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Eine wunderbare Räuberin an den Ufern des Jenissejs


Im Krasnojarsker staatlichen D.-A.-Chworostowskij-Opern-und-Balletttheater ging am 20. November die erste Serie von Premierenaufführungen des Balletts „Katharina, die Tochter des Banditen“ („Catarina, ou La Fille du Bandit“) von Cesare Pugni zu Ende.

Zwischen den Abruzzen und Rom, wo sich die Handlung entsprechend dem Sujet des Librettisten Jules Perrot abspielt, und Krasnojarsk liegen mehr als fünfeinhalbtausend Kilometer. Doch gerade am Ufer des Jenissejs war der Geschichte beschieden worden, der London und Mailand, Moskau und Petersburg Beifallsstürme gespendet hatten, eine Wiedergeburt zu erleben.

In die Ballettgeschichte ist Jules Perrot, einer der herausragendsten Choreografen des 19. Jahrhunderts, vor allem als Autor von „Giselle“ eingegangen. Dieses Ballett mit der Musik von Adolphe Adam ist nach wie vor auf Theater-Spielplänen anzutreffen. „Katharina“ aber war nach einer 50jährigen Erfolgsgeschichte beschieden gewesen, in den Wirren der Geschichte zu verschwinden. Das Einzige, was von „Katharina“ übriggeblieben war, ist ein im Archiv des Moskauer Bolschoi-Theaters erhalten gebliebener Ballettprobenplan mit der Musik von Cesare Pugni, dem entsprechend zwei Geiger für die Tänzer in den Proberäumen spielten. Umso erstaunlicher ist, dass dank dem Wunsch, der Hartnäckigkeit und Phantasie von Enthusiasten, das Ballett ein neues Leben erlangte.

Der künstlerische Leiter des Krasnojarsker Operntheaters Sergej Bobrow und die Choreografin Juliana Malchasjanz, die sich der Wiedergeburt von „Katharina“ angenommen hatten, stellten sich die ambitionierte Aufgabe, einen Tanz-Blockbuster zu schaffen, in dem mit Hilfe moderner musikalischer und theatralischer Mittel ein verlorengegangenes Ballett so vorgestellt wird, dass bei den Zuschauern keine Zweifel an seiner Echtheit aufkommen. Hinzugezogen wurden die Spezialistinnen auf dem Gebiet der Musikgeschichte Jelena Tscheremnykh und Olga Fedortschenko, die beim Auffinden von Materialien Hilfe leisteten. Im Ergebnis entstand eine starke vierstündige Inszenierung.

Die Abenteuer der wunderbaren Räuberin Katharina, ihres Geliebten, des Malers Salvator Rosa, des eifersüchtigen Rivalen Diavolino und Salvators gekränkten Braut Florinda veranlassten, ihnen interessiert zu folgen. Der Komponist und Musikwissenschaftler Pjotr Pospelow hat unter Verwendung von Archivmaterialien vom Wesen her die Musik von Cesare Pugni aufs Neue komponiert, wobei er sie für ein heutiges Orchester arrangierte. Einzelne retuschierende Elemente musste der Dirigent der Inszenierung Iwan Welikanow einbringen. Die entstandene Partitur wurde zu einer so interessanten, dass einzelne Fragmente aus ihr kühn in ein Handbuch für Orchestrierung aufgenommen werden können. Die auf den ersten Blick paradoxe Verbindung der Klangfarben von Harfe und Horn in der Exposition des Balletts (was im Übrigen durchaus mit dem Geist der Hauptheldin harmonierte, die im Charakter Zartheit und Kampfeslust vereinte), die „Wagnerschen“ Bläser (die Unisono von Tuba, Bass und Posaune) im Bild der Haft und die jubelnden Fanfaren beim Karneval wurden so organisch wahrgenommen, dass dem Hörer, der nicht mit der Geschichte der Orchesterstile vertraut ist, nicht einmal der Gedanke kommen konnte, dass bei Pugni alles anders gewesen war.

In gewisser Weise konnte man die Arbeit des „Autors der Orchester-Rekonstruktion“ mit dem Igor-Strawinsky-Ballett „Pulcinella“ vergleichen, dessen Grundlage Originalmelodien von Giovanni Battista Pergolesi und dessen Zeitgenossen bildeten. Nur im Unterschied zu Igor Fjodorowitsch (Strawinsky), der ein anmutiges 40-minütige Opus geschaffen hatte, hatte es Pjotr Glebowitsch (Pospelow) mit einem vollwertigen, einem ausgewachsenen Handlungsballett zu tun, in dem man Solonummern, Massenszenen, Pas de deux und Charaktertänze verbinden musste. Nachdem die erhalten gebliebenen Melodien von Pugni durch Orchesternummern aus Ballettmusik jener Epoche ergänzt worden waren, konzipierte die Bühnenbildnerin Aljona Pikalowa Dekorationen, die an Bilder italienischer Meister des 17. Jahrhunderts erinnerten. Und damit den Zuschauern keinerlei Zweifel am Ort der Handlung blieben, wurde während des erklingenden Zwischenspiels vor dem Vorhang eine Tafel mit Titeln wie beim Stummfilm heruntergelassen.

Die Pantomimensprache, in der sich die Balletttänzer artikulierten, verwies auch mehr auf die Epoche der Entstehung des Spielfilms denn auf die angenommenen Gesten vergangener Zeiten. Dies war für den heutigen Zuschauer weitaus eingängiger. Und die humoristischen Zitate aus der sowjetischen Klassik verstärkten noch mehr den Effekt des erfreulichen Wiedererkennens.

Das Kinematografische war organisch mit einer glänzenden choreografischen Technik verschmolzen worden, die an die Handlungsballette der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erinnerte. Mitte des vorletzten Jahrhunderts hätte die Hauptheldin wohl kaum eine große Pirouette mit 32 Fouettés (Drehungen – Anmerkung der Redaktion) getanzt und ihr ergebener Verehrer Diavolino ein atemberaubendes Jeté entrelacé (Scherensprung – Anmerkung der Redaktion), das mehr für das Theater des 20. Jahrhunderts charakteristisch ist, geboten. Ja, und der berühmte Tanz der Räuberinnen aus dem ersten Bild, der entsprechend einer Legende Nikolai I. so sehr entzückt hatte, dass er persönlich den Mädchen zeigte, wie man die Waffe richtig zu halten hat, schaute beinahe wie eine ideal inszenierte Zirkusnummer aus.

Die Akrobatik und gar die Exzentrik des ersten Akts machten den gemächlichen fließenden Bewegungen im zweiten Akt Platz. Die Szene, in der der Maler die Geliebte in Gestalt der Göttin Flora zeichnete, ist eine Hommage auf die romantischen geheimnisvollen Tänze der Schatten, bei denen sich die Heldin in der Umgebung des Corps de Ballet wiederfand, welches synchron ihre Bewegungen wiederholt. Die Kostümbildnerin Jelena Saizewa, die an den berühmten Rekonstruktionen von „Dornröschen“ im Petersburger Mariinski-Theater und „Esmeralda“ im Bolschoi-Theater beteiligt gewesen war, stützte sich auf in der Petersburger Theaterbibliothek erhalten gebliebenen Skizzen und schuf Kostüme im Stil des russischen kaiserlichen Balletts, die dabei die Tänzer nicht behinderten und ihnen die Möglichkeit gaben, mit der ganzen Kraft der modernen Technik aufzutreten. Die in jedem Akt wechselnden Kleider Katharinas unterstrichen die Evolution der Figur von einer leichtsinnigen Kriegerin zu einer verurteilten Gefangenen und leidenden Geliebten.

Die in den letzten Premierenvorstellungen in diesem Jahr auftretenden Anna Fedossowa im Ensemble mit Jurij Kudrjawzew (Salvator), Matwej Nikischajew (Diavolino) und Jelena Swinko in der Umgebung von Marcello Pelizzoni und Georgij Bolsunowskij demonstrierten ein Niveau, das den besten internationalen Bühnen würdig ist. Aber noch wichtiger war dies, dass die Meisterschaft der Haupthelden organisch in den personenreichen Massenszenen ausschaute, in denen die Erwiderungen und die Synchronität des Corps de Ballet begeisterten.

Zu einem wunderbaren Einfall der Aufführung wurde die Idee, alle drei Finals zu zeigen, die von Jules Perrot und Enrico Cecchetti für Inszenierungen verschiedener Jahre ausgedacht worden waren. Jedes von ihnen wurde dementsprechend durch eine vom Schnürboden herabgelassene Schrifttafel markiert. Während der ursprüngliche tragische Ausgang, bei dem Katharina durch Diavolinos Hand ums Leben kommt, indem sie den geliebten Maler mit ihrem Körper verdeckt, durch musikalische Dramatik fesselte, so erfreute das glückliche Finale, in dem der Herzog der rebellischen Räuberin vergab und sich die Verliebten vereinigten, durch die Möglichkeit an sich, die Handlung zu wiederholen. Schließlich muss ein Märchen unbedingt ein glückliches Ende besitzen.