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Das letzte „Avantgarde“-Geheimnis wurde preisgegeben


Am Tag des Waffenbauers nannte Präsident Wladimir Putin erstmals den Namen des Konstrukteurs, der zum Ideologen für die Entwicklung einer Superwaffe – des manövrierbaren nuklearen Hyperschallblocks „Avantgarde“ – geworden war. Es handelt sich dabei um den Ehren-Generaldirektor und Ehren-Generalkonstrukteur der Wissenschaftlichen Produktionsvereinigung für Maschinenbau Herbert Jefremow. Dieser Mann hat nicht nur das Kräftegleichgewicht auf dem Gebiet der nuklearen Zügelung der USA verändert, sondern auch einen Impuls für die Entwicklung von durchaus friedlichen zivilen Technologien, die die Zukunft der technologischen Entwicklung Russlands bestimmen, gegeben. Der Waffenbauer aus dem Moskauer Vorort Reutow wurden mit dem höchsten Orden der Russischen Föderation, mit dem Orden des Heiligen Apostels Andreas mit Schwertern — für „herausragende Verdienste bei der Entwicklung der Raketen- und Kosmos-Branche und die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit des Landes“ ausgezeichnet. 

Bei der Unterzeichnung des Erlasses über die Auszeichnung erklärte Wladimir Putin, dass die von Herbert Jefremow geleistete Arbeit hinsichtlich des Maßstabs mit der Realisierung des nuklearen und des Raketenprojekts durch die Sowjetunion, die die herausragenden sowjetischen Wissenschaftler Igor Kurtschatow und Sergej Koroljow verwirklicht hatten, vergleichbar sei. Der Präsident erinnerte daran, dass der Ausstieg der USA aus dem Raketenabwehrvertrag (ABM-Vertrag) im Jahr 2002 Russland gezwungen habe, die Entwicklung von Hyperschallwaffen zu beginnen. Dank dem habe Moskau heute Waffen, zu denen es in der Welt nichts Analoges gebe und die unsere Sicherheit garantieren würden.

„Wir mussten diese Waffen als Antwort auf die Entfaltung des strategischen Abwehrsystems durch die USA schaffen, das in der Perspektive in der Lage gewesen wäre, unser ganzes Nuklearpotenzial faktisch zu neutralisieren, zunichte zu machen. Und jetzt besitzt Russland erstmals in unserer neuesten Geschichte die modernsten Waffenarten, die hinsichtlich der Stärke, Schlagkraft, Geschwindigkeit und — was sehr wichtig ist – hinsichtlich der Präzision um ein Mehrfaches alle bisherigen und heute existierenden übertreffen. Solche Waffen hat keiner in der Welt. Auf jeden Fall bisher nicht“, betonte der russische Staatschef. 

Skeptiker können sagen, dass die zwei strategischen Raketen UR-100NUTTKh oder gemäß der westlichen Klassifizierung SS-19 Mod 4 Stiletto mit dem Gefechtsblock „Avantgarde“, die in der Siedlung Dombrowskij des Verwaltungsgebietes Orenburg stationiert wurden, keinen Umbruch bewirken. Die Rakete wurde 1967 im Konstruktionsbüro der Wissenschaftlichen Produktionsvereinigung für Maschinenbau unter der Leitung von Wladimir Tschelomej entwickelt. 1975 wurde sie in die Bewaffnung aufgenommen. Für ihre Zeit war sie eine der effektivsten. Bei einer Reichweite von 10.000 Kilometern konnte sie Ziele mit einer Präzision von plus-minus 350 Metern vernichten. Für nukleare Gefechtsköpfe, die durch eine Explosion dutzende Quadratkilometer erfassen, war dieser Parameter ein wahrhaft revolutionärer. Daher nannte man die Maschine im Westen „Stiletto“ entsprechend dem italienischen Stilett, einer Stichwaffe mit einer schlanken, sehr dünnen und spitzen Klinge, die keine Schnittkanten besitzt, aber leicht in jede Spalte einer Ritterrüstung eindringt. Der Stoß mit solch einer Waffe führte zu einem unweigerlichen Tod. Die hauptsächliche Zweckbestimmung der UR-100NUTTKh ist die Vernichtung gut gesicherter Infrastrukturobjekte – Kommando- und Informationszentren des Gegners. 

Bis zum Jahr 2006 befanden sich 160 „Stiletto“-Raketen in der Bewaffnung, die mit 960 nuklearen Gefechtsköpfen mit einem individuellen Zielsuchsystem bestückt waren. Dies war praktisch die Hälfte des Arsenals, das Russland entsprechend dem START-Vertrag erlaubt war. Heute ist diese ganze Gruppierung zur Verschrottung ausgesondert worden. Obgleich Russland gerade dank dem „Avantgarde“-Block und der Hilfe der Ukraine, die für 50 Millionen Dollar „Gas-“ Schulden 30 ganz neue Raketenstufen für die UR-100 verkaufte, die Gruppe der „Stilettos“ wiederhergestellt hat. Und getan wurde dies auf einem qualitativ anderen Niveau.     

Verteidigungsminister Sergej Schoigu erklärte bei einer Kollegiumssitzung seines Ministeriums, dass in diesem Jahr die strategischen Raketentruppen 22 Startanlagen mit Raketen vom Typ „Jars“ und „Avantgarde“ erhalten werden.

Die Nuance besteht darin, dass bis zuletzt die Rückkehr der UR-100 zu den Ausgangspositionen vom Verteidigungsministerium nicht groß herumposaunt worden war. Die Rakete und der neue Gefechtsblock waren sozusagen ein Trumpf im Verhandlungsprozess zwischen Moskau und Washington in der Situation der Notwendigkeit einer Verlängerung des Vertrags über eine Reduzierung der strategischen Waffen START-3 geblieben. Gerade aus diesem Grund hatte Wladimir Putin erst im letzten Moment das Geheimnis um den „Avantgarde“-Block gelüftet, als die Situation zu einer ganz und gar unvorhersehbaren geworden war. Man zeigte der amerikanischen Seite den realen Gefechtsblock. Doch die USA haben sich leider nicht auf einen Dialog eingelassen. Donald Trump verkündete die Kampagne entsprechend dem sowjetischen Prinzip „einholen und überholen“, wobei er beiläufig Moskau bezichtigte, dass es die Hyperschall-Technologien bei den Amerikanern gestohlen hätte.

Allerdings wird es nicht einfach werden, dies zu bewerkstelligen. Washington wird nicht früher als im Jahr 2030 neue schlagkräftige Waffen erhalten. Derweil kann, wie Vizepremier Jurij Borissow, der für die russische Rüstungsindustrie zuständig ist, betonte, der russische „Avantgarde“-Block eine Geschwindigkeit von bis zu 30 Mach erreichen. Dies sind etwa 36.000 km/h. Die Entfernung zwischen Moskau und Washington über den Nordpol beträgt 9244 Kilometer. Und es muss angenommen werden: ab Orenburg – noch weniger. Folglich wird eine von dort aus gestartete „Stiletto“ mit einem „Avantgarde“-Block in weniger als zehn Minuten ihr Ziel in der anderen Hemisphäre des Planeten erreichen. Dabei bestehe der prinzipielle Unterschied des Komplexes darin, so Borissow, dass es unmöglich sei vorauszusagen, wo er im nächsten Moment sein wird. Dies mache eine Raketenabwehr praktisch zunichte. 

Herbert Jefremow war in einem Interview zurückhaltender. Für ihn waren als ein Wissenschaftler und Konstrukteur die Aspekte der Hyperschall-Bewegung und deren zivile Anwendung von größerem Interesse. Zum Beispiel die Entwicklung von Flugzeugen, die in der Lage sind, innerhalb von Minuten Kontinente und Hemisphären zu überfliegen. Bisher ist dies nicht geschehen, doch seine Arbeit mit Hyperschallgeschwindigkeiten hat bereits ihren Niederschlag in der Medizin und im Bauwesen gefunden.

Der Konzern „Taktische Raketenwaffen“, zu dem die Wissenschaftliche Produktionsvereinigung für Maschinenbau gehört, bringt bereits neue Endoprothesen aus kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffen auf den Markt. Sie besitzen die Struktur menschlicher Knochen, halten eine Verbrennungstemperatur von über 2500 °C aus, werden nicht abgestoßen und besitzen eine unbegrenzte Einsatzdauer. Aus ihnen fertigt man heute Hüftgelenke sowie Schädel- und Unterkieferknochen. Die Entwicklung dieses Materials wäre ohne die Schaffung des „Avantgarde“-Blocks – des manövrierbaren nuklearen Hyperschall-Blocks – nicht möglich gewesen.