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Die Herrschenden brauchen schon nicht einmal die parlamentarische Opposition


Die föderalen Parlamentarier haben endgültig den Gesetzentwurf über das einheitliche System der öffentlichen Macht in Russland verabschiedet. Dabei war unter anderem buchstäblich innerhalb weniger Tage die Änderungen eingebracht und bestätigt worden, die den Regionen erlaubt, das Verhältnis der Abgeordnetensitze in den gesetzgebenden Versammlungen zwischen denen zu ändern, die in Direktwahlbezirken und über Parteilisten – bis hin zu einer Abschaffung der Parteienquote — gewählt werden. Derzeit soll mindestens ein Viertel der Mandate in allen Subjekten der Russischen Föderation – mit Ausnahme der Städte föderaler Bedeutung – über Parteilisten vergeben werden. Die erwähnte Gesetzesänderung wird man vom Prinzip her auch bereits im Verlauf des anstehenden Einheitswahltages im nächsten Jahr erproben können. Jedoch ist ihre Anwendung im Jahr 2023 wahrscheinlicher, wenn die umfangreichste Neuwahl der gesetzgebenden Versammlungen der letzten Zeit geplant ist.

Die Opposition hat nicht grundlos die Änderungen als den Versuch aufgefasst, ihre Positionen zu schwächen. Der Staatsduma-Abgeordnete der Partei „Gerechtes Russland – für die Wahrheit“ Oleg Nilow betonte, dass, die Kampagnen in den Direktwahlbezirken kostspielig seien, in die gesetzgebenden Versammlungen Vertreter aus dem Business gewählt werden könnten. Im Ergebnis dessen würden sich die Regionalparlamente in „Bojaren-Dumas“ verwandeln. Die Autoren der Gesetzesänderungen würden sich auch an die Regeln für Wahlen zur Staatsduma machen, vermutete er.

Die Befürchtungen sind nicht grundlos. Die Wahlen entsprechend den Parteilisten garantieren der parlamentarischen Opposition eine Anwesenheit in den gesetzgebenden Versammlungen einer ganzen Reihe von Regionen. Ein Übergang ausschließlich zum System der Wahlen in Direktwahlbezirken – wenn er irgendwo erfolgt – wird die Situation grundlegend verändern. Der Ausgang solcher Wahlen wird erheblich weniger von ideologischen Neigungen des Wählers (auf die in Vielem die Kommunisten setzen) oder von der föderalen Führungsressource – dem traditionellen Vorteil der LDPR – abhängen. Zur gleichen Zeit sind aber solche Kampagnen aufwendiger und für einen administrativen Druck anfälliger. Die Opposition wird sie nicht stemmen können. Sie haben in den Regionen wenige Kandidaten, die in den Direktwahlbezirken Erfolg haben.

Die Anhänger der Veränderungen (aus der Kremlpartei „Einiges Russland“) sind der Auffassung, dass der Kampf von Ideologien, politischen Weltanschauungen und Parteiprogrammen das Prärogativ der föderalen Agenda sei. Vor Ort aber würden Abgeordnete gebraucht werden, die über enge Beziehungen mit den Wählern verfügen und in der Lage seien, deren konkreten Probleme zu lösen. Um die Instandsetzung einer Straße, die Errichtung einer neuen Schule usw. zu erreichen, würden Abgeordnete aus der Wirtschaft und keine Berufspolitiker, Karriere-Parteifunktionäre gebraucht. Gemäß diesem Standpunkt würden sich letztere zeitweise nur mit Demagogie befassen und eine konstruktive Arbeit in den regionalen Parlamenten sabotieren.

Hinter diesen Begründungen sind noch eine Reihe nicht weniger wichtiger Umstände auszumachen. Die Wahlen entsprechend von Parteilisten sind nicht nur ein Reservoir garantierter Oppositionsmandate, sondern zeitweise auch ein starker Stress für „Einiges Russland“. Das Direktwahlsystem erlaubt den gegenwärtigen Herrschenden, bei Bedarf die Nutzung des Markenamens der Partei der Herrschenden zu minimisieren. Durch angeblich unabhängige, aber loyale selbständige Kandidaten. Zur gleichen Zeit können sie die Kontrolle der Kampagne durch die Gouverneure oder Gruppen der regionalen Elite verstärken. Sie werden mehr Einfluss auf die Formierung und Propagierung der machtgenehmen bzw. -treuen Liste von Direktwahlkandidaten und entsprechend den Wahlergebnissen eine vollkommen steuerbare gesetzgebende Versammlung ohne Vertreter, die Gereiztheit auslösen, bekommen.

Zu einem Opfer der neuen Spielregeln kann das derzeitige Parteiensystem werden, obgleich die Herrschenden viele Jahre von der Notwendigkeit seiner Verstärkung gesprochen haben. Selbst die parlamentarische, die systemkonforme Opposition wird bei solch einer Situation schon einfach unnötig sein. In Verbindung mit den anderen Formen der Ausübung von Druck auf sie – beispielsweise mit eben diesem „Valerij-Raschkin-Fall“ (der KPRF-Spitzenfunktionär hatte sich offenkundig als ein Wilderer verhalten und ungesetzlich einen Elch erlegt – Anmerkung der Redaktion) – sieht das Geschehen wie eine Vergeltung für die „übermäßige“ Selbständigkeit, darunter bei den Duma-Wahlen aus. Bezeichnend sind die geäußerten Befürchtungen, dass nach der Veränderung des Formats der Regionalwahlen auch föderale folgen könnten. Es muss angenommen werden, dass eine weitere Verringerung der Anzahl der Abgeordnete gemeint ist, die über Parteilisten in die Staatsduma gelangen. Solch einen Schlag kann die systemkonforme Opposition nicht überleben. Und folglich wird sie zumindest gefügiger werden.