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Die Türkei hat den Weg einer Trennung von der übrigen Welt gewählt


Die Zuspitzung der Situation in Bergkarabach hat die offene Bereitschaft des taktischen Partners von Russland – der Türkei – zu einem Konfrontationsszenario im Südkaukasus demonstriert. Ankara hat in der letzten Zeit mehrfach die Möglichkeit einer Gewährung jeglicher Hilfe für Baku, die vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit Jerewan erforderlich werden kann, eingeräumt. Solch eine Haltung ist in einen klaren Widerspruch mit den Erklärungen geraten, die durch die Teilnehmer der Minsker OSZE-Gruppe, deren Co-Vorsitzenden Russland, die USA und Frankreich sind, abgegeben wurden, und hat den Kritikern der türkischen Führung eine gute Basis für Vorwürfe und Anschuldigungen gesichert. In diesen Wochen haben sie es geschafft, Ankara nicht nur das Schüren des regionalen Konfliktes und die Ausstattung Aserbaidschans mit Militärtechnik, sondern auch eine indirekte Beteiligung an den Kampfhandlungen anzulasten: In Karabach hat man Kämpfer jener militärischen regierungsfeindlichen Formationen aus Syrien entdeckt, für die formell die türkische Seite verantwortlich ist. 

Der Bergkarabach-Konflikt hat lediglich die ganze Reihe von problematischen Dossiers erweitert, in deren Mittelpunkt in der letzten Zeit die Türkei stand. Nachdem Ankara der international anerkannten Regierung der Nationalen Übereinkunft Libyens aktive militärische und politische Hilfe gewährte, hat es kategorisch seine Sichtweise hinsichtlich der Grenzen des Östlichen Mittelmeeres erklärt: Mit Tripoli wurde ein Memorandum über die Seegrenzen unterzeichnet, das der Suche nach Öl- und Gaslagerstätten Legitimität verliehen hat. Das Einlaufen von Forschungs- und Kriegsschiffen der Türkei in die von Griechenland und Zypern gleichfalls beanspruchten Gebiete in diesem Sommer hatte beinahe zu einem begrenzten militärischen Konflikt geführt. Im Vorfeld des EU-Gipfels, der für den 15. und 16. Oktober geplant ist, hat sich die Situation im Mittelmeergebiet normalisiert. Ankara wollte keine drastischen Handlungen aufgrund der Perspektive der Verhängung von Sanktionen unternehmen. Jedoch gibt es nach wie vor keine Ursachen für die Opponenten der Türkei, um sich zu entspannen und locker zu lassen. 

Die Spannungen dauern auch in Syrien an. Vorerst gibt es keine überzeugenden Gründe für die Behauptung, dass es bald nicht ein weiteres Mal in der syrische Provinz Idlib zu Kämpfen kommen wird, von der ein Teil eine Hochburg der protürkischen Aufständischen und radikalen Gruppierungen bleibt. Moskau und Ankara haben immer noch keine diplomatische Formel abgestimmt, die helfen würde, die militärische Situation in dem rebellischen Gebiet zu stabilisieren. Mehr noch, die türkischen Strategen haben eine Reihe von Beanstandungen hinsichtlich dessen, wie das russische Militärkommando in Syrien die übernommenen Pflichten erfüllt. Und die ohnehin arbeitsaufwendige Suche nach einer Lösung wird regelmäßig von Drohungen seitens Präsident Recep Tayyip Erdoğan begleitet. „Die Terroristen-Gebiete, die immer noch in Syrien existieren, müssen gesäubert werden, wie uns versprochen wurde, oder wir kommen und werden dies selbst tun“, erklärte er jüngst, wobei er mit Terroristen die kurdischen Einheiten meinte. 

Bis zur endgültigen Verwandlung in eine Superpräsidenten-Republik hatte die Türkei sich bemüht, sich an die außenpolitische Doktrin zu halten, die durch den jetzt bereits ehemaligen Erdogan-Anhänger Ahmet Davutoğlu ausgearbeitet worden war. Unter ihren praktischen Prinzipien waren „Null Probleme mit den Nachbarn“ sowie „eine präventive und vorrangige Friedensdiplomatie“, die eine maximale außenpolitische Flexibilität und die Verhinderung von Konflikten vor dem Erreichen eines kritischen Niveaus vorsahen. Die schrittweise Machtkonzentration in den Händen eines Mannes hat jedoch nicht bloß die Priorität der Diplomatie zurückgesetzt, sondern auch das Land auf den Weg eines hohen Grades an Konfliktbereitschaft und -affinität in den Beziehungen mit den Nachbarn und den wichtigsten internationalen Partnern gebracht. Das ständige Balancieren an der Grenze zu einem Krieg hilft vielleicht Erdogan auch, die Neigung des nationalistischen Teils der Wählerschaft zu behalten, jedoch verschafft es ihm weder mehr geopolitische noch ökonomische und umso mehr noch mehr Ressourcen in Gestalt von Verbündeten. Die Situation in Karabach hat gezeigt, dass Ankara bereit ist, kategorisch und kriegerisch selbst in einer Randzone russischer Interessen zu agieren. Dies zeigt die Grenzen des Vertrauens gegenüber der türkischen Führung auf.