die Militärhochschulen eingestellt worden, darunter für die Piloten-Schulen“. Der Experte lenkte die Aufmerksamkeit darauf, dass in den Jahren 2010-2013 mehrere hunderte Offiziersschüler aus Kiew zum Studium in Pilotenschulen der Streitkräfte der Russischen Föderation für eine Ausbildung an Mi-8- und Mi-24-Hubschraubern, an Su-24-, Su-25- und MiG-29- sowie anderen Flugzeugen entsandt worden waren. Jetzt nehmen viele von ihnen an den Kampfhandlungen gegen die Russische Föderation teil. Und einige lernen in den USA und anderen NATO-Ländern, westliche Flugtechnik zu nutzen. „Die Ausbildung von Flug-Spezialisten und Spitzenkräften ist eine schwierige und kostspielige Aufgabe und erfordert Zeit. Unter Schoigu hatte man versucht, deren Lösung zu beschleunigen. Nunmehr wird dies, hoffe ich, Belousow tun“, erklärte Netkatschjow.

Man kann wohl kaum das als einen Zufall bezeichnen, dass der Wechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation von spektakulären Verhaftungen hochrangiger Beamter erfolgt, die der Korruption verdächtigt werden. Laut Meldungen der Medien sind sowohl gegenüber dem Chef der Hauptverwaltung für Personalfragen, Generalleutnant Jurij Kusnezow, als auch gegenüber dem Vizeverteidigungsminister Timur Iwanow Anklage aufgrund von Taten erhoben worden, die vor einigen Jahren begangen wurden. „Im Föderationsrat auftretend, nannte Andrej Belousow erstrangige Probleme, die bei der sozialen Absicherung der Militärs und ihrer Familienangehörigen gelöst werden müssen. Dabei wurde Probleme erwähnt, die mit der medizinischen Versorgung zusammenhängen. Dafür war im Verteidigungsministerium bis vor kurzem gerade Timur Iwanow verantwortlich, der verhaftet wurde“, betonte Jurij Netkatschjow.

Der Kreml demonstriert, dass nicht eine einzige Straftat in den Leitungsstrukturen des Verteidigungsministeriums ungestraft bleiben wird. Der aus zivilen Strukturen gekommene Andrej Belousow wird dies erreichen müssen, indem er eine wirksame Kontrolle der Verwendung der staatlichen Mittel gewährleistet. Dabei sehe man im Kreml, wie der Pressesekretär des russischen Präsidenten, Dmitrij Peskow, mitteilte, kein Risiko einer Desorganisierung der Führung der Truppen im Ergebnis der personellen Umbesetzungen und der Festnahme einiger Führungskräfte des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation.

„Unter den Bedingungen, unter denen die meisten Militärs der Streitkräfte Russlands stündlich ihr Leben riskieren, in der Zone der militärischen Sonderoperation kämpfen, ist eine reale Bekämpfung der Korruption im militärischen Bereich ein mächtiger Stimulus zur Stärkung des moralischen Geistes des Personalbestands der Armee“, meint der Militärexperte und Oberst im Ruhestand Wladimir Popow.

Die Veränderungen in der Regierung und die Auswechselung an der Spitze des Verteidigungsministeriums in der Russischen Föderation wurden mit der Eröffnung einer neuen Front im Norden der Ukraine und von erfolgreichen Handlungen in dieser und an anderen Richtungen begleitet. Die Streitkräfte Russlands setzen die Offensivhandlungen in der Richtung von Charkiw fort und führen aktive Gefechte an anderen Frontabschnitten. Laut Angaben des Verteidigungsministeriums hätten Einheiten der Truppen-Gruppierung „Norden“ im Ergebnis aktiver Handlungen mehrere Ortschaften des Verwaltungsgebietes Charkiw unter ihre Kontrolle gebracht und seien weiter in die Tiefe der Verteidigungsstellungen der Streitkräfte der Ukraine vorgedrungen. Laut Berechnungen von Experten hätte die Truppen-Gruppierung „Norden“ zehn Ortschaften und über 186 Quadratkilometer ukrainischen Territoriums unter ihre Kontrolle gebracht. Derweil führte die ukrainische Armee weiterhin Schläge gegen russische Grenzgebiete, insbesondere gegen das Verwaltungsgebiet Belgorod.

Die US-amerikanische Zeitung „The New York Times“ zitierte den Chef der Hauptverwaltung für Aufklärung des ukrainischen Verteidigungsministeriums, Kirill Budanow (der in der Russischen Föderation ins offizielle Register der Terroristen und Extremisten aufgenommen wurde), der erklärt hatte, dass die Situation bei Charkiw grenzwertig sei. Jede Stunde nähere sich die Situation einer kritischen. In einem Gespräch mit Journalisten des amerikanischen Blattes erklärte Budanow aus einem Bunker bei Charkiw, dass es sehr schwer sei, neue Kräfte für die ukrainischen Streitkräfte zu finden. „All unsere Truppen sind derzeit entweder hier oder in Tschasiw Yar“, erklärte er. Tschasiw Yar ist eine strategisch wichtige Stadt in der Donezker Volksrepublik, unweit von Awdejewka. In deren Umgebung erfolgen gegenwärtig ebenfalls aktive Angriffshandlungen der russischen Truppen. Der Chef der Hauptabteilung für Aufklärung ist der Auffassung, dass die Streitkräfte der Russischen Föderation in den nächsten Tagen eine neue Offensive im Verwaltungsgebiet Sumy beginnen könnten.

Post Scriptum

Während seines jüngsten China-Besuches kommentierte Russlands Präsident Wladimir Putin auch die Situation im Gebiet Charkiw. Auf eine entsprechende Frage russischer Journalisten erklärte er, dass eine Einnahme dieses ukrainischen Verwaltungsgebietes derzeit nicht geplant sei. Überdies sei Kiew selbst für die dortige Lage verantwortlich, da von dort aus das Gebiet Belgorod ständig beschossen werde. Und Russland unternehme daher Anstrengungen, um eine Sicherheitszone, eine Art Cordon Sanitaire zu schaffen.

Dass Russland massive Anstrengungen unternimmt, um die Energiewirtschaft der Ukraine lahmzulegen bzw. zu zerstören, ist bekannt. Fast alle Wärmekraftwerke sind von russischen Truppen beschossen und beinahe komplett zerstört worden, was ukrainische Offizielle selbst eingestanden haben. Ja, und am Sonntag wurde bekannt, dass wohl die nächsten Objekte russischer Raketenangriffe Anlagen der Gasversorgungsinfrastruktur der Ukraine werden. So soll bereits im April die Verdichterstation Bilče-Volica im Verwaltungsgebiet Lwow zerstört worden sein, meldete das russischen Regierungsblatt „Rossijskaja Gazeta“. Dies ließ Sachkundige sofort aufhören, da diese Station für die Aus- und Einspeicherung des dortigen Untergrundgasspeichers zuständig ist. Und dieser ist immerhin mit einer Kapazität von 17 Milliarden Kubikmeter der größte in der Ukraine und Europas zweitgrößter. Überdies hatte die Ukraine mehrfach angeboten, diesen für die Zwischenlagerung von Erdgas der EU-Länder zur Verfügung zu stellen. Laut Informationen der Redaktion „NG Deutschland“ soll dies auch bereits der Fall sein. Offizielle in der Ukraine haben bisher nicht bestätigt, dass die Situation in Bilče-Volica so katastrophal sei. Eingestanden wurden nur Schäden.