Es sind bereits drei Jahre, in denen sich die Ukrainische orthodoxe Kirche (UOK) zwischen Himmel und Erde befindet. Im Frühjahr des Jahres 2022 hatte sie die Unabhängigkeit vom Moskauer Patriarchat erklärt, aber das ersehnte Wort „Autokephalie“ ist nach wie vor nicht zu vernehmen gewesen. Im Vorfeld des 27. Mai, des dritten Jahrestages des Konzils, bei dem die Bischöfe der UOK den Bruch mit Moskau verkündet und das Kirchenstatut geändert hatten, hat der eine oder andere erwartet, dass der Metropolit von Kiew Onufrij (Beresowskij) doch die Autokephalie verkünden wird. In Kiew hatte man die (Kirchen-) Hierarchen in dem gleichen Kloster versammelt, in dem das sattsam bekannte Konzil stattgefunden hatte. Der Metropolit wandte sich in einer Ansprache an die Gläubigen. „Das Konzil hatte klar das Streben unserer Kirche nach einer vollständigen kanonischen Unabhängigkeit erklärt“, sagte Beresowskij, an das Jahr 2022 erinnernd. „Und zum gegenwärtigen Moment haben wir bereits alle Attribute solch einer Unabhängigkeit“. Doch das Wort „Autokephalie“ wurde auch in diesem Auftritt nicht ausgesprochen. Das Oberhaupt der UOK sprach nur über die Hoffnungen darauf, „dass die ganze Familie der autokephalen Landeskirchen die Ukrainer moralisch unterstützen“, ihre „kanonische Unabhängigkeit billigen und sie mit einem entsprechenden Erkennungszeichen erwähnen wird“. In den vergangenen drei Jahren hat jedoch nicht eine Kirche die UOK als eine autokephale bezeichnet, da sie dies nicht tun kann. Gemäß den Kirchenkanons gebe nur die „Mutter“-Kirche die ihr unterstehende Metropolie frei, wenn man sie wegen irgendwelcher Gründe in den Status von Landeskirchen überführen muss. Das Moskauer Patriarchat schickt sich nicht an, dies zu tun. In der Russischen orthodoxen Kirche hält man die Ukraine für keine sich hinreichend von Russland unterscheidende Nation, um ihrer christlich-orthodoxen Metropolie den Status einer Landeskirche zu verleihen. Und ohne die entsprechende kanonische Prozedur werden dies die anderen Patriarchate unter Ignorierung der Meinung der Russischen orthodoxen Kirche nicht tun. Es gab Fälle, in denen Kirchen ihre „Tochter“-Eparchien entließen, während andere Jurisdiktionen aber dies nicht anerkannten. Im 20./21. Jahrhundert geschah dies mit Gemeinden in den USA und auf dem Balkan. Das System der Landeskirchen ist ein kompliziertes und angreifbares. Keiner möchte einen Präzedenzfall für eine Parade kirchlicher souveräner Organisationen schaffen. Es gibt nicht wenige nationale Eparchien, die nach einer Autokephalie dürsten. Zumal nicht so etwas passieren kann, dass die „Mutter“-Kirche eine ihr unterstehende Metropolie nicht freigibt, andere Hierarchien aber eigenmächtig die Separatisten anerkennen. Die UOK ist in eine ausweglose Lage geraten. Der ukrainische Staat übt Druck auf sie aus, der die Verantwortung für seine Feindschaft gegenüber dem russischen Staat auf die Kirche abwälzt. Verabschiedet wurden die entsprechenden Gesetze durch die Werchowna Rada. Die Offiziellen planen, in der nächsten Zeit die Metropolie Kiew zu liquidieren, die früher Moskau unterstellt war. Jetzt untersteht die Metropolie nicht der Russischen orthodoxen Kirche, doch die Offiziellen in Kiew glauben dem nicht. Nach Aussagen von Abgeordneten der Werchowna Rada stützen sich die Beamten auf Erklärungen der Führung des Moskauer Patriarchats, die selbst jene Eigenständigkeit nicht anerkennt, die die UOK verkündet hatte. Die Kirche wurde zur Geisel einer Pattsituation, in der sich die Völker beider Staaten befinden, die den gleichen Glauben haben, aber aufgrund politischer Ursachen gespaltene sind. An jenem Tag, am 27. Mai, hatte Patriarch Kirill in Moskau aus einem anderen Anlass an das sogenannte Sergianstwo (benannt nach dem früheren Metropoliten und späteren Moskauer Patriarchen Sergius I.) erinnert, als unter Stalin die Russische orthodoxe Kirche sich auf einen Deal mit dem Regime eingelassen hatte. „Metropolit Sergius und der damalige Klerus, sie erinnerten sich nicht einfach der Repressalien, viele waren gerade aus Lagern und Gefängnissen freigelassen worden. Es hatte den Anschein, wozu denn über die Herrschenden trauern? Vielleicht kommen andere Herrschenden, und das Leben wird sich verbessern? Aber es war nicht die Zeit der „Abwartenden“, jener, die auf einen Machtwechsel warteten“, sagte das Oberhaupt der Russischen orthodoxen Kirche. Die starke Abhängigkeit der Kirchen von den die Herrschenden unterstützenden Kräfte, stumpft, wenn man von der mittelalterlichen Doktrin der „zwei Schwerter“ und den historischen Erfahrungen ausgeht, das „geistige Schwert“ ab, wenn es auf den Stein des Willens der „Monarchen“ trifft. Im Moskauer Patriarchat würde man der UOK aber wohl kaum anraten, dem Beispiel von Sergius (Stragorodskij) zu folgen und sich auf eine Vereinbarung mit dem Regime einzulassen, das auf eine vollständige Liquidierung der laut Überzeugung dieses Regimes „Pro-Moskauer“-Kirche eingestellt ist.9
Die ukrainische Kirche – drei Jahre in einer Grauzone
20:47 30.05.2025