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Cherson gibt man weder auf, noch wird es gestürmt


Die Spannung um Cherson nimmt immer noch zu. Am 3. November meldeten sowohl russische als auch ukrainische Medien aus der Gebietshauptstadt: Die Offiziellen der Russischen Föderation evakuieren weiterhin Einwohner der Stadt vom rechten Ufer des Dnepr. Die Verwaltung von Cherson ist in eine andere Stadt umgezogen, was durch die eingezogene russische Flagge auf dem Hauptgebäude der Cherson-Administration sinnfällig unterstrichen wird. Sowohl in Moskau als auch in Kiew ist man jedoch der Auffassung, dass die russische Armee das strategisch wichtige Territorium nicht einfach so aufgeben werde. Dabei steht man im Generalstab der Streitkräfte den Informationen skeptisch gegenüber, wonach die Stadt kampflos durch die russischen Truppen aufgegeben werde, wobei die Meldungen über ein Zurückweichen als ein Teil der Informationsgefechte angesehen wird.

Die Erklärung, wonach vom Gebäude der Verwaltung des Verwaltungsgebietes Cherson die russische Flagge verschwunden ist, hatte die Medien in Aufregung versetzt, aber auch Nutzer der sozialen Netzwerke. Später erläuterten die prorussischen örtlichen Offiziellen, dass das Gebäude angeblich schon lange nicht mehr genutzt werde. Und es sei bereits zum Zeitpunkt der Besetzung der Stadt durch russische Truppen konserviert worden. Und in der Regierung des Gebietes Cherson erklärte man, dass die Verwaltung bereits in der vergangenen Woche nach Genitschesk verlegt worden sei.

Der stellvertretende Verwaltungschef des Cherson-Gebietes und vom russischen Staatsfernsehen gern vorgeführte Kirill Stremousow hat jedoch eine Erklärung abgegeben, wonach die russischen Truppen „wahrscheinlich auf das linke Ufer des Dneprs gehen werden“. Einheimische Autoren berichten in den sozialen Netzwerken über das Verlassen von Blockposten in Tschernobajewka, Stepanowka und Beloserka. All diese Nachrichten haben Beobachter veranlasst, sich über die Zukunft von Cherson Gedanken zu machen, das man für die russische Armee als einen aus strategischer Sicht extrem wichtigen Brückenkopf für die Perspektive einer Offensive gegen Nikolajew und Odessa bezeichnet hatte.

„Ich weiß nicht, warum die russische Flagge vom ehemaligen Gebäude der Regierung des Verwaltungsgebietes Cherson verschwunden ist, doch diese Erscheinung ist keine systembedingte. Über anderen Verwaltungsgebäuden und Lehreinrichtungen wehen die Trikoloren“, konstatierte der Militärkorrespondent Alexander Koz von der kremlnahen Moskauer Tageszeitung „Komsomolskaja Prawda“.

Und noch ein Militärkorrespondent, der 37jährige Semjon Pegow, erklärte, dass der Stadt eine schwere Zeit bevorstehe. „Was dies auch bedeuten mag, die Stadt erwarten sehr schwere Zeiten. Eine schwere Schlacht. Dieses Mal besteht jedoch das Verständnis dafür, dass wir uns zumindest auf sie vorbereiten“, erklärte er. Am Donnerstag meinte auch Russlands Präsident Wladimir Putin, dass man die Menschen aus Cherson herausbringen müsse, da dies eine Zone der gefährlichsten Kampfhandlungen sein werde.

Die Handlungen der russischen Armee in Cherson können die Zukunft des Befehlshabers der Vereinten Gruppierung der russischen Truppen im Bereich der Durchführung der Sonderoperation, Sergej Surowikin, bestimmen. „In der nächsten Zeit werden Sergej Surowikin ernsthafte Prüfungen erwarten, besonders in der Cherson-Richtung“, meinte Alexander Chodakowskij, Kommandeur der Brigade „Vostok“ („Osten“). „Was immer auch geschehen mag, dies wird für immer in seiner Biografie bleiben und wird im Weiteren sein Schicksal bestimmen“.

Derweil beeilen sich die ukrainischen Militärs nicht, sich über die Nachrichten aus Cherson zu freuen, da sie sich sicher sind, dass dies eine Provokation sein könne, um den Eindruck zu erwecken, dass Ortschaften aufgegeben wurden und dass ein Einrücken in sie ungefährlich sei“, erklärte Natalia Gumenjuk, die Leiterin des vereinigten Koordinations- und Pressezentrums der Verteidigungskräfte des Südens der Ukraine. „Unter Berücksichtigung dessen, dass sie sich schon lange auf Straßengefechte vorbereitet haben, darauf, wie sie ihre Einheiten dislozieren werden, sind wir uns der geplanten Taktik der Handlungen bewusst. Und es macht keinen Sinn, sich zu beeilen und zu erfreuen. Man muss begreifen, dass ein Hybrid-Krieg auch solche Informationsenten vorsieht, Attacken, die auf eine Schwächung der Truppen abzielen“.

Die Situation in der Zone der Sonderoperation verfolgen auch Autoren russischer gesellschaftspolitischer Telegram-Kanäle. „Unsere Kräfte auf dem rechten Ufer machen zehntausende Menschen aus, tausende Fahrzeuge, angehäufte Reserven – zehntausende Tonnen. Wenn man beginnen würde, dies alles abzuziehen (was an und für sich eine Operation für viele Tage ist, selbst bei Ausbleiben von Gefechten), hätte man dies augenblicklich mit allen Aufklärungsmitteln, angefangen mit satellitengestützten, ausgemacht, und alles wäre bereits allgemein zugänglich gemacht worden. Dem ist nicht der Fall“, betont „Adäquat“ (https://t.me/politadequate). „Die schwierigen Entscheidungen zu Cherson hat Surowikin von der militärtaktischen Lage abhängig gemacht. Innerhalb der zweieinhalb Wochen ab dem Tag, als dies erklang, sind keine Anzeichen für eine Verschlechterung der Lage auszumachen. Es gibt keinerlei Vorrücken des Gegners, er erleidet regelmäßig Verluste. Unsere Verteidigung wird weiterhin verstärkt“.

„Der Morgen in der Ukraine beginnt nicht mit einem Kaffee: Ein Luftalarm ist erneut gleich in mehreren Verwaltungsgebieten vor dem Hintergrund der routinemäßigen russischen Schläge gegen das ukrainische Stromversorgungssystem ausgelöst worden“, konstatierten die Autoren des Kanals „Gedanken laut geäußert“ (https://t.me/mysly). „Das Gebäude des Außenministeriums der Ukraine ist nicht mehr an die kommunalen Netze angeschlossen, teilte der Außenminister mit“.