Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Dagestans Muftiat verbietet per Fatwa die Beschneidung von Mädchen


Das Muftiat der russischen Teilrepublik Dagestan hat eine Fatwa veröffentlicht, in der es die verstümmelnden Operationen an weiblichen Geschlechtsorganen als nicht den Normen des Islams entsprechende anerkannte. Mehrere Jahre hatten Menschenrechtler für ein Verbot der Beschneidung von Frauen und Mädchen gekämpft, das laut ihren Angaben in Dagestan verbreitet ist, besonders in abgelegenen Siedlungen. Sie hatten lange nach einer Verurteilung dieser Praxis durch den offiziellen dagestanischen Klerus gestrebt. Und nun haben Spezialisten für moslemisches Recht und Theologie eine Entscheidung faktisch über die Unzulässigkeit derartiger Operationen gefällt.

Zu einem Katalysator dieser Entscheidung wurde wahrscheinlich ein Fragment aus einem Interview, dass der Imam aus Machatschkala Magomed Kurbandibirow im vergangenen Herbst Journalisten gewährt hatte. Er erklärte darin, dass im Islam die Beschneidung von Mädchen und Frauen begrüßt werde und man die Operation als Durchführung eines Ritus wahrnehmen müsse. Diese Worte hatten wahrscheinlich die Autoren der Fatwa des dagestanischen Muftiats im Blick, als sie schrieben: „Im Internet wurde ein Video verbreitet, in dem eine falsche Antwort auf diese Frage die öffentliche Meinung aufwühlte. Aber die falsche Auslegung der Frage ist durch die Nichtaktualität dieser Erscheinung in der Gesellschaft und dementsprechend durch die fehlende Unerforschtheit des Themas ausgelöst worden“.  

Weiter untersuchen die Theologen unterschiedliche Arten der chirurgischen Einflussnahme auf die Geschlechtsorgane, die das Sexualleben für eine Frau einschränken oder gänzlich unmöglich machen: „Alles oben Aufgezählte ist im Islam kategorisch verboten, da der Prophet, Allah segne und grüße ihn, sagte: „Füge dir selbst und auch anderen keinen Schaden zu!“. Sie räumen ein, dass in der islamischen Tradition das Thema der Beschneidung von Frauen und Mädchen existiere, doch die Frage laufe darauf hinaus, was unter diesen Manipulationen mit dem Organismus verstanden werde. Die Autoren der Fatwa beschreiben solch eine Art von Entfernung einen kleinen Stückchen Hauts, die keine lebenswichtigen Organe berühre und ihrer Meinung nach lediglich zu einem kosmetischen Ergebnis führe. „Ein Teil der Theologen betrachtet diese Prozedur als keine obligatorische“, heißt es im Wortlaut. Einschnitte an Organen entfernen oder vornehmen, die Lebensfunktionen erfüllen, ist verboten. Aber auch jenen chirurgischen Eingriff, den die dagestanischen Rechtsgelehrten für einen zulässigen halten, dürfe man nicht „unter halbprimitiven oder primitiven Bedingungen vornehmen. Und die Operationen müsse ein kompetenter Spezialist durchführen. Wahrscheinlich ist ein Mensch mit dem Diplom eines Arztes gemeint. 

„Die Fatwa ist ein sehr wichtiger Schritt zur Überwindung dieser Praxis in der Republik“, sagte gegenüber der „NG“ Saida Siraschudinowa, Präsidentin des Zentrums zur Erforschung globaler Fragen der Gegenwärt und regionaler Probleme „Kaukasus. Frieden. Entwicklung“. „Als wir an dem Problem arbeiteten, wobei wir verschiedenartige Seitenhiebe und Widerstand von allen Seiten erhielten und keine Unterstützung seitens der Zivilgesellschaft hatten, träumten wir nur über ein solches direktes und offenes Handeln seitens der religiösen Strukturen. Die Fatwa ist dazu angetan, zu einem Verzicht auf diese Praxis durch den Teil der Bevölkerung, die auf die Meinung des Muftiats hört, zu führen.“ „Gleichzeitig aber ist es noch verfrüht zu sagen, dass, da die Fatwa herausgegeben worden ist, es kein Problem mehr gibt“, schränkt die Expertin ein. „Wir wissen aus unseren Vorträgen (Berichten des Projekts „Rechtsinitiative“), dass bei weitem nicht alle die Beschneidung Praktizierenden sich von einem religiösen Motiv leiten ließen. Nun gibt es die Fatwa. Und mit ihr muss man weiter arbeiten. Denn die Praxis ist wirklich eine schädliche, unverständliche und unzweckmäßige. Sie hat den Frauen für das ganze Leben eine Narbe (und nicht nur physischer Art) hinterlassen, die es auch so nicht leicht haben“.

„Wir bewerten die neue Fatwa als keine eindeutige“, erklärte gegenüber der „NG“ die Senior Juristin des Projekts „Rechtsinitiative“, Tatjana Sawwina. „Einerseits erläutert sie, dass es kategorisch verboten sei, eine Klitoridektomie, eine Entfernung der großen und kleinen Schamlippen und eine Infibulation (das heißt verstümmelnde Operationen – VO – an den weiblichen Geschlechtsorganen der Typen I, II und III gemäß WHO-Klassifikation) durchzuführen. Dies sind die ernsthaftesten und für die Gesundheit schwersten Formen von VO. Daher ist es gut, dass die Fatwa direkt auf deren Verbot hinweist… Gleichzeitig damit erlaubt jedoch die Fatwa faktisch den sogenannten Typ IV der VO, zu dem alle übrigen Prozeduren gehören, die den weiblichen Geschlechtsorganen Schaden zufügen und keine medizinischen Indikationen besitzen, solche wie das Durchstechen, die Vornahme von An- bzw. Einschnitten, das Verbrennen oder Ätzen usw.“, erläutert die Expertin. „Gerade der IV. Typ ist am häufigsten in Russland anzutreffen. Die Position der UNO, der WHO, des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes und Russlands Gesundheitsministerium ist eindeutig: Alle Typen von VO müssen verboten werden, da sie alle eine schadenzufügende Praxis sowie eine Verletzung des Rechts auf Gesundheit und die Freiheit von Folterungen sind“.

„Es muss erläutert werden, dass die sogenannte Klitorisvorhautreduktion (die Entfernung eines Teils der Klitorisvorhaut), deren Durchführung die Fatwa erlaubt, ohne irgendwelche medizinischen Indikationen im Rahmen der ästhetischen Kosmetologie vorgenommen wird“, fährt Tatjana Sawwina fort. „Als Indikationen für eine plastische Operation an den Geschlechtsorganen werden gewöhnlich altersbedingte Veränderungen angegeben, Schlaffheit, eine Deformation nach Entbindungen u. a. Die Fatwa, die die Durchführung einer Klitorisvorhautreduktion erlaubt, legt keine Abgrenzungen zwischen Erwachsenen und Kindern fest. Es ist nicht ganz klar, wozu man eine Klitorisvorhautreduktion Mädchen im Alter von bis zu zwölf Jahren machen muss (am häufigsten macht man dies gerade im frühen Alter). Ein Mädchen an sich kann aufgrund des Alters die Folgen nicht begreifen und eine Zustimmung zu solch einen Eingriff geben. Daher wird solch eine Operation einen gewaltsamen Charakter trage. Und selbst hinsichtlich Volljähriger muss man berücksichtigen, dass die Mädchen einem starken sozialen Druck ausgesetzt werden, um den sozialen Normen ihrer Community zu entsprechen, in der die Beschneidung eine obligatorische ist. Deshalb kann man deren Fähigkeit anzweifeln, eine freiwillige Zustimmung, die frei von einem sozialen Druck ist, zu geben. So erzählte die Mutter eines 9-jährigen Mädchens, an dem man eine Beschneidung in Inguschetien vorgenommen hatte, dass sie selbst bereits im volljährigen Alter eine Beschneidung durchgemacht hätte, als sie heiratete, da im Batalchadschi-Clan, zu dem ihr Mann gehörte, die Beschneidung von Mädchen als eine obligatorische angesehen wird… Außerdem darf man die wahren Ursachen für die Vornahme einer „Beschneidung von Frauen und Mädchen“ nicht vergessen, die die Fatwa natürlich nicht erwähnt. Das einzige Ziel der „Beschneidung von Frauen und Mädchen“ ist die Unterdrückung der weiblichen Sexualität. Und dies wird weder von denjenigen, die sie durchführt, noch von einheimischen religiösen Führern bestritten“, resümiert die Juristin. Im Jahr 2016 hatte der Vorsitzende des Koordinationsrates der Moslems des Nordkaukasus, Mufti Ismail Berdijew, erklärt: „Man muss alle Frauen beschneiden, damit es keine Verderbtheit auf der Erde gibt und damit die Sexualität verringert wird“.

Weiterführende Informationen: https://frauenrechte.de/unsere-arbeit/themen/weibliche-genitalverstuemmelung/allgemeine-informationen/fgm-in-asien/2217-russland-dagestan