Die Erklärung von Präsident Wladimir Putin in der Jahresbotschaft an die Föderale Versammlung (am 21. Februar – Anmerkung der Redaktion) über die Aussetzung der Teilnahme der Russischen Föderation am Vertrag über die strategischen Offensivwaffen (Start-3) hat nicht nur eine militärpolitische, sondern auch eine rein militärische Dimension. Wahrscheinlich ist dieser Schritt dazu berufen, die Hitzköpfe im Pentagon und in der NATO abzukühlen.
Bei der Verkündung der Jahresbotschaft sprach das Staatsoberhaupt der Russischen Föderation von Problemen der Kontrolle des Start-3-Vertrages. „Man will uns eine strategische Niederlage zufügen und kriecht auf unsere Nuklearobjekte. Im Zusammenhang damit bin ich gezwungen, heute zu erklären, dass Russland seine Teilnahme am Vertrag über strategische Offensivwaffen aussetzt“, sagte Putin. Nach Aussagen des Kremlchefs sei die Entscheidung über eine Aussetzung von Start-3 „eine erzwungene“ und sei vor dem Hintergrund dessen getroffen worden, dass die Nuklearmächte „weiterhin ihre Kernwaffen entwickeln und auf einen Zugang zu den russischen Nuklearobjekten bestehen“. Unter anderem hätten NATO-Länder den Wunsch bekundet, die strategischen Waffen der Russischen Föderation zu kontrollieren. Bevor zur Problematik von Start-3 zurückgekehrt werde, „müssen wir für uns begreifen, worauf solche Länder des Nordatlantikpaktes wie Frankreich und Großbritannien Anspruch erheben und wie wir ihre strategischen Arsenale berücksichtigen, das heißt das gesamte Schlagpotenzial der Allianz“, sagte der 70jährige Putin. Dem Auftritt vom vergangenen Dienstag nach zu urteilen, hat der Präsident der Russischen Föderation Informationen „über eine Beteiligung des Westens an den Versuchen der Streitkräfte der Ukraine, Schläge gegen Stützpunkte der russischen strategischen Luftwaffen zu führen“. Er berichtete, dass Moskau darüber Angaben habe, dass in den USA neue Arten von nuklearer Munition entwickelt werden würden und sich Washington Gedanken über einen tatsächlichen Test von Kernwaffen mache. „Wenn aber die USA Tests durchführen, so werden auch wir die durchführen. Es darf keiner die gefährlichen Illusionen haben, dass die globale strategische Parität zerstört werden kann“, warnte Putin.
Politiker haben Moskaus Position, die in der Jahresbotschaft erklang, bewertet. Der Vorsitzende des Staatsduma-Ausschusses für internationale Angelegenheiten, Leonid Sluzkij (LDPR), erklärte, dass „die Aussetzung der Beteiligung Russlands an Start-3 die einzig mögliche adäquate Entscheidung bei Bekanntgabe der Ziele zur strategischen Niederlage Russlands durch die USA ist“.
Der stellvertretende Vorsitzende des Föderationsrates, Konstantin Kosatschjow (Kremlpartei „Einiges Russland“), ist der Auffassung, dass die minimale Bedingung für die Möglichkeit einer Revision der Entscheidung über die Aussetzung der Teilnahme am New-Start-Vertrag durch Russland „eine Rückkehr der USA zur Einhaltung der Pflichten im Rahmen des Dokuments und deren Verzicht auf eine aggressive Rhetorik“ seien. Der Vorsitzende des Staatsduma-Ausschusses für Verteidigung, Andrej Kartapolow („Einiges Russland“), denkt, dass nach Aussetzung der Teilnahme am Vertrag Russland die Anzahl seiner vorhandenen Gefechtsköpfe und Trägermittel aufstocken könne. Nach seinen Worten müsse man die Entscheidung des Präsidenten nicht ratifizieren. Dennoch wurde am 22. Februar durch die beiden Kammern des russischen Parlaments die Putin-Entscheidung einhellig gebilligt, wobei auch die Tatsache klar war, dass Russland vorerst nicht beabsichtige, sein Nuklearpotenzial zu erweitern.
„Die Erklärung Moskaus, wonach die Russische Föderation einseitig die Teilnahme an der Kontrolle der Umsetzung des Start-3-Vertrages aussetzt, ist nicht nur an die USA gerichtet, sondern auch an die anderen Nuklearmächte. Und in einem bekannten Sinn besagt sie, dass die Umsetzung solch eines Vertrages unter den gegenwärtigen Bedingungen praktisch nicht realisiert werden kann. Und dies bedeutet, dass in der internationalen Praxis der strategischen Abrüstung allem Anschein nach eine sackgassenartige Situation eintritt“, erklärte der „NG“ der Militärexperte und Generalleutnant im Ruhestand Jurij Netkatschjow. „Und das Wettrüsten hat bereits begonnen. Russland mit seinen reichen Erfahrungen bei der Entwicklung von Kernwaffen zu Zeiten der UdSSR gibt derzeit für seine strategischen Offensivwaffen relativ wenig aus. Die USA aber investieren in ihre militärischen Entwicklungsarbeiten auf maximale Weise. Dies belegt der Militärhaushalt des Pentagons, der um einiges größer als der russische ist (freilich ist ein nomineller Vergleich völlig deplatziert, da der US-Dollar und der russische Rubel keine gleichwertigen Währungen sind – Anmerkung der Redaktion). Dies bedeutet aber nicht, dass sie Russland besiegen können“.
Netkatschjow präzisierte, dass die Informationen des Staatsoberhauptes der Russischen Föderation über die Indienststellung neuer strategischer bodengestützter Komplexe belege, dass wahrscheinlich die weltweit mächtigsten interkontinentalen ballistischen Raketen „Sarmat“ in den Gefechtsdienst übernommen wurden. „Direkt über „Sarmat“-Raketen hatte Putin nicht gesprochen. Wie aber früher mitgeteilt wurde, waren gerade den Entwicklungsarbeiten dieser Waffe die Anstrengungen unserer Rüstungsindustrie gewidmet gewesen. Die „Sarmat“-Raketen sind das effektivste Mittel zur Zügelung der Feinde. Diese interkontinentalen ballistischen Raketen sind in der Lage, mit einem Start garantiert die USA oder jeglichen anderen Gegner 20mal zu vernichten“, betonte der General.
Wie aus offiziellen Mitteilungen des Verteidigungsministeriums ersichtlich wird, werden die interkontinentalen ballistischen Raketen RS-28 „Sarmat“ an die Stelle der weltweit mächtigsten strategischen Rakete RS-20W „Wojewode“, die in Raketenschächte stationiert wird, in den Verbänden der entsprechenden Raketentruppen in der Verwaltungsregion Krasnojarsk und im Verwaltungsgebiet Orenburg treten. Netkatschjow erinnerte daran, dass Putin über die Pläne, die „Sarmat“-Raketen im Jahr 2023 in die Bewaffnung zu übernehmen, bereits im Dezember 2022 auf der Tagung des Kollegiums des Verteidigungsministeriums gesprochen hätte. Und Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte präzisiert, dass in diesem Zeitraum 22 Startanlagen mit den interkontinentalen ballistischen Raketen „Jars“, „Avantgarde“ und „Sarmat“ in den Gefechtsdienst gestellt werden würden.
Wie im Frühjahr vergangenen Jahres Wladimir Degtjar, der Generaldirektor und Generalkonstrukteur des Staatlichen Makejew-Raketenzentrums (der Entwickler der „Sarmat“-Raketen), behauptete, könne die interkontinentale ballistische Rakete RS-28 „durch die beim potenziellen Gegner vorhandenen Mittel nicht abgefangen werden“. „Dies ist möglich, weil die Mittel zur Überwindung der Raketenabwehr, der sogenannte Komplex von Mitteln zur Überwindung, ein unwahrscheinlich schwieriger ist, der erlaubt, jegliche mehrfach gestaffelte Raketenabwehr zu überwinden“, erläuterte damals stolz Degtjar. Er betonte, dass dies „die größte Gefechtsrakete in der Geschichte der Menschheit“ sei. Dabei teilte Degtjar mit, dass der Durchmesser der Rakete drei Meter betrage. Von der Länge her entspreche sie einem 14geschossigen Gebäude. Und die Masse liege über 200 Tonnen. (Ein merkwürdiger Stolz über solch eine Super-Vernichtungswaffe. – Anmerkung der Redaktion)
Solche Erklärungen kann man wohl kaum als eine Bedrohung für die USA und die NATO seitens Russlands bewerten, da das „Thema der Einhaltung des Start-3-Vertrages auf bilateraler russisch-amerikanischer Ebene im Verlauf des gesamten vergangenen Jahres diskutiert wurde“, betonte Netkatschjow. Derweil haben die USA seit Beginn der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine begonnen, Kiew aktiv im bewaffneten Kampf gegen Russland zu helfen. Und die „Kontrolle der Einhaltung von Start-3 ist praktisch null und nichtig gemacht worden“.