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Die Junior-Partei der Herrschenden wird helfen, die Pro-Putin-Mehrheit zu bewahren


Daria Garmonenko und Ivan Rodin

Die Berichterstattung über die Parteien „Gerechtes Russland“ von Sergej Mironow, „Für die Wahrheit“ von Sachar Prilepin und „Patrioten Russlands“ von Gennadij Semigin durch die staatlichen Medien hängt mit dem am 22. Februar anstehenden Kongress zur Umwandlung in die Partei GRFWPR zusammen. Und dies kann scheinbar nicht nur ein gewisser Mega-Spoiler in Bezug auf die KPRF sein. Prilepin spricht sich beispielsweise ganz und gar nicht hart über die Kommunisten aus, sondern über die Liberalen aus der Nicht-System-Opposition (der außerparlamentarischen Opposition) aus. Hinsichtlich der antiwestlichen und patriotischen Rhetorik scheinen die Vertreter der neugestylten Partei „Gerechtes Russland“ bestimmt „Einiges Russland“ zu überbieten. Ergo ist auch eine andere Nutzung dieses Projekts möglich – unter Berücksichtigung der ursprünglichen Konzeption für „Gerechtes Russland“ als linkes Standbein des Kremls. Im Vorfeld der für September geplanten Staatsduma-Wahlen bereit die Präsidialadministration für Wladimir Putin einen Satz politischer Karten vor. Welche von ihnen er letztlich aus der Tasche ziehen wird, ist derzeit schwer zu sagen. Wenn sich aber eine Verfassungsmehrheit für „Einiges Russland“ als eine schwer zu realisierende Aufgabe erweist, so bleibt die Variante einer Pro-Putin-Koalition unter Beteiligung der Junior-Partei der Herrschenden, der GRFWPR.

Unter dem gesamten gegenwärtigen Informationsrummel, der die hartnäckige PR-Kampagne vor dem Parteitag von GRFWPR begleitet, lohnt es, zwei Ereignisse hervorzuheben. Das erste ist die Ernennung eines neuen Leiters für den zentralen Apparat von „Gerechtes Russland“, des Polittechnologen Dmitrij Gusjew. Das zweite ist das Prilepin-Interview für das Internetportal Ura.ru. Gusjew, der durch enge Kontakte mit der Administration des Präsidenten und Aufträge, die seine Firma für die Durchführung einer Vielzahl von Wahlkampagne erhalten hatte, bekannt ist, erklärt offen gegenüber den Medien, dass es seine Aufgabe sei, die Vertreter der neuen Partei „Gerechtes Russland“ auf den zweiten Platz entsprechend den Ergebnissen der Staatsduma-Wahlen zu bringen. Dabei wird Gusjew, wie die „NG“ herausfinden konnte, in der Partei gerade als ein gewisserer äußerer Kurator arbeiten.

Prilepin aber behauptet, dass gerade er seit langem die Bildung der GRFWPR zu erreichen suchte, und nicht Mironow. Der Führer der Partei „Für die Wahrheit“ hat sich dabei recht abfällig über die Ablehnung seiner Figur durch eine Reihe von regionalen Abteilungen der Partei „Gerechtes Russland“ geäußert. Prilepin ist der Auffassung, dass ein Problem Mironows sei, mit dem der irgendwie fertig werde. Derweil ergibt sich außer dem Unmut der Petersburger Mitglieder von „Gerechtes Russland“ auch eine ernsthafte Opposition in Moskau, wie die „NG“ erfuhr. Die hauptstädtische Abteilung leitet die Staatsduma-Abgeordnete Galina Chowanskaja, die mit Prilepin nichts gemein hat. Laut Angaben der „NG“ bezeichnen die Anführer der Moskauer Mitglieder von „Gerechtes Russland“ den künftigen Spitzenvertreter der vereinten Partei ausschließlich als „Nationalbolschewiken“, wobei sie dabei nicht einmal so sehr die politischen Leidenschaften Prilepins in der Jugendzeit als vielmehr seine heutigen Aussagen im Blick haben. In dem bereits erwähnten Interview erklärte er beispielsweise, dass er für seine Anhänger die Möglichkeit unter anderem einer zivilen Konfrontation mit den Nawalny-Anhängern fordere, und nicht nur eine politische. Prilepin verbreitet aktiv Losungen im Stil von „Russland ist eine vom Westen belagerte Festung“. Im Unterschied zu den Vertretern von „Einiges Russland“ ruft er jedoch auf, nicht nur zu bellen, sondern auch nach Möglichkeit zu beißen.

Gegenüber dem Führer der KPRF Gennadij Sjuganow bekundet Prilepin jedoch eine demonstrative Achtung, wobei er dessen Erfahrungen Ehre erweist. Er besteht aber darauf, dass auch für die Kommunisten die Zeit für eine Erneuerung gekommen sei. Es ist klar, dass die GRFWPR genutzt werden wird, um im Verlauf der Stimmenauszahlung der KPRF einige Prozente abzuknapsen. Doch ist nicht sehr klar, wozu der Kreml mit solchen Zielen nicht nur einfach eine neue Partei zusammenschustern, sondern sie unter eine unmittelbare Betreuung durch vertrauenswürdige Spezialisten à la Gusjew nehmen muss. Es macht Sinn, auch an merkwürdige soziologische Untersuchungen zu erinnern, die zeigen, dass gerade nach den Erklärungen über die Vereinigung mit „Gerechtes Russland“ die elektoralen Ratings der Prilepin- und der Semigin-Anhänger schnell zu steigen begannen, obgleich es den Anschein hatte, dass sie eigentlich gen Null absacken müssten. Scheinbar beginnt die Ausprägung einer öffentlichen Meinung über drei mächtige Kräfte, die sich nach dem Zusammenschluss in einen politischen Giganten verwandeln werden.

Die bedeutet zumindest, dass der Kreml noch eine Quelle für die Billigung seines antiwestlichen Kurses erhalten und möglicherweise auch die Radikalen aus der künftigen GRFWPR für eine Gewinnung von jungen Menschen ausnutzen möchte. Das heißt, etwas in der Art einer erweiterten Version der (einstigen Bewegung) „Unseren“, die unter offiziellen Parteiflaggen Hipster und Anhänger Nawalnys durch die Straßen scheuchen werden. Doch kann auch eine ernsthaftere Variante nicht ausgeschlossen werden. Zu den Wahlen werden für Putin traditionell gleich mehrere Szenarios vorbereitet, unter denen er letztlich eines auswählt. Möglicherweise erfolgt gerade jetzt auch die Vorbereitung auf eine rasche Umwandlung der GRFWPR in eine Junior-Partei der Herrschenden für den Fall, dass die Partei „Einiges Russland“ nicht die Aufgabe bewältigt, eine Verfassungsmehrheit zu erlangen.

Es muss gesagt werden, dass die von der „NG“ befragten Experten solch eine Wende bisher für eine wenig wahrscheinliche hielten. Dabei nannten sie aber eine Vielzahl von Formen für eine Nutzung von GRFWPR. Die Experten erklärten gegenüber der „NG“, dass die Perspektiven dieser Partei in Vielem von der abschließenden Konfiguration abhängen würden – davon, wer der formelle Anführer sein werde, wer die Kandidatenliste anführe, was es für Ideen, für eine Rhetorik, Wahlkampfstrategie und -taktik geben werde.

Konstantin Kalatschjow, Leiter der Politischen Expertengruppe, sagte der „NG“: „Dass „Gerechtes Russland“ den zweiten Platz in der Staatsduma einnimmt und zu noch einer Partei der Herrschenden wird, dies sind Märchen. Dieses Bündnis sieht von Anfang an wie ein künstliches aus. Die Rhetorik von „Für die Wahrheit“ ist eine andere als die, an die das Kernelektorat der Vertreter von „Gerechtes Russland“ gewohnt ist. Sie erinnert mehr an die Rhetorik der LDPR und teilweise der KPRF“. Der Experte glaubt nicht daran, dass „Einiges Russland“ die Verfassungsmehrheit verlieren könne, da im heutigen politischen System die Wahlen vollkommen kontrollierbar und an die Interessen der Partei der Herrschenden angepasst sei. Doch dem nach zu urteilen, dass in „Gerechtes Russland“ jetzt Dmitrij Gusjew ist, habe diese Partei eine äußere Verwaltung seitens des Kremls erhalten. Ergo sei es nicht ausgeschlossen, dass auch ein Teil der Kandidaten von dieser erneuerten Partei „Gerechtes Russland“ und nicht von „Einiges Russland“ durchkommen werden. Dabei pflichtet Kalatschjow dem bei, dass die von den Linken propagierte „Wende“ für die Herrschenden nicht so gefährlich sei wie die Aktionen der Nicht-System-Opposition.

Alexej Kurtow, Präsident der Russischen Vereinigung politischer Berater, sagte der „NG“, dass sich mit „Gerechtes Russland“ eine merkwürdige Situation ergeben hätte. Früher hatte die Partei die geringsten Antiratings. Traditionell hätten für die Partei die Putin-Leute gestimmt, für die „Einiges Russland“ aus irgendwelchen Gründen nicht akzeptabel gewesen sei. „Jetzt ist da aber so ein Gefühl, dass das Bündnis mit den kleinen Parteien „Gerechtes Russland“ Toxizität zugefügt hat. Sie kann wirklich mehr verlieren als gewinnen. Dies ist so ein Eindruck, dass dies alles nicht für eine Stärkung von „Gerechtes Russland“ getan wurde, um sie zu einem Standbein und zu einer Stütze der Herrschenden zu machen, sondern im Gegenteil, damit das Elektorat, dass zu den Offiziellen steht, zu „Einiges Russland“ zurückkehrt“, vermutete der Experte. Und für die antiwestliche Rhetorik, konstatierte er, seien für die Herrschenden die KPRF und die LDPR ausreichend. „Die linken Stimmungen sind starke, aber kontrollierbar. Die liberalen Stimmungen aber sind große und nicht kontrollierbar. Und dies macht den Offiziellen Sorgen. Daher ist es möglich, dass man der Nicht-System-Opposition auf der Ebene der Rhetorik die Patrioten entgegenstellt“, unterstrich Kurtow.

Der Generaldirektor des Zentrums für politische Informationen Alexej Muchin erklärte gegenüber der „NG“, dass „die erneuerte Partei „Gerechtes Russland“ wie ein Sparringpartner der KPRF aussieht. Ergo ergibt sich für die Kommunisten ein Problem bei den Wahlen. Dies ist für sie ein Anlass, sich Gedanken zu machen“. Der Experte stimmte zu, dass „Gerechtes Russland“ ursprünglich als ein Partner der Offiziellen gebildet worden war. Und im Zusammenhang damit sei eine künftige Allianz in der Staatsduma bei Ausbleiben einer Verfassungsmehrheit für „Einiges Russland“ möglich. Dabei ist sich Muchin sicher, dass es nicht klappen werde, die erneuerte Partei als eine Waffe gegen die Nicht-System-Opposition einzusetzen, da sie – die Partei – eine Art Teddybär sei und sich nur zum Knuddeln eignen würde.

Alexej Makarkin, 1. Vizepräsident des Zentrums für politische Technologien, erläuterte der „NG“: „Die künftige Stärke der Partei ist sehr eingeschränkt, da die erneuerte Partei „Gerechtes Russland“ allem nach zu urteilen unter keinerlei Bedingungen auf dem elektoralen Feld von „Einiges Russland“ spielen soll und darf. Und obgleich die Vereinigung einen Anstieg der Ratings aufgrund der Zunahme des Interesses für die Parteien verursachte, ist bisher nicht voraussagbar, ob dies für einen zweiten Platz reichen wird“. Der Experte erinnerte daran, dass „Gerechtes Russland“ im Jahr 2007 als zweites Standbein für die Partei der Herrschenden gebildet wurde. Es stellte sich aber heraus, dass es ein zu kurzes ist. Nach Meinung von Makarkin werde die erneuerte Partei „Gerechtes Russland“ wie auch früher die Stimmen jener Wähler sammeln, die „für Putin“ sind, aber nicht bereit sind, für „Einiges Russland“ zu stimmen. Dabei sei „Gerechtes Russland“ aber genauso eine Versicherung wie auch die LDPR bei Ausbleiben einer Verfassungsmehrheit für „Einiges Russland“. Makarkin betonte, dass ungeachtet aller Umstände der Kreml eine Gefahr nicht einmal aus dem politischen liberalen Spektrum spüre, sondern unmittelbar von der Jugend im Alter von bis zu 35 Jahren. Und die neue Partei sei auf der Ebene der Rhetorik dazu berufen, die Positionen der Offiziellen zu stärken. „Die Situation ist solch eine, dass zum zweiten Standbein der Herrschenden nicht „Gerechtes Russland“ an sich wird, sondern alle drei Duma-Oppositionsparteien, die uneingeschränkt die Außenpolitik der Herrschenden unterstützen. Und sie äußern sich gegen die „liberale Bedrohung“ auch so. Die neue Partei „Gerechtes Russland“ wird wohl kaum junge Menschen anziehen. Dies ist eher eine Partei für die mittlere und ältere Generation“, betonte der Experte.