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Der Kampf um Afrika tritt in eine neue Phase ein


Der Tod von Jewgenij Prigoschin und zwei weiterer Führungskräfte der privaten Militärfirma „Wagner“, von Dmitrij Utkin undValerij Tschekalow, durch den Flugzeugabsturz vom 23. August im russischen Verwaltungsgebiet Twer kann sich ernsthaft auf die Situation in Afrika und die Interessen Russlands auf diesem Kontinent auswirken. Am gleichen Tag hatte im ZDF Markus Lanz sich mit dem früheren Botschafter der Bundesrepublik in Moskau, Rüdiger von Fritsch, über die Ereignisse rund um die Söldnerfirma „Wagner“ unterhalten.

Die Relevanz der Meinung des einstigen Diplomaten von Fritsch wird nicht nur durch seine Kenntnisse über Russland aus der Zeit seiner Tätigkeit in Moskau bis zum Jahr 2019 bedingt, sondern auch durch seine Arbeit in den vorangegangenen Jahren im Bundesnachrichtendienst, wo er das Amt des stellvertretenden Leiters dieses Geheimdienstes eingenommen hatte. Er betonte, dass sowohl die Mitarbeiter der Söldnerfirma als auch Prigoschin selbst der russischen Führung unschätzbare Hilfe im Ausland geleistet hätten. Und er lenkte auch als erster die Aufmerksamkeit auf den Tod von Dmitrij Utkin zusammen mit Prigoschin, wobei er ersteren als militärischen Chef der privaten Militärfirma „Wagner“ (die es laut Aussagen des Kremlsprechers Dmitrij Peskow de jur gar nicht geben würde – Anmerkung der Redaktion) bezeichnete und unterstrich, dass sein Tod ein schwerer Schlag für diese militärischen Einheiten sei.

Am Abend des 21. August hatte Jewgenij Prigoschin auf dem Telegram-Kanal „Entladung Wagners“ erstmals nach dem Versuch einer Meuterei Ende Juni ein Video veröffentlicht. Zu sehen ist er in einer militärischen Tarnuniform mit einer MPi in den Händen. Hinter ihm – eine wüstenähnliche Landschaft mit nicht hochgewachsenen Bäumen am Horizont und mehreren Fahrzeugen mit Männern in Tarnuniformen. Prigoschin gab zu verstehen, dass er sich in Afrika befinde, und teilte mit, dass er neue Militärs anheuere, mit denen er sich anschicken würde, für die Freiheit des Kontinents zu kämpfen. Er sagte, dass er „beabsichtigt, Russland zu einem noch größeren zu machen, und Afrika zu einem noch freieren“. Das russische Internetportal www.news.ru versuchte zu ermitteln, wo die Aufnahme gemacht worden war, und gelangte zu der Schlussfolgerung, dass dies der Norden von Mali sei.

Den Aufenthalt Prigoschins in Mali kann man mit den Ereignissen im benachbarten Niger in Verbindung bringen, wo es Ende Juli zu einem Militärputsch gekommen war. Die Aufständischen hatten ein Ausgehverbot im Land verhängt, setzten die Wirkung der Verfassung aus und haben jegliche politischen Aktivitäten der Parteien verboten. Am 28. Juli wurde General Abdourahamane Tchiani zum neuen Präsidenten von Niger ernannt.

Das Wichtigste ist aber: Die neuen Herrschenden hatten bereits am 4. August von Frankreich gefordert, die 1500 französischen Soldaten innerhalb von 30 Tagen aus Niger abzuziehen, nachdem die entsprechenden Abkommen mit Paris außer Kraft gesetzt worden waren. Noch zuvor hatte das Land die Uran-Lieferungen nach Frankreich eingestellt. Wie das US-amerikanische Blatt „Politico“ betont, löse das Verbot der Militärjunta, die in Niger die Macht ergriffen hat, für Uran-Lieferungen nach Frankreich Besorgnis um die Energiesicherheit nicht nur dieses Landes, sondern auch der gesamten EU aus. Auf Niger entfallen 35 bis 40 Prozent des von der französischen Atom-Industrie benötigten Urans, das über die in diesem Land tätigen französische Firma „Areva“ (heutiger Name des Konzerns „Orano Group“ – Anmerkung der Redaktion) geliefert wird. Außerdem wirken sich die Ereignisse in Niger ernsthaft auf die Fähigkeit Brüssels, neue Sanktionen gegen Moskau zu verhängen, aus.

Ausgehend davon macht es keinen Sinn sich zu wundern, dass die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) einen Plan für ein militärisches Eingreifen in Niger zwecks Wiederherstellung der Verfassungsordnung und Rückgabe der Macht an Präsident Mohamed Bazoum ausarbeitete. Die Nachbarstatten des Niger – Burkina-Faso und Mali – haben entschieden, eine militärische Intervention in Niger als eine Kriegserklärung ihnen gegenüber anzusehen.

Laut einer Meldung der US-amerikanischen Nachrichtenagentur AP aus der Hauptstadt des Niger vom 6. August habe sich die Militärjunta um Hilfe an die Söldnerfirma „Wagner“ gewandt, da „der äußerste Termin für eine mögliche Militärintervention seitens des westafrikanischen regionalen Blocks heranrückt“. Die Bitte erfolgte während eines Besuchs des Organisators des Staatsstreichs, General Salifou Modi, im benachbarten Mali, wo er mit einem Beteiligten von „Wagner“ in Kontakt getreten sein soll. Dies teilte der Agentur Wassim Nasr, Journalist und Senior Research Fellow des in New York ansässigen Soufan Center, mit. Nach seinen Worten hätten drei Quellen in Mali und ein französischer Diplomat die Tatsache des Treffens bestätigt, über das erstmals France 24 informiert hatte. „Sie brauchen „Wagner“, da sie (die Söldnerfirma – „NG Deutschland“) für sie zu einer Garantie für das Behalten der Macht wird“, sagte er, wobei er hinzufügte, dass die private Militärfirma diese Bitte prüfe. Ein westlicher Militärbeamter, der bei Wahrung seiner Anonymität sprach, teilte AP mit, dass er ebenfalls davon gehört hätte, dass sich die Junta in Mali um Hilfe an „Wagner“ gewandt hätte.

Es ist kein Geheimnis, dass die Handlungen der „Wagner“-Firma in Afrika auch in den USA ernsthafte Befürchtungen ausgelöst haben. Laut einer Meldung der BBC habe US-Außenminister Antony Blinken erklärt, dass die USA über das Auftauchen der Söldnerfirma „Wagner“ in der Sahelzone besorgt seien. Er äußerte die Vermutung, dass die „Wagner“-Männer versuchen würden, die Instabilität in Niger auszunutzen. Nicht zufällig hat das Weiße Haus bereits beim US-Kongress um 200 Millionen Dollar für einen Kampf gegen die private Militärfirma „Wagner“ in Afrika gebeten.

In diesem Zusammenhang macht es Sinn, die Aufmerksamkeit auf Veröffentlichungen der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, die schon viele Jahre lang als ein analytisches Zentrum für die deutsche Bundesregierung tätig ist. Vor etwa zwei Monaten ist auf ihrer Internetseite eine Zusammenstellung von Artikeln unter der Gesamtüberschrift „Auf Partnersuche: neue Allianzen im Rohstoffsektor“ veröffentlicht worden (https://www.swp-berlin.org/publikation/auf-partnersuche-neue-allianzen-im-rohstoffsektor). In ihnen heißt es, dass in der letzten Zeit die Bundesregierung und die Führung der EU auf die Schaffung einer strategischen Partnerschaft im Rohstoffsektor für eine Vertiefung der bestehenden Beziehungen und Diversifizierung der Lieferungen setzen würden. Getan werde dies vor allem für ein Loskommen von der Abhängigkeit von China, da gerade diesem Land ein zentraler Platz in der Rohstoffversorgung der EU gehöre. Derartige neue Partnerschaften würden sich in verschiedenen Formen entwickeln. Und in dieser Hinsicht war die französisch-nigrische Zusammenarbeit der bei der Förderung von Uran und anderen Bodenschätzen eines der Beispiele. Solche Partnerschaften sollten entsprechend den Gedanken der SWP-Autoren die Stabilität der Regierungen der Länder, die über die für den Westen notwendigen Rohstoffe verfügen, und das Propagieren der westlichen Standards für die Menschenrechte dort unterstützen.

Es ist verständlich, dass die „Wagner“-Vertreter die Realisierung derartiger Absichten störten. Das französische Blatt „Le Monde“ betont in diesem Zusammenhang, dass „er (Prigoschin – „NG“) in der Ukraine, in Syrien, auf dem afrikanischen Kontinent und in Südamerika mit Hilfe von Waffen in Europa und den Vereinigten Staaten, mit seinen Propagandisten-Fabriken vehement den Interessen des russischen Präsidenten diente“. Putin hätte zugestimmt, einige staatliche Funktionen über ein Outsourcing zu realisieren, aber Prigoschin an sich nicht legitimiert, was nach Auffassung von „Le Monde“ der „Putin-Konzeption einer vollständigen und koordinierten Herrschaft vollkommen widersprochen hätte“.

Man kann dem sicherlich hinzufügen, dass gerade das Bestehen einer „rechtlichen Grauzone“ in Russland, in der die Söldnerfirma „Wagner“ agierte, auch erlaubte, diesen Schlag zu führen.