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Die von der Teilmobilmachung erfassten Reserven beginnen, die Truppen aufzufüllen


Die in Russland ausgerufene Teilmobilmachung hat bisher nicht den Verlauf der Kampfhandlungen im Rahmen der militärischen Sonderoperation in der Ukraine beeinflusst. An allen Fronten erfolgen Positionsgefechte. Und in einer Reihe von Richtungen im Donbass sowie in den Verwaltungsgebieten Charkow und Cherson versuchen die Streitkräfte der Ukraine, zu Gegenangriffen überzugehen. Auch erfolgreich. Und dem besorgten Gesichtsausdruck von Verteidigungsminister Sergej Schoigu während der Kreml-Zeremonie zur Unterzeichnung der Beitrittsverträge der Donbass-Republiken und Gebiete Saporoschje und Cherson am Freitagnachmittag nach zu urteilen, scheint die Situation um die Stadt Lyman für die russischen Militärs nicht gut auszusehen, da selbst das Oberhaupt der DVR, Denis Puschilin, von einer sehr kritischen Lage sprach. In den sozialen Netzwerken, offiziellen russischen und in westlichen Medien tauchten derweil Veröffentlichungen auf, dass bereits erste eingezogene Reservisten bereits in aktiven Kampfeinheiten der Russischen Föderation eingetroffen seien. Auf dem kurzfristig von der Regierung eingerichteten Internetportal „wir erläutern.rf“ wird mitgeteilt, dass man keine Neueinberufenen, die im Verlauf der am 1. Oktober beginnenden Herbsteinberufungskampagne rekrutiert werden, nicht in die Zone der militärischen Sonderoperation entsenden werde.

Die Soldaten, die den Grundwehrdienst in der Armee abgeleistet haben, können nur nach ihrer Entlassung in die Reserve wieder mobilisiert werden, teilt gleichfalls „wir erläutern.rf“ mit. Dabei werden, wie zuvor der Vertreter der Organisations- und Mobilmachungshauptverwaltung des Generalstabs der RF, Wladimir Zimljanskij betont hatte, „alle Militärs gemäß der Einberufungskampagne, deren Dienstzeit abgelaufen ist, im Verlauf der Herbsteinberufungskampagne entlassen und an die Wohnorte entsendet“. „Laut offiziellen Angaben sind vor einem Jahr 127.500 Menschen zum Grundwehrdienst einberufen worden“, sagte der Militärexperte und Oberstleutnant im Ruhestand Alexander Owtschinnikow. „Entlassen werden aber augenscheinlich weniger, da ein Teil der Zeitsoldaten in diesem Jahr Verträge unterzeichneten und zu Vertragssoldaten geworden sind. Die übrigen Soldaten im Grundwehrdienst werden planmäßig aus den Truppen entlassen und nach Hause geschickt. Es besteht aber die Wahrscheinlichkeit, dass die örtlichen Militärkommissariate diese Männer erneut in die Armee im Rahmen der Teilmobilmachung einberufen werden. Schließlich haben sie neues Militärspezialisierungen erlernt. Und gerade solche Menschen werden auch an der Front gebraucht“.

Wie der Vorsitzende der Gesamtrussischen Gewerkschaft der Militärangehörigen, Andrej Polestschuk, meint, könnten im Verlauf der Herbsteinberufungskampagne die Militärkommissariate mit Schwierigkeiten konfrontiert werden, da heute das Schwergewicht auf die Teilmobilmachung gelegt werde. „Andererseits aber verlasst diese „Hochdrucksituation“, sich seitens der Behörden und der Leitung des Verteidigungsministeriums anders gegenüber den Militärkommissariaten zu verhalten. Sie bedürfen einer Anhebung des Status, einer Erweiterung der Vollmachten, der Schaffung einer modernen materiell-technischen Basis und Anhebung der finanziellen Bezüge für die Mitarbeiter“, betont Polestschuk.

Vor diesem Hintergrund melden mehrere westliche Medien unter Berufung auf Pentagon-Daten, dass „eine geringe Zahl von Reservisten bereits in der Zone der Kampfhandlungen angekommen ist“. „So etwas kann der Fall sein, wenn die ausgebildeten einberufenen Reservisten Gefechtserfahrungen besitzen“, meint der Militärexperte und Generalleutnant im Ruhestand Jurij Netkatschjow. Über eine baldige Entsendung einberufener Männer in Einheiten berichtete auch der Militärkommissar des Verwaltungsgebietes Rostow, Oberst Igor Jegorow. Nach seinen Aussagen würden die örtlichen Reservisten bis dahin im Verlauf von zehn Tagen eine Ausbildung auf dem Übungsgelände Kadamowskij bei Nowotscherkassk erhalten. „Es gilt als eines der besten Truppenübungsgelände des Südlichen Militärbezirks. Dies ist durchaus hinreichend, damit die Soldaten und Unteroffiziere, die militärische Spezialisierungen und Fertigkeiten aus dem Militärdienst besitzen (und sogar – Kampferfahrungen), sich als vollwertige Verteidiger des Vaterlandes fühlen“, meint Jegorow.

Derweil versucht aber scheinbar ein Teil der Bevölkerung der Russischen Föderation, der Mobilmachung zu entgehen. Und in der Teilrepublik Nordossetien hat man bereits einen „Kampf“ dagegen begonnen. Wie auf Telegram das Oberhaupt der Region Sergej Menjailo schrieb, „wurden an den Zufahrten zur Republik und an der Straßen-Grenzübergangsstelle „Oberer Lars“ mobile operative Gruppen gebildete, die die Ausreisewilligen überprüfen werden. „Wenn ein Bürger der Einberufung unterliegt, wird ihm entsprechend der föderalen Liste vor Ort der Einberufungsbescheid ausgehändigt“, betont er. Laut offiziellen Angaben sind täglich zeitweise bis zu 10.000 über die Grenzübergangsstelle „Oberer Lars“ nach Georgien ausgereist. Am Freitag ist jedoch die Zahl spürbar zurückgegangen. Dies gilt auch für die Anzahl der PKW, deren Warteschlange zeitweilig über 25 Kilometer ausgemacht hatte. Um augenscheinlich irgendwie diesen Strom einzudämmen, haben die Behörden von Nordossetien die Einreise von Menschen mit eigenen Fahrzeugen in die Republik erheblich eingeschränkt. Zur gleichen Zeit hat das Verteidigungsministerium am Donnerstag mitgeteilt, dass „Reisen der Bürger, die von den entsprechenden Militärkommissariaten erfasst sind, keine Genehmigung der Militärkommissariate brauchen“. Auslöser für dies Information war die inkompetente Behauptung des Staatsduma-Chefs Wjatscheslaw Wolodin in den Vormittagsstunden des Donnerstags, dass es eine Norm für die erfassten Männer gebe, die ihnen im Verlauf einer Mobilmachung untersage, den Wohnort ohne eine Genehmigung der Militärkommissariate zu verlassen.

Wie Medien schrieben, sei an der Grenze Russlands zu Finnland am Grenzübergang „Torfjanowka“ im Verwaltungskreis Wyborg gleichfalls ein Einberufungspunkt etabliert worden. Und in dem würde man den Reservisten, die der Mobilmachung unterliegen, aber nach Finnland ausreisen wollen, den Einberufungsbescheid aushändigen. Freilich, seit Freitag hat sich die Lage erneut verändert, da die finnische Seite die Abfertigung von russischen Bürgern mit Touristen-Visa eingestellt hat. Derweil hat die US-Botschaft in Moskau ihre Bürger aufgefordert, unverzüglich Russland zu verlassen. Dort befürchtet man, dass die russischen Behörden eine russisch-amerikanische Doppelstaatsbürgerschaft nicht anerkennen und Menschen mit solchen Dokumenten einen Zugang zu konsularischer Hilfe der USA verwehren, deren Ausreise aus Russland behindern und sie zum Militärdienst einberufen könnten.

„In den sozialen Netzwerken und Medien hat man die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass nach der am 21. September verkündeten Teilmobilmachung in Russland die Nachfrage in Geschäften für Militärkleidung und Ausrüstungen erheblich zugenommen hat. Reservisten decken sich dort ein, die in die Truppen gehen werden“, betonte gegenüber der „NG“ General Netkatschjow. „Die Armee besitzt erhebliche Bekleidungsreserven und ist in der Lage, nicht nur eine Million Menschen einzukleiden und mit Schuhwerk zu versehen. Eine andere Form von Bekleidung ist in den Truppen untersagt. Das gleiche gilt auch für Medikamente. In den Einheiten ist es verboten, sich mit einer medizinischen Selbstheilung zu befassen. Und in den Lagern für medizinische Artikel und Medikamente gibt es genug Bestände. In jeder Einheit gibt es einen festangestellten und einen außerplanmäßigen Instrukteur für Sanitätsfragen. Und in den Truppenteilen und Verbänden sind medizinische Punkte sowie medizinische Züge und Bataillone geschaffen worden“.

Nur General Netkatschjow hat in den letzten Tagen kein russisches Staatsfernsehen gesehen. Da wird intensiv über Reservisten berichtet, die sich mit eigenen Ausrüstungen und Bekleidung für den Militärdienst für viel Geld eindecken. Selbst das Kartellamt schlägt Alarm, da die Händler die Preise spürbar angehoben haben. Und außerdem weisen Experten darauf hin, dass die Grundausstattung aus der Armee von der Qualität bei weitem nicht mit dem mithalten kann, was im Einzelhandel zu bekommen ist.