Der Auftrag des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu, in der Armee den Artikel von Russlands Präsidenten Wladimir Putin über die Einheit der Russen und Ukrainer zu studieren, wird in den Medien aktiv als eine Sensation erörtert. Doch in den Truppen und in der Flotte funktioniert bereits ein seit mehreren Jahren etabliertes System der militärpolitischen Arbeit, das an das sowjetische erinnert. Die Ideen des Staatsoberhauptes studieren entsprechend den Plänen für die militärpolitische Ausbildung systematisch alle – angefangen bei den Offizieren bis hin zu den Soldaten. Im Kreml und im Verteidigungsministerium ist man der Auffassung, dass dies den moralischen Geist der Armee stärke und folglich der Sache des Schutzes des Vaterlands vor Feinden diene.
Der Pressesekretär des Präsidenten, Dmitrij Peskow, erläuterte bei der Kommentierung des Auftrags von Sergej Schoigu speziell, dass „es um ein sehr wichtiges konzeptuelles Dokument geht, das der Oberste Befehlshaber verfasste“. Nach seiner Meinung „ist es völlig natürlich, dass dies in den Streitkräften studiert wird“. Bisher ist unklar, wieviel Ausbildungszeit im System der militärpolitischen Ausbildung für das Studium des Putin-Artikels aufgewandt wird. Aber augenscheinlich nicht weniger als drei Ausbildungsstunden. So viel Zeit ist im Verteidigungsministerium beispielsweise für das Studium der Jahresbotschaft des Präsidenten an die Föderale Versammlung vorgesehen worden – die Ausbildungsprogramme für die militärpolitische Ausbildung sind auf der Internetseite des Verteidigungsministeriums veröffentlicht worden.
Nicht weniger wichtig ist, dass gemäß dem Befehl des Verteidigungsministers Nr. 95 (der am 22. Februar 2019 unterzeichnet wurde) die Kenntnisse zu allen zu studierenden Themen der militärpolitischen Ausbildung im Verlauf von Kontrollprüfungen „in Form von Attestaten (Belegen) mit einer Bewertung oder Tests“ überprüft werden. Diese Bestimmung ist besonders wichtig für die Offiziere, Fähnriche und Vertragssoldaten, für die die Höhe der Dienstbezüge direkt mit den Ergebnissen der militärischen Tätigkeit zusammenhängt. Natürlich werden sie bestrebt sein, alle Ideen und Gedanken des Präsidenten der Russischen Föderation im Verlauf der militärpolitischen Ausbildung gut zu studieren. Was sich in Wirklichkeit für eine Weltanschauung bei diesen Menschen im Prozess der Ausbildungsstunden und Überprüfungen herausbilden wird, ist schwer zu sagen. Im russischen Verteidigungsministerium ist man augenscheinlich der Meinung, dass solch ein System wie auch zu Zeiten der Sowjetarmee bei den Militärangehörigen die für die Staatsführung notwendigen politischen Kenntnisse und ideologischen Grundsätze und Einstellungen auspräge.
„Ich werde nicht verheimlichen, dass wir Vieles vom sowjetischen System übernehmen wollen“, erzählte auf einer seiner Pressekonferenzen der stellvertretende Verteidigungsminister und Chef der militärpolitischen Hauptverwaltung, Generaloberst Andrej Kartapolow. „Jedoch werden wir eindeutig nicht die Partei-Komponente zum Einsatz bringen. Die brauchen wir nicht. In allem Übrigen aber hat das System sehr gut funktioniert. In ihm waren Methoden, Verfahren und Formen entwickelt worden, um die eine oder andere Art von Informationen dem Kämpfer zu vermitteln. Eine andere Sache ist, dass wir den Inhalt verändern werden. Der Content, wie man jetzt sagt, wird ein anderer sein. Die Formen und Methoden aber, die sich gut bewährt haben, werden bleiben“.
„Zu Zeiten der UdSSR wurden in den Streitkräften und in der Gesellschaft aktiv alle Arbeiten und Auftritte der Spitzenvertreter der KPdSU studiert. Jetzt gibt es in Russland scheinbar ein Mehrparteiensystem. In der Armee werden aber auch die Arbeiten der Landesführung und in erster Linie des Präsidenten studiert. Wo hier für die Armee ein Unterschied besteht, fällt mir schwer zu beurteilen. Obgleich ich der Auffassung bin, dass man die staatliche Ideologie den Verteidigern des Vaterlands bei politischen Unterrichtsstunden vermitteln muss“, erklärte der „NG“ der Militärexperte Generalleutnant Jurij Netkatschjow. Er lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass laut Angaben des russischen Verteidigungsministeriums als eine der Aufgaben der militärpolitischen Arbeit die „Organisierung einer militärpolitischen Propaganda und Agitation in den Streitkräften“ ausgewiesen werde. „Militärpolitische Propaganda auf welchem Gebiet? Mit was für ideologischen Ideen und Werten? Auf Antworten auf diese Fragen wartet man nach wie vor in der Gesellschaft“, meint er.
Oberst a. D. Nikolaj Schulgin, der zu Zeiten der UdSSR wichtige Posten im System der Politorgane der Streitkräfte bekleidete, denkt, dass der Politunterricht ein wichtiger Bestandteil der militärpolitischen Arbeit sei. „Bisher sind hier aber die Kader das schwache Glied. Nach der Reduzierung der Strukturen zur Arbeit mit dem Personalbestand mangelt es in der Armee an qualifizierten Offizieren, die als stellvertretende Kommandeure für militärpolitische Arbeit tätig sind. In den Truppen sind die Funktionen von Instrukteuren für die militärpolitische Ausbildung und das militärpolitische Informieren geschaffen worden, die von Vertragsunteroffizieren ausgeübt werden. Für solch eine Funktion werden Menschen mit einer Hochschulbildung, angesehene gebraucht. Unter denen gegenwärtigen Bedingungen der Wirtschaftskrise ist es sehr schwer, sie für Unteroffiziersstellen mit geringen Dienstbezügen zu finden.
Schulgin unterstreicht auch einen anderen Aspekt. „Heute sagt man in der Russischen Föderation schon nicht mehr, dass die Armee außerhalb der Politik stehe. Und die Präsenz von Sergej Schoigu in der Wahlkampfliste von „Einiges Russland“ als Kandidat für einen Abgeordnetensitz unter der Nr. 1 zeigt klar die politischen Sympathien der Führung des Verteidigungsministeriums. Aber was für Sympathien da die Soldaten und Offiziere haben, ist schwer zu sagen“, betont der Experte