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Der Westen bemüht sich, schneller das Militärpotenzial Kiews wiederherzustellen


Die Entscheidung der russischen Militärs, vollkommen das Verwaltungsgebiet Kiew zu verlassen, betrachten viele Politiker und Experten im Westen als eine wichtige Leistung der Ukraine. In Kiew bewertet man das Geschehene vorsichtiger. Der Berater des ukrainischen Präsidenten, Michail Podoljak, ist der Auffassung, dass Russland einfach eine andere vorrangige Taktik ausgewählt habe – „nach Osten und in den Süden zurückzuweichen, die Kontrolle über ausgedehnte Territorien zu bewahren und sich dort festzusetzen“. Dabei macht der ukrainische Staatsbeamte keinen Hehl daraus, dass nur militärische Hilfe – „schwere Waffen“ – von den westlichen Partnern dies verhindern könne.

Russland gruppiert seine Truppen um, wobei es sie in den Räumen Sumy, Charkiw und Isjum konzentriert. Zur gleichen Zeit werden Truppen der Russischen Föderation im Verwaltungsgebiet Cherson zusammengezogen. Irgendwelche bedeutsame offensive Gefechte werden nicht gemeldet, mit Ausnahme der Handlungen der Donezker Bürgerwehr und der russischen Truppen im belagerten Mariupol. Dabei werden durch Raketen- und Luftschläge militärische und Transportinfrastruktur sowie Objekte der Rückwärtigen Dienste praktisch auf dem gesamten Territorium der Ukraine systematisch und verbissen zerstört. Bis in die Morgenstunden des Montags seien laut Angaben des russischen Verteidigungsministeriums 93 Objekte zerstört worden. Unter anderem seien gepanzerte Technik in den Gebieten der Bahnstationen Losowaja und Pawlograd vernichtet, der Militärflugplatz Mirgorod im Verwaltungsgebiet Poltawa zerbombt sowie eine Ölraffinerie und drei Tanklager für Brenn-, Kraft- und Schmierstoffe im Raum Odessa zerstört worden. Zuvor soll ein derartiger Betrieb in Krementschug zerbombt worden sein. Somit sei laut Moskauer Angaben nicht ein einziger Erdölverarbeitungsbetrieb geblieben. Die Tanklager für Brenn-, Kraft- und Schmierstoffe seien erheblich erschöpft oder vollkommen zerstört worden. Westliche Medien berichten, dass im Zusammenhang der russischen Raketen- und Luftangriffe die Bahnverbindungen in der östlichen Richtung – nach Charkiw und in den Donbass – nur mühsam aufrechterhalten werden. Und diese Tatsachen können möglicherweise auch davon zeugen, dass die russischen Truppen in den nächsten Tagen eine großangelegte Offensive beginnen, um die ukrainischen Streitkräfte einzukreisen, die im Südosten der Ukraine handeln.

Den Einstellungen Kiews nach zu urteilen, bereiten sich die Streitkräfte der Ukraine darauf vor, eine ernsthafte militärische Antwort auf solche Handlungen zu geben, zumal sie davon überzeugt sind, dass sie ihr Land verteidigen, in das Kremlchef Wladimir Putin am 24. Februar Truppen in Marsch gesetzt hatte. Freilich steht die Frage, ob die ukrainischen Streitkräfte dies auch können. Laut Einschätzungen des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation sei das Militärpotenzial der Streitkräfte und anderer bewaffneter Strukturen der Ukraine erheblich untergraben worden. Mit Stand zu den Morgenstunden des 3. Aprils zählte es, wenn man die Mitteilungen der russischen Militärs über die Verluste des Gegners berücksichtigt (die aus anderen Quellen freilich nicht bestätigt worden sind – Anmerkung der Redaktion), ganze 27 Flugzeuge (dies sind 17,7 Prozent der ursprünglichen Anzahl), 61 Hubschrauber (40,9 Prozent), 513 Panzer und andere gepanzerte Gefechtsfahrzeuge (21,2 Prozent), 328 Raketenwerfer-Systeme (61,3 Prozent) sowie 704 Artilleriewaffen und Minenwerfer (46,6 Prozent).

Der Militärexperte, der Generalleutnant im Ruhestand Jurij Netkatschjow betont dennoch, dass die ukrainischen Streitkräfte noch Gefechtspotenzial bewahrt hätten. „Geblieben ist noch eine erhebliche Anzahl von Kampf- sowie Militärtransporthubschraubern. Fast zwei Regimenter. Und wie die Attacke von nur zwei ukrainischen Kampfmaschinen zeigte, die am Freitag ein Tanklager im Gebiet der russischen Stadt Belgorod getroffen hatten, gibt es in den ukrainischen Streitkräften noch ausgebildete Spezialisten, qualifizierte und erfahrene Piloten. Wie viele – dies ist schwer zu sagen. Es gibt aber auch jene, die in der Lage sind, mit Hubschraubern in extrem geringen Höhen zu fliegen, womit sie Treffen der Luftabwehrmitteln ausweichen. Solche Besatzungen stellen eine ernste Gefahr nicht nur für die russischen Truppen, sondern auch für grenznahe zivile Objekte der Russischen Föderation dar“.

Der Experte betonte, dass eine erhebliche militärische Bedrohung für die Streitkräfte der Russischen Föderation auch die Einheiten der ukrainischen Raketen-Werfer und der Feldartillerie darstellen würden. Ihr Potenzial sei nur zur Hälfte vernichtet worden. Gefährlich seien ebenfalls die in Gefechtsbereitschaft verbliebenen taktischen Raketenkomplexe „Totschka-U“, deren Raketen in der Lage sind, bis zu 120 Kilometer weit zu fliegen. Laut Angaben des russischen Verteidigungsministeriums seien nicht mehr als zehn taktische Raketenkomplexe (das heißt Startanlagen) und 85 Prozent der Raketen für diese Komplexe vernichtet worden. Es sei aber angemerkt, dass es laut Medienberichten im Jahr 2021 in den ukrainischen Streitkräften bis zu 90 Startkomplexe „Totschka-U“ und bis zu 800 Raketen dazu gegeben haben soll. Ergo würden sich noch über 100 Raketen und 70 Startkomplexe von diesem Typ im Bestand der ukrainischen Armee befinden.

Dabei versuchen Kiew und seine Partner das Potenzial der Streitkräfte der Ukraine erheblich aufzustocken. Dabei muss dies der Lage nach zu urteilen in einer maximal kurzen Zeit getan werden. Amerikanische Medien melden, dass die US-Administration mit NATO-Verbündeten, die einst zum Warschauer Vertrag gehörten, vereinbaren würde, dass sie der Ukraine ihre Panzer und gepanzerte Technik aus sowjetischer Produktion übergeben. Und von solchen gepanzerten Objekten gibt es nicht wenige, wie sich herausstellt. Laut Informationen der US-amerikanischen „The New York Times“ habe Polen über 500 sowjetische T-72-Panzer unterschiedlicher Modifikationen. Außerdem sind in Polen bis zum Jahr 2002 entsprechend einer Lizenz RT-91-Panzer (T-72M1) gebaut worden. Insgesamt wurden für Polens Streitkräfte 232 solcher Kampffahrzeuge hergestellt. Warschau ist jetzt bereit, sie an die Ukraine zu übergeben, um an deren Stelle deutsche und amerikanische Panzer vom Typ „Leopard“ und „Abrams“ zu erhalten. Außerdem ist Rumänien bereit, bis zu einem Bataillon (30 T-72-Panzer) an die ukrainischen Streitkräfte zu übergeben.

Eine wichtige Rolle bei der Übergabe gepanzerter Technik an die Ukraine kann Deutschland spielen. Die Zeitung „Welt am Sonntag“ berichtete, dass Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) die Lieferung von 58 Panzerfahrzeugen vom Typ PbV-501 aus den Beständen der Nationalen Volksarmee der einstigen DDR an die ukrainische Armee gebilligt hätte. „Vom Wesen her sind dies Schützenpanzerwagen BMP-1, die man seinerzeit modifiziert und nicht nur in der UdSSR, sondern auch in einigen sozialistischen Ländern gebaut hatte. 58 BMPs solchen Typs sind zwei Bataillone, deren Bewaffnung wirksam Panzer, andere gepanzerte Objekte und andere Ziele mit einer Reichweite von bis zu 1,3 km bekämpfen kann. Dies ist eine gefährliche Waffe. Und jeder Infanterie-Offizier der ukrainischen Streitkräfte ist imstande, solche Waffen ohne irgendeine besondere Ausbildung zu steuern“, teilte der „NG“ der Militärexperte und Oberst im Ruhestand Schamil Garejew mit. Er lenkte das Augenmerk darauf, dass zuvor die „Süddeutsche Zeitung“ meldete, dass das Bundesverteidigungsministerium eine Liste von Waffen über 300 Millionen Euro für eine Lieferung in die Ukraine, darunter Granatwerfer und Drohnen, zusammengestellt hätte.

Nach wie vor wird auch die Türkei der Ukraine helfen. Wie das russische Verteidigungsministerium meldete, seien mit Stand vom 25. März alle Kampfdrohnen vom Typ „Bayraktar TB2“ in der Ukraine vernichtet worden. Während des Türkei-Aufenthaltes des Beraters des Leiters des ukrainischen Präsidenten-Office, Michail Podoljak, vereinbarten Kiew und Ankara die Lieferung einer neuen großen Partie von Bayraktar-TB2-Kampfdrohnen für die ukrainische Armee. Medien behaupten derweil, dass dieser Prozess bereits begonnen habe.