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Einen Monat lang wird man Russlands Protestwähler sowohl einschüchtern als auch enttäuschen


Einen Monat vor den Wahlen zur Staatsduma (dem Unterhaus des russischen Parlaments) hat eine Sonderoperation hinsichtlich des potenziellen „Smart-Voting“-Elektorats begonnen. Seit den Abendstunden des 17. Augusts sucht die Polizei in Moskau und einer Reihe anderer Regionen die Bürger zu Hause auf, die angeblich den Nawalny-Anhängern Personendaten übergaben und schlagen vor, Erklärungen über deren Diebstahl zu schreiben. Und am 18. August tauchte ein gewisses Interview von Alexej Nawalny auf, in dem er Mitstreiter der Merkantilismus und Feigheit bezichtigte (es ist nicht auszuschließen, dass es sich um ein Fake-Interview handelt – Anmerkung der Redaktion). Wie die „NG“ auch angenommen hatte, haben die Offiziellen augenscheinlich das Ausüben von Druck auf die Protestwähler als eine effektivere Maßnahme als den endlosen Kampf gegen mögliche Kandidaten des „Smart Votings“ („Kluges Wählen“) angesehen.

Bereits am Tagesende des 18. August tauchten Mitteilungen von mehreren Bürgern auf, zu denen die Polizei gekommen war. Ein Teil von ihnen hat beschlossen, die Anonymität zu wahren. Einzelne Personen haben sich aber offen dazu geäußert.

Laut Angaben des Projekts „OVD-Info“ hatten rund einhundert Personen einen unfreiwilligen Kontakt mit Vertretern der Rechtsschutzorgane. Wenn man den Inhalt dieser Berichte summiert, wird klar, dass die Polizeibeamten – viele in Zivil – vorab geplante Adressen aufgesucht hatten. Und sie hatten vor allem junge Menschen interessiert. Allen wurde ein etwa gleichartiger Vorschlag unterbreitet – Erklärungen dazu zu verfassen, dass die persönlichen Angaben der jeweiligen Person im Internet veröffentlicht worden seien, weil die Nawalny-Vertreter sie widerrechtlich gesammelt hätten. Dabei unterschied sich das Format der Kontakte mit den Beamten: den einen bat man, anderen aber empfahl man eindringlich, dies zu tun.

Allem nach zu urteilen, diente als Grundlage für die Erstellung des Plans der Überprüfungsmaßnahmen die Datenbank der Anhänger der April-Meetings zur Verteidigung Nawalnys. Es sei daran erinnert, dass die Führung der Nawalny-Vertreter über die Preisgabe der Datenbank durch einen Verräter aus den eigenen Reihen informiert hatte. Viele jener, die „OVD-Info“ oder dem Nachrichtenportal „Mediazona“ ihre Geschichten erzählten, unterstrichen jedoch, dass es meistens auch um das „Smart Voting“ ging. Der Anführer der Nawalny-Vertreter, der inzwischen ins Ausland gegangene Leonid Wolkow, teilte derweil mit Stolz mit, dass nach seinen Angaben nicht einer der einem unerwarteten Besuch ausgesetzten sich zu einem Denunziantentum bereiterklärt hätte. Wahrscheinlich wird jedoch in den nächsten Tagen bekannt werden, dass dem nicht so ist. Und es werden wohl doch die nötigen Erklärungen auftauchen.

Es macht Sinn zu betonen, dass seitens der Rechtsschutzorgane bisher keinerlei offiziellen Bestätigungen hinsichtlich dieser Sonderoperation folgten. Als Reaktion seitens der Offiziellen kann man nur die Informationsattacken gegen Wolkow, das „Smart Voting“ und jene Menschen, die dieses Wahlkampfprojekt der Opposition unterstützen, ansehen. Gerade letzteren deutet man recht unverblümt an, dass die wahren Unannehmlichkeiten für sie alle erst noch bevorstehen würden. Die Nawalny-Vertreter teilten mit, dass sie jetzt auch hinsichtlich der Telefon-App für das „Smart Voting“, die man theoretisch nicht knacken kann, eine ähnliche Diffamierungskampagne erwarten würden. Wolkow aber warf seinerseits den Herrschenden eine Art von Terror gegen die russischen Bürger vor: „Wir kommen zu 20 zufälligen Menschen, tun dies aber auf maximale Weise angsteinflößend und auf maximale Weise spektakulär – nachts, gleichzeitig mit Androhungen und einem Hämmern an die Türen, so, dass sich all unsere hunderttausenden Anhänger in Moskau ungemütlich fühlen, Angst haben und aufgrund von Schritten auf nächtlichen Treppenabsätzen zusammenzucken“. Die Nawalny-Vertreter haben übrigens die Herausforderung angenommen. Sie haben die Sympathisanten unter den Polizeibeamten aufgerufen, Fotos jeglicher Dokumente zu dieser Operation einzusenden, um eine Nachforschung darüber zu organisieren, wer befohlen hat, sie durchzuführen, und was für Ziele gestellt worden waren.

Allerdings, nachdem bereits am 18. August auf einer gewissen georgischen Internetseite (www.ambebi.ge) ein aus dem Gefängnis geschicktes Interview von Nawalny auftauchte, wurde klar, dass das Einschüchtern entsprechend dem klassischen Strickmuster von Versuchen begleitet wird, die Anhänger der Nawalny-Vertreter hinsichtlich der gegenwärtigen Anführer dieser Bewegung zu enttäuschen. Zumal auch Nawalny selbst von ihnen angeblich enttäuscht sei: „Viele fliehen überhaupt wie die Ratten vom sinkenden Schiff. Aber das macht nichts. Wenn sie solche sind, sollen sie doch fliehen“. Mehr noch, der Anführer habe scheinbar hinsichtlich seiner nächsten Umgebung begriffen: „Gegenwärtig hat sich für ein Teil der Mitglieder des SKB (Stiftung für Korruptionsbekämpfung, aufgrund der Einstufung als extremistische Organisation in der Russischen Föderation verboten – „NG“) Geld als wichtiger erwiesen“. Und Nawalny lobt – stellt sich heraus – auch noch den Präsidenten der Russischen Föderation dafür, dass er die Bürger vor den westlichen Sanktionen schütze, die auch die Nawalny-Vertreter an sich Russland beschert hätten. Ein Teil der angeblichen Autoren dieses Fake-Interviews hat bereits erklärt, dass sie nichts damit zu tun hätten. Und das georgisch-sprachige Original ist auch verschwunden. Dafür wird die russischsprachige Übersetzung mit einer fragwürdigen Glaubwürdigkeit von kremlnahen Medien gern verbreitet und kursiert ebenfalls auf entsprechenden Internetplattformen.

Wie die „NG“ auch vermutet hatte, haben die Offiziellen doch begriffen, dass es auf keiner Weise gelingen wird, sich aller potenziellen Kandidaten für das „Smart Voting“ zu entledigen. Das „Auswählen“ aus einem wird nicht erfolgen. Und folglich wird es neben dem von der Kremlpartei „Einiges Russland“ aufgestellten Kandidaten stets einen alternativen Kandidaten geben, den man auch für das „Smart Voting“ vorsehen wird, selbst wenn dies ein verkappter Vertreter von „Einiges Russland“ sein wird. Mehr noch, die Nawalny-Vertreter selbst sagen offen, dass, je weniger Konkurrenten die Vertreter der regierenden Partei haben werden, desto besser sei dies für das „Smart Voting“. Daher sieht das Umschalten der Aufmerksamkeit der Herrschenden auf das Protestelektorat, das sich bereits jetzt für das „Smart Voting“ entschieden und registriert hat, scheinbar wie ein logisches aus.

  1. S. der Redaktion „NG Deutschland“

Am 18. und 19. August wurde jedoch klar, dass die Offiziellen das Protestelektorat mehr als nur im Blick haben und scheinbar selbst vermuten, dass sie es nicht ansprechen und letztlich beeinflussen können. Um dieses nun gänzlich von den Wahlen fernzuhalten, reitet man eine neue Attacke gegen das „Smart Voting“. Die Aufsichtsbehörde für das Internet und Fernmeldewesen ROSKOMNADZOR verlangte von AppStore und GooglePlay die entsprechende App der Nawalny-Vertreter aus dem Angebot zu entfernen. Bisher gibt es von diesen beiden Plattformen keine offiziellen Antworten auf diese kategorische Forderung aus Moskau