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Die letzte russische Warnung


Die außenpolitische Rhetorik der letzten Monate, die sich als Antwort auf die aggressiven Handlungen gegen Russland herausgebildet hat, ist voll von Androhungen und Ultimaten. Derweil bleiben sie bereits eine recht lange Zeit leeres Gerede. Es scheint, dass selbst ihre Autoren nicht die Notwendigkeit einer Verringerung der Distanz zwischen Worten und Taten begreifen. Schließlich präsentiert die sich in die Länge gezogene Pause – je länger umso mehr — sie wie auch den Staat insgesamt eher in einem komischen, denn in einem drohenden Lichte.

Die Blockade des Verwaltungsgebietes Kaliningrad durch Litauen dauert seit dem 18. Juni an. Gleich in ihren ersten Tagen hatte die offizielle Vertreterin des Außenministeriums der Russischen Föderation, Maria Sacharowa, die Handlungen des baltischen Staates als „offen feindselige“ gewertet und versprochen, dass „die Antworthandlungen zu unausweichlichen werden“. Und der Sekretär des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, Nikolaj Patruschew, betonte: „Auf derartige feindselige Handlungen wird Russland unbedingt reagieren. Die Konsequenzen werden einen ernsthaften negativen Einfluss auf Litauens Bevölkerung ausüben“. Wie sich herausgestellt hat, hat Russland tatsächlich großherzig zugestimmt, bis Ende dieser Woche in der Hoffnung abzuwarten, dass die Euro-Bürokraten im Rahmen einer Abstimmung neuer antirussischer Sanktionspakete eine Ausnahme für das Verwaltungsgebiet Kaliningrad festschreiben. Nach Aussagen von Gouverneur Anton Alichanow werde er, wenn dies nicht geschehen werde, „der politischen Führung (des Landes) vorschlagen, Antwortmaßnahmen zu ergreifen“.

Ein klassisches Beispiel ist die bereits zu einem Mem gewordene Formulierung „einen Schlag gegen die Zentren für das Treffen von Entscheidungen führen“, die ständig beim Kommentieren einer möglichen Antwort auf erneute ukrainische Attacken gegen das russische Territorium verwendet wird. Sie war unzählige Male von Beamten, Politikern und Experten beginnend ab dem 13. April zu vernehmen, als diese Formulierung erstmals der offizielle Sprecher des Verteidigungsministeriums Igor Konaschenkow verwendete. Die ukrainischen Attacken dauern seitdem bereits drei Monate an, doch Schläge, von denen man gesprochen hatte, die gerade eben jene Zentren geführt werden würden, sind nicht erfolgt. Und der Ausdruck an sich wurde zu einem Synonym für den Phraseologismus „letzte chinesische Warnung“. Die Volksrepublik China hatte ab Ende der 50er und in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die USA mit hunderten genauso unwirksamen Protesten gegen die Verletzung ihrer Grenze rund um die Taiwan-Frage überschüttet.

Es ist verständlich, dass gegenwärtig sowohl in der Gesellschaft als auch unter den Herrschenden eine Nachfrage nach einem „Macho“-Verhalten oder zumindest nach solch einer Rhetorik besteht. Darunter hinsichtlich der amerikanischen Satelliten, die sich mit der NATO abschirmen und Moskau einen Nasenrüffel verpassen. Es gibt den Wunsch, sich zu revanchieren, sich als ein Gegner zu zeigen, der in der Lage ist, dem Westen auf einen Schlag mit einem Gegenschlag zu antworten. Und dieses Bedürfnis wird natürlich nicht schwächer. Genauso wie auch der äußere Druck auf die russischen „roten Linien“, der sich nur verstärken wird.

Eine andere Sache ist, wie realistisch dieses Bedürfnis ist. Da keinerlei Handlungen nach den drohenden Erklärungen folgen, kann man die Vermutung riskieren, dass Moskau möglicherweise keine Zuspitzung als Antwort plant. Dies ist die schlechteste der hypothetischen Varianten. Niemand wird die von ihm ausgehenden Androhungen ernst nehmen, wenn sie nicht durch Taten untersetzt werden.

In solchen mehrdeutigen Fällen ist es besonders wichtig, ehrlich mit der Gesellschaft zu sprechen. Gegenwärtig haben sich viele auf den Gouverneur des Verwaltungsgebietes Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, gestürzt. Es sei daran erinnert, dass er nach dem Beschuss des Regionalzentrums bei einem Treffen mit dessen Einwohner als Antwort auf deren Frage, wie die Stadtbewohner jetzt ruhig schlafen können, geantwortet hatte: „In keiner Weise. Alles, was von mir und meinen operativen Diensten abhängt, haben wir getan, tun wir und werden wir tun… Das, was jetzt geschehen ist, ist natürlich eine extrem schwierige Situation. Ihnen zu sagen, dass Derartiges nie wieder geschehen wird, kann ich nicht“.

Gladkow ist natürlich ganz und gar kein Churchill. „Blood, Toil, Tears and Sweat“ („Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß“ — Titel einer kurzen Ansprache, die Winston Churchill am 13. Mai 1940 während des Zweiten Weltkrieges vor dem britischen Unterhaus hielt – Anmerkung der Redaktion) in seiner Ausführung sehen irgendwie fast hoffnungslos aus. Besonders ohne das Versprechen eines „Sieges um jeglichen Preis“. Er ist aber zumindest aufrichtig gewesen. Gerade an solch einer Ehrlichkeit und nicht an bravourösen Erklärungen mangelt es derzeit akut.