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Die ukrainischen Streitkräfte im Donbass will man durch hochpräzise Waffen schwächen


In der begonnenen zweiten Phase der am 24. Februar durch Präsident Wladimir Putin befohlenen Sonderoperation in der Ukraine könne das russische Militärkommando 72 taktische Bataillonsgruppen einsetzen, hat das Pentagon berechnet. Laut Angaben des US-Verteidigungsministeriums würden die Streitkräfte der Russischen Föderation als zweite Linie unweit der nördlichen Grenzen der Ukraine mit weiteren 22 taktischen Bataillonsgruppen aufgefüllt werden. Und weitere zwölf könnten sich ihnen nach der Einnahme und Säuberung von Mariupol anschließen. Das russische Verteidigungsministerium hat diese Daten nicht dementiert, aber auch nicht eigene vorgelegt. Somit gibt es Grund zur Annahme, dass an der zweiten Etappe der international umstrittenen Operation mindestens 100.000 Militärangehörige der Russischen Föderation teilnehmen werden.

Laut westlichen Schätzungen seien rund 100.000 russische Militärs in der ersten Phase der Durchführung der militärischen Sonderoperation in der Ukraine zum Einsatz gekommen.

Nunmehr seien nach Meinung von Experten den russischen Gruppierungen auf dem Territorium der Ukraine klarere Ziele als zuvor gestellt worden – den Donbass vollkommen vom Gegner zu säubern und sich im Süden festzusetzen, indem das ukrainische Verwaltungsgebiet Nikolajew unter Kontrolle gebracht wird. Dabei erklärte Verteidigungsminister Sergej Schoigu bei einer Sitzung des Kollegiums des Ministeriums, dass „der Plan zur Befreiung der Donezker und der Lugansker Volksrepubliken realisiert wird“, wobei er keinerlei Pläne für die Handlungen im Süden der Ukraine preisgab.

Laut den Meldungen des russischen Verteidigungsministeriums hat das russische Kommando in den letzten Tagen die hauptsächlichen Attacken der Luftstreitkräfte und die Raketenschläge auf die Richtungen Charkiw, Slawjansk und Nikolajew konzentriert. Gleichfalls wurden massierte Schläge gegen Mariupol im Gebiet des Metallurgie-Kombinats „Asowstahl“ geführt, wo sich nach wie vor maximal 2.000 ukrainische Militärs verteidigen, wie Minister Schoigu am Donnerstagvormittag im Kreml mitteilte. Nach Einschätzungen der Zeitung „The New York Times“ habe Moskau den Beschuss von Infrastrukturobjekte und Gefechtspositionen entlang der etwa 500 Kilometer langen Frontlinie von Charkiw bis Saporoschje verstärkt, und die „Bodentruppen sind zur Attacke übergegangen“. Dabei tragen die Angriffe der russischen Truppen vorerst immer noch einen taktischen Charakter. Und die vorrückenden Einheiten der russischen Streitkräfte bemühen sich ohne Eile, die gestaffelte Verteidigung der Verbände der ukrainischen Streitkräfte zu durchbrechen. Wie der Militärexperte Boris Roschin betonte, würden die Schläge gegen die Streitkräfte der Ukraine und die militärische Infrastruktur der Ukraine mit einer zunehmenden Intensität geführt werden. Diese Tendenz haben auch die Amerikaner registriert. In einer speziellen Übersicht des Pentagons heißt es, dass Russlands Luft- und Kosmos-Streitkräfte „in den letzten 24 Stunden rund 200 Flugzeugstarts vorgenommen haben“, während sie früher im Durchschnitt rund 150 Flugzeugstarts fixiert hatten. Nach Meinung von Roschin und anderen russischen Experten würden die Schläge gegen Objekte in Nikolajew und Charkiw „lediglich die Absicht, die Reserven der ukrainischen Streitkräfte in diesen Richtungen im Rahmen der Vorbereitung zur Einnahme von Ortschaften und zur Erlangung der Kontrolle über die Gebietsverwaltungszentren zur Erschöpfung zu bringen“, belegen. Die Hauptoffensive führen die russischen Truppen aber in der nordwestlichen Richtung, im Donbass und im Gebiet Saporoschje. Dort sind durch die ukrainischen Militärs befestigte Räume geschaffen worden, die man nicht im Schnelldurchlauf einnehmen kann.

„Nach Beurteilung der Lage organisiert das Kommando jetzt massierte Luftangriffe sowie Raketen- und Artillerieschläge, die auf eine maximale Vernichtung von Waffen und Menschen des Gegners abzielen“, erklärte der „NG“ der Militärexperte und Generalleutnant im Ruhestand Jurij Netkatschjow. „Angewendet werden hauptsächlich hochpräzise Waffen, um die Effektivität der Schläge zu erhöhen. Dabei werden die Attacken und die Offensive dann vorgenommen, wenn die Kommandeure davon überzeugt sind, dass die hauptsächlichen Feuerpositionen der Einheiten der ukrainischen Streitkräfte unterdrückt worden sind und dem Personalbestand der russischen Armee keinen ernsten Schaden zufügen werden“.

Eine derartige Taktik behindere nach seiner Meinung der Einsatz moderner Waffen durch die ukrainischen Streitkräfte und werde sie behindern, die derzeit aus den USA und anderen NATO-Ländern in die Ukraine geliefert werden würden. „Das sind in erster Linie mobile Panzerabwehr- und Luftabwehr-Komplexe, Aufklärungs- und Fernmeldemittel, Mittel zur Bekämpfung von Artilleriebatterien und Drohnen“, betonte Netkatschjow. Er lenkte das Augenmerk darauf, dass allein am vorgestrigen Tage die US-Regierung laut Pentagon-Angaben vier Militärtransportflugzeuge mit Militärhilfe für die ukrainischen Streitkräfte nach Polen geschickt habe. „Washington hat offiziell erklärt, dass eine ganze Division 155-mm-Haubitzen vom Typ Howitzer M114 mit der entsprechenden Bewaffnung (18 Stück) in die Ukraine geschickt wird. Dies sind Offensivwaffen, die für den Gegner gefährliche sind, da sie in der Lage sind, das Feuer bis in eine Reichweite von 15 km zu führen. Mit einer Salve solch einer Artilleriedivision kann man den Gegner auf einer Fläche von mehr als einen Hektar vernichten“, betonte der Experte.

Derweil wurde am Donnerstagvormittag klar, dass es zu keiner Erstürmung der letzten Stellungen der ukrainischen Militärs auf dem Territorium von „Asowstahl“ kommen wird. Präsident Wladimir Putin nahm bei einem Treffen mit Verteidigungsminister Schoigu den entsprechenden „Falken“ unter den russischen Militärs den Wind aus den Segeln, indem er erklärte, dass er die Pläne dafür aufhebe. Dabei bekundeten Putin und Schoigu die Hoffnung, dass die Operation in Bezug auf „Asowstahl“ innerhalb von drei, vier Tage auch so erfolgreich enden werde. Also bis zum Ende des orthodoxen Osterfestes, das in diesem Jahr auf den 24. April fällt. Im russischen Staatsfernsehen begründete man im Übrigen solche Hoffnungen damit, dass die ausgehenden Verpflegungs- und Wasserreserven sowie die Munitionsvorräte die ukrainischen Militärs zur Aufgabe zwingen würden.