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Die Absage der Herbst-Wahlen wird zu einer „Sonderoperation“ innerhalb des Landes


Der Kreml hat sozusagen einen Teil der in den Umlauf gebrachten Informationen bestätigt, wonach der Präsident angeblich bereit sei, den Regionen hinsichtlich einer Absage des einheitlichen Abstimmungstages in diesem Jahr Gehör zu schenken. Über einen vermutlichen Verzicht auf die Wahlen in Regionen der Russischen Föderation – aller oder eines Teils, vorübergehend oder für eine lange Zeit – ist in den Medien die Rede. Solche eine Entscheidung wird sowohl positive als auch negative – administrative und politische – Aspekte besitzen, die abzuwägen sind. Aber eine Anerkennung des negativen Einflusses der am 24. Februar auf Anordnung von Präsident Wladimir Putin begonnenen Ukraine-Sonderoperation auf die innerrussische Stabilität kann zu einem propagandistischen Flopp werden.

Präsident Putin war zur Tagung des Rates der Gesetzgeber der Russischen Föderation nach Petersburg gefahren, womit zumindest ein Teil der in Umlauf gebrachten Informationen über wichtige Entscheidungen scheinbar bestätigt wurde, die für den 27. April erwartet wurden.

Es sei daran erinnert, dass eine massive Salve von Publikationen über die mögliche Absage des einheitlichen Abstimmungstages im September dieses Jahres gerade auf diese Petersburger Veranstaltung hingewiesen hatte. Angeblich werde man in deren Rahmen auch das Problem der Wahlen mit den Offiziellen der Regionen erörtern. Der Rat der Gesetzgeber ist eine Struktur, die die Vorsitzenden der gesetzgebenden Versammlungen (Regionalparlamente) der Subjekte der Russischen Föderation vereint. Diese gewisse Vertikale der legislativen Gewalt leiten zu zweit die Vorsitzende des Föderationsrates und der Chef der Staatsduma (das Ober- und das Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion), Valentina Matwijenko und Wjatscheslaw Wolodin. Und eben diese Struktur soll intensiv die gesetzgebende Arbeit im Maßstab des Landes koordinieren.

Tatsächlich aber ist dies natürlich nicht der Ort, wo man sich mit einem Lobbyieren irgendwelcher eigener Entscheidungen vor dem Staatsoberhaupt befassen kann. Obgleich die Medien auch daran erinnern, dass ja im Jahr 2012 gerade die Regionen Putin vorgeschlagen hätten, für einige von ihnen das Recht einzuführen, die Wahlen der regionalen Spitzenvertreter durch eine Abstimmung in den regionalen Parlamenten vorzunehmen. Es ist jedoch klar, dass dies nicht mehr als eine klassische „Bitte von Werktätigen“ gewesen war. Und daher besteht die erste ungeklärte Frage im Kontext des einheitlichen Abstimmungstages dieses Jahres darin, ob denn bereits eine entsprechende „Bitte des Volkes“ im Stil der Gesetzesänderung der Staatsduma-Abgeordneten und ersten Frau im Weltall Valentin Tereschkowa über eine Zurücksetzung der Amtszeiten des Präsidenten organisiert worden ist.

Die zweite Frage ist aus dem gleichen Repertoire: Sollte man die Wahlen überhaupt absagen oder nur auf den Spätherbst oder Winter oder gar auf das Frühjahr des kommenden Jahres verschieben? Die dritte hängt damit zusammen, ob die komplette Gesamtheit der regionalen Wahlkampagnen oder lediglich die Wahl der Gouverneure gemeint ist. Darüber hatte die „NG“ mehrfach geschrieben, wobei sie darauf verwies, dass die Sache überhaupt nicht so sehr mit der schwierigen sozial-ökonomischen Situation aufgrund des Sanktionsstromes seitens des Westens zusammenhänge, als vielmehr damit, dass die Gouverneure im Ergebnis der Gestaltung eines einheitlichen Systems der öffentlichen Macht mehr zu Kuratoren der Regionen in einem föderalen Status denn zu eigentlichen Leitern dieser Subjekte der Russischen Föderation werden. (Gerade durch die Etablierung des einheitlichen Systems der öffentlichen Macht werden die Wahlrechte der Bürger Russlands in der Weise beschnitten, dass sie nur noch Kommunalpolitiker und bedingt die Abgeordneten der Staatsduma wählen dürfen. – Anmerkung der Redaktion)

Und schließlich die vierte Unklarheit, die nur wie eine rein technische aussieht. Sie hängt damit zusammen, auf welche Art und Weise die Sache mit dem Verzicht auf die Wahlen im Herbst dieses Jahres ausgefertigt wird. Macht es Sinn, die Entscheidung in den Gesetzen über die grundsätzlichen Garantien für die Wahlrechte und über die generellen Prinzipien für die Organisierung der öffentlichen Macht zu verankern oder sollte man zu solch einer Entscheidung über die Realisierung der entsprechenden Vollmachten der Zentralen Wahlkommission gelangen. Da kann man durchaus beschließen, dass es notwendig sei, die Wahlen zu verschieben. Dafür ist ein normatives Fundament bereits bei der Hand: Praktisch überall in den Regionen gilt weiterhin das Regime einer erhöhten Bereitschaft, das im Zusammenhang mit COVID-19 verhängt wurde.

Die Medien haben schon ausführlich die Pros und Contras einer potenziellen Absage des einheitlichen Wahltages 2022 auseinandergenommen, die der Kreml laut kursierenden Gerüchten versucht, zu einem gewissen, für sich positiven Gleichgewicht zu bringen. Um die Sache abzukürzen, sei gesagt, dass sowohl die einen als auch die anderen sowohl technologischer und unter anderem finanzieller als auch politischer Art sein werden. Aber gerade das oben erwähnte technische Detail – die Absage von der elektoralen Veranstaltung unter dem Vorwand eines gewissen Ausnahmezustands – kann sich gerade als eine wahre propagandistische Pleite erweisen. Da es wohl kaum gelingen wird, in Russland operativ auf einen Höhepunkt der Coronavirus-Epidemie zurückzukehren, muss die Ukraine-Sonderoperation als Grund ausgewiesen werden. Dies schafft aber das Risiko eines Zerbrechens des gesamten derzeitigen informationsseitigen Paradigmas, das der Bevölkerung eine Freude vor dem baldigen anstehenden bzw. angestrebten Sieg und dem zeitweiligen Charakter der sich periodisch ergebenden Schwierigkeiten suggeriert. Wobei für die Bewohner der an die Ukraine angrenzenden Regionen als solche auch der praktisch bereits ständige Beschuss gegen sie erklärt wird.

Die Absage der Wahlen – wenn auch nur der Gouverneurswahlen –, zu der, wie es scheint, ein Teil der Kreml-Bewohner den Präsidenten zu veranlassen sucht, kann Putin als die Notwendigkeit seiner Anerkennung jenes Umstands auffassen, dass es ihm jetzt nicht gelinge, alle Pläne so glänzend wie früher zu realisieren. Derweil wird der unbefristete Herrscher Russlands scheinbar für sich absolut die Möglichkeit verwerfen, irgendwann dem beizupflichten, dass Akela doch das Ziel verfehlt hat (Akela, Anführer eines Wolfsrudels im „Dschungelbuch“ von Rudyard Kipling – Anmerkung der Redaktion).

Derweil erklärte am Donnerstag der stellvertretende Leiter der Verwaltung für Innenpolitik im russischen Präsidialamt, Wladimir Masur, dass bereits in den nächsten Tagen eine Entscheidung über die Veränderung des Prozederes für die Gouverneurswahlen in Russland getroffen werden könne. Folglich ist es durchaus möglich, dass bereits nach den Mai-Feiertagen in Russland mehr Klarheit in dieser Frage geschafft werden wird.