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Der Kampf um die Hirne hat bereits begonnen


In dem Beitrag „Der Sieg wird nicht nur auf dem Schlachtfeld erreicht“ (militärpolitische „NG“-Beilage vom 28. April) schreibt Alexander Schirokorad berechtigt, dass die Propaganda eine weitaus gefährlichere Waffe als die Sanktionen sei. Diesen Gedanken unterstützend und die Vorstellung von Propaganda erweitert als eine soziologische Waffe auslegend, kann ich sagen, dass bereits jetzt auf dem ukrainischen Kriegsschauplatz die unterschiedlichsten Strategien und Taktiken für einen Einsatz der Kampfmöglichkeiten der Propaganda durchgespielt werden. Als ihr Objekt tritt das öffentliche Bewusstsein auf, sowohl in der Ukraine als auch in Russland.

TECHNOLOGIEN DES ZWEITEN WELTKRIEGES

Auf der Grundlage einer Analyse ausländischer und russischer Quellen sind zwei relevante Tendenzen im sich verstärkenden Kampf um die öffentliche Meinung im Zeitraum März-Mai des Jahres 2022 auszumachen.

Erstens ist dies die Rückkehr von Technologien des Hörfunks des Zweiten Weltkrieges in die ukrainische Region. Die britische Medien-Korporation BBC hat die Arbeit für das ukrainische Publikum und für die Einwohner der angrenzenden russischen Verwaltungsgebiete wiederaufgenommen – bis zu vier Stunden am Tag und auf Kurzwellenfrequenzen. Die allerersten Angaben für den März dieses Jahres belegen eine Zunahme der russischsprachigen Hörerschaft von BBC um etwa das 3,5fache. Von drei Millionen bis ungefähr elf Millionen Visits der Internetseiten des Senders. Zugenommen hat auch die Reichweite für den ukrainisch-sprachigen Sendebetrieb. Um mehr als das 2fache laut Schätzungen offizieller BBC-Vertreter.

Zweitens ist dies eine Aktivierung der soziologischen Untersuchungen ukrainischer Meinungsforscher zur Untersuchung und Ausprägung der öffentlichen Meinung sowohl auf dem Territorium der eigentlichen Ukraine als auch in Russland (wobei dies gleichfalls mit Unterstützung der britischen Seite erfolgt).

Die Aufgabenstellungen für die ukrainischen Soziologen und der Umfang ihrer Finanzierung werden nicht preisgegeben. Spürbar ist jedoch die Ausrichtung auf die Ausprägung des öffentlichen Bewusstseins in der ukrainischen und in der russischen Gesellschaft in der nötigen Richtung, was scheinbar als politisch neutral und mittels harmloser Überschriften präsentiert wird.

Die Daten der durchgeführten Untersuchungen werden an angesehene europäische Printmedien und Medien-Ressourcen für die Ausprägung eines positiven Verhältnisses gegenüber den ukrainischen Nationalisten und für deren informationsseitige Unterstützung übergeben.

AUFTRAGGEBER UND AUSFÜHRENDE VON INFORMATIONSATTACKEN

Unter den neuen Momenten ist die Untersuchung der öffentlichen Meinung in der Russischen Föderation durch ukrainische Soziologen. Unter anderem in Rostow am Don, Smolensk, Sankt Petersburg und Moskau. Mittels Telefonbefragungen wird die Haltung der russischen Befragten zu den Handlungen der ukrainischen und der russischen Armee im Verlauf der Sonderoperation in Erfahrung gebracht.

Die Überschriften der Media-Materialien scheinen einfache und schlichte zu sein: „Soziologen und Journalisten des Fernsehkanals „Current Time“ (in der Russischen Föderation als ein ausländischer Agent eingestuft) haben Einwohner von Rostow befragt, was sie über den Überfall der russischen Truppen auf das Territorium der Ukraine denken“. Die Bilanzmaterialien werden wertneutral vermittelt („Russlands Bürger über den Krieg gegen die Ukraine. Nachrichten der Ukraine. Kiew. 30. März 2022“).

Die Materialien nicht nur journalistischer Befragungen, sondern auch repräsentativer Untersuchungen werden von ukrainischen Internetseiten aktiv genutzt. Aber auch durch verwandte Media-Ressourcen der US-amerikanischen Korporation „Voice of America“, die durch das Außenministerium der Vereinigten Staaten finanziert wird.

Unter den verwandten Ressourcen, die die Ideologie von „Voice of America“ teilen, ist die Media-Ressource „Current Time“. Geschaffen wurde sie mit Hilfe von Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) unter Beteiligung von „Voice of America“ (alle erwähnten Strukturen sind in der Russischen Föderation als ausländische Agenten gelabelt worden).

RFE/RL stellen scheinbar eine nichtkommerzielle Medien-Korporation dar. Finanziert wird sie jedoch aus dem amerikanischen Haushalt (mit Unterstützung des US-Kongresses) über die United States Agency for Global Media (USAGM). Sie sendet 24 Stunden täglich in Russland, in der Ukraine, in den Ländern Zentralasiens und Osteuropas, aber auch in anderen Regionen.

Die Redaktion von „Current Time“ befindet sich in der tschechischen Hauptstadt Prag, und die Journalisten arbeiten in Russland, in der Ukraine, in Kasachstan, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Kirgisien und in anderen Ländern.

Die Finanzierung erfolgt auf eine besondere Art und Weise, das heißt mit Hilfe zweckgebundener Zuschüsse. Und folglich unter der Bedingung eines Verfolgens klarer Ziele und bei Vorhandensein bewährter Indikatoren sowie überzeugender und überprüfbarer Ergebnisse.

All dies erlaubt insgesamt der ukrainischen Seite und dem Westen, die Aufmerksamkeit von den militärischen Niederlagen auf dem Schlachtfeld abzulenken, wobei Siege auf dem Informationsfeld mit Hilfe integraler Methodiken zur Analyse und Ausprägung einer öffentlichen Meinung in der Ukraine, in Russland und in der ganzen Welt erreicht werden.

Mittels persönlicher Anrufe und telefonischer Befragungen (auf der Grundlage der Datenbanken russischer Mobilfunk-Netzbetreiber) wird die öffentliche Meinung in unserem Land erschlossen. Dies sind aber bereits strategische Daten.

WER UNTERSTÜTZT DIE NATO IN RUSSLAND?

Als Objekt einer verstärkten Aufmerksamkeit der Untersuchungen ukrainischer Soziologen ist die russische Jugend bestimmt worden. Entsprechend den Ergebnissen von Befragungen in einer Reihe russischer Städte lenken die britischen Sponsoren und ukrainischen Ausführenden die Aufmerksamkeit darauf, dass die 18- bis 24jährigen Bürger der Russischen Föderation die „einzige sozial-demografische Gruppe“, seien, „die geneigt ist, die Sonderoperation der Streitkräfte der Russischen Föderation in der Ukraine negativ wahrzunehmen“. Die Gegner der Sonderoperation in dieser Gruppe machen 46 Prozent, während 40 Prozent die Führung Russlands unterstützen.

42 Prozent der Vertreter dieser Jugendgruppe verneinen die Notwendigkeit der Kampfhandlungen in der Ukraine zum von Moskau proklamierten Schutz der Sicherheit der Russischen Föderation, wenn man den Daten der britischen Auftraggeber und ukrainischen Ausführenden Glauben schenkt (im Vergleich dazu bestreiten dies 15 Prozent insgesamt hinsichtlich aller Befragten).

Hervorgehoben wird gleichfalls, dass unter der Jugendgruppe diejenigen dreimal mehr sind, die der NATO positiv gegenüberstehen und auf maximal kritischer Weise das Wirken der russischen Armee wahrnehmen.

Es gibt keine Gründe, die Daten der ukrainischen Soziologen, die von den Briten unterstützt werden, zu überbewerten. Zumal allein aufgrund dessen, dass ein Minimum an Informationen über die verwendeten Methoden und die Methodologie sowie über die Fehler (über die Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit der gewonnenen Ergebnisse) ausgewiesen wird.

Jedoch kann man diese Daten wohl auch nicht unterschätzen. Man muss sie zumindest zur Kenntnis nehmen, da die militärpolitische Lage heute zu kompliziert ist. Und ein Ignorieren von wenig begreifbaren, aber akuten und gefährlichen Bedrohungen kann einem zu teuer zu stehen kommen.

Selbst wenn man die oben ausgewiesenen und wahrscheinlich überhöhten Daten der ukrainischen und britischen Soziologen kritisch zur Kenntnis nimmt, muss man ihnen teilweise zustimmen. Denn wir haben leider keine Grundlagen für andere Schlussfolgerungen. Den prowestlichen Drall der russischen Ausbildung und Wissenschaft in den letzten dreißig Jahren zu verneinen, ist nicht möglich. Folglich wird die Loyalität der russischen Jugend gegenüber der NATO durch systembegründete Ursachen bedingt, darunter durch das Ignorieren dieser Probleme durch die Führung des russischen Ministeriums für Bildung und Wissenschaft und der regionalen Organe für die Leitung des Bildungsbereichs.

Hinzugefügt sei, dass die schüchtern bekundete, aber soziologisch ermittelbare gegen die Herrschenden gerichtete und pazifistische Stimmung bei fast der Hälfte der Studenten und Oberschüler der russischen Großstädte eine Folge des Defizits an Informiertheit der Auszubildenden und Lehrkräfte über die Aufgaben der russischen militärischen Sonderoperation, über den von Moskau behaupteten Genozid von Russen im Donbass, über die Militarisierung  der Ukraine und über vieles andere ist (Grund für die Nichtakzeptanz dieses russischen Narratives ist vor allem die aggressive und arrogante Staatspropaganda, die mitunter mehr pauschalisiert denn differenziert – Anmerkung der Redaktion).

DAS WISSENSCHAFTLICHE UND UNIVERSITÄTSUMFELD

Scharf abgezeichnet hatten sich auch zusätzliche Faktoren des Pazifismus und von Antikriegsaktivitäten der städtischen Oberschüler, Studenten und eines Teils junger Wissenschaftler – unter dem Einfluss der gegen die Herrschenden gerichteten Haltung vieler Hochschullehrer und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Russischen Akademie der Wissenschaften als Unterzeichner von Antikriegsappellen.

Die ungewollten Vermittlungen dieser Stimmungen über den Lehr- und Ausbildungsprozess in das Jugend-Milieu förderten eine Aktivierung westlicher Haltungen und des Pazifismus im Februar und März dieses Jahres. Genauso wie auch die Zunahme der Zahl der „Mitläufer bzw. Trittbrettfahrer und Beobachter“ in den den Herrschenden nahestehenden Kreisen und in der Leitung des Wissenschafts- und Bildungskomplexes Russlands.

Aufgrund der distanzierten Haltung des Präsidenten der Russischen Akademie der Wissenschaften, der Führung des Bildungs- und Wissenschaftsministeriums und der Leitung der Russischen Wissenschaftsstiftung werden nicht die Aufgaben zur Hinzuziehung hauptstädtischer und regionaler Gesellschaftswissenschaftler zur Analyse und Ausprägung der öffentlichen Meinung gelöst. Dies sind Aufgaben zur Vorbereitung und Realisierung von Forschungsprojekten in Bezug auf drei prinzipiell wichtige Themen – „Der Genozid von Russen im Donbass“, „Die Militarisierung der Ukraine und Wege zur Demilitarisierung“ sowie „Die internationale und historische Bedeutung der Sonderoperation der Streitkräfte der Russischen Föderation in der Ukraine“, aber auch die Vorbereitung einer Serie wissenschaftlich-praktischer Konferenzen zu diesen drei Themen (eventuell mit einer internationalen Beteiligung und unter Hinzuziehung von Forschern aus Ländern der Shanghai-Gruppe, der Organisation BRICS und der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit).

EINEN GEGENANGRIFF MUSS MAN VORBEREITEN

Vieles könnte die Russische Wissenschaftsstiftung tun, deren Jahreshaushalt für die Finanzierung wissenschaftlicher Projekte fast 20 Milliarden Rubel ausmacht. Die „Trittbrettfahrer“ in der Leitung der Stiftung haben jedoch die Rolle von Wählern ausgewählt und weichen der Klärung unaufschiebbarer Fragen zur operativen Finanzierung wissenschaftlicher Express-Vorhaben zur soziologischen Thematik aus.

Einer Finanzierung eines notwendigen politisch-soziologischen Experten-Netzwerkes geht man gleichfalls aus dem Wege. Dies könnte Vertreter des wissenschaftlichen Rates des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, Mitglieder der Russischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Militärwissenschaften sowie Vertreter von Lehrstühlen für Sozial- und Geisteswissenschaften russischer Hochschulen umfassen.

Die Aufgaben sind derweil umfassende und komplizierte. Dies ist vor allem einer Bewertung der in unserem Land existierenden Methodiken zur Prognostizierung der sozial-politischen und militärpolitischen Lage, des Verlaufs und der Ergebnisse der international umstrittenen militärischen Sonderoperation. Hier kann man nicht ohne politisch-philosophische und publizistische Überlegungen sowie den gesunden Menschenverstand oder einer Übernahme westlicher Methodiken auskommen. Erforderlich sind originelle und originäre politisch-soziologische Entwicklungsarbeiten, die auf einem zuverlässigen wissenschaftlichen basieren und die Meinung von Experten berücksichtigen.

All dies sind militärpolitische Probleme, die größte Aufmerksamkeit und eine unaufschiebbare Lösung verdienen.

SCHLUSSFOLGERUNGEN UND VERALLGEMEINERUNGEN

Die öffentliche Meinung ist ein wichtiger Hebel der Nichtkampfhandlungen und von hybriden Attacken. Die Analyse und Ausprägung der öffentlichen Meinung mit Hilfe professioneller soziologischer Untersuchungen sind ein ernsthafter Faktor für das Prognostizieren und die Beurteilung der militärpolitischen Lage und des moralisch-psychologischen Zustands der Militärs.

Aber nicht weniger wichtig ist noch ein Aspekt – die Interpretation des Geschehens. „Es ist nicht so wichtig, was sich auf dem Schlachtfeld abspielt. Weitaus wichtiger ist, was darüber gesagt und geschrieben worden ist“. So kann man die Konzeption von der „kulturpolitischen Hegemonie“ und die Rolle der öffentlichen Meinung bei der Wahrnehmung der einen oder anderen Ereignisse und Prozesse – in einem konkreten Land oder im globalen Maßstab – umformulieren.

Der Sieg auf dem ukrainischen Kriegsschauplatz muss vor allem in der öffentlichen Meinung unseres Landes erfolgen.