In den nächsten Tagen wird die Ukraine-Kontaktgruppe erneut zusammentreten. An den Verhandlungen nehmen außer den Separatisten ein Vertreter Russlands teil, eine Gesandte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sowie erstmals der ehemalige ukrainische Präsident Leonid Krawtschuk. Laut Medienberichten soll es unter anderem um einen erneuten Gefangenenaustausch sowie Fragen im Zusammenhang mit dem politischen Status der Donbass-Republiken und der Realisierung der seit Ende Juli geltenden unbefristeten Feuerpause gehen. Es gibt da jedoch solch ein Thema, dass die Medien, russische Experten, offizielle Vertreter und selbst verschiedene Blogger sorgfältig umgehen. Es tangiert aber auf direkteste Weise die ökonomische Zusammenarbeit der Russischen Föderation mit den Gebieten im Donbass, die von Kiew nicht kontrolliert werden. Im Jahr 2014 hatten sich deren Einwohner für eine Unabhängigkeit offenkundig nicht deshalb entschieden, damit irgendwelche Betrüger und Geschäftsleute zweifelhaften Couleurs sich an deren Nöten und Entbehrungen gesundstoßen. Doch leider geschieht dies auch jetzt in den selbsternannten Volksrepubliken von Donezk und Lugansk.
Bergarbeiter-Revolte
Ausstehende Lohnzahlungen sind für die Bergarbeiter des Donbass insgesamt eine gewohnte Sache. Doch nach Einführung einer äußeren Verwaltung in den selbsternannten Republiken im Jahr 2017 haben die Bergleute für eine gewisse Zeit diese Plage vergessen. Es bestanden die Hoffnungen, dass Russland das Wirtschaftsleben der Region normalisieren kann. Leider haben sie sich als vergebens erwiesen. Aus der „Lugansker Volksrepublik“ (LVR) kommen traurige Nachrichten über Bergarbeiterstreiks und die Willkür der örtlichen Behörden.
Der Streik in der Grube „Komsomolskaja“ begann am 5. Juni 2020. Die zweite Schicht der Kumpel sammelte sich am Schachtfüllort und weigerte sich auszufahren, wobei sie forderte, ihnen die Löhne für April und März auszuzahlen. Am 21. April hatte in der Kohlegruppe bereits solch eine Protestaktion stattgefunden. Die Summe der Lohnschulden überstieg zum Mai 2020 die Marke von 2,5 Milliarden Rubel. Nach Aussagen des Co-Vorsitzenden der Unabhängigen Gewerkschaft der Donbass-Bergleute Alexander Waskowskij erhalten die Teilnehmer des Streiks regelmäßig Drohungen seitens der Leitung des Schachts, aber auch von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der LVR. Die Behörde nahm 14 Bergleute und Aktivisten der Gewerkschaft, die sich mit der Organisierung von Streikaktionen in der Republik befasst hatten, fest. Verhaftungen erfolgten in den Städten Krasnodon, Krasnyj Lutsch, Rowenki und Beloretschensk.
Oft sahen die Festnahmen buchstäblich wie Entführungen aus. Die Vertreter der Sicherheitsorgane zeigten keinerlei Dokumente oder Gerichtsbeschlüssen, sondern nahmen einfach den jeweiligen Menschen, seinen Computer und sein Mobiltelefon mit. Alexander Waskowskij berichtete, dass die Mitarbeiter des Lugansker MfS gegenüber den Gewerkschaftsaktivisten ungesetzliche Verhörmethoden angewandt hätten. Letztlich hat man denjenigen, die sich nicht auf Zugeständnisse einließen und den Kampf bis zum Ende fortsetzten, die Lohnschulden getilgt, aber nur für Februar und März. Auf die Frage des Internetportals „Russischer Frühling“ (www.rusvesna.su), ob er daran glaube, dass ein Appell der Lugansker Bergarbeiter an Wladimir Putin helfen werde, die Frage nach der Auszahlung der Lohnschulden zu lösen, kommentierte Alexander Waskowskij dies auf folgende Weise:
„Offen gesagt, nicht sehr, doch, verstehen Sie, wir leben heute unter Bedingungen des Kapitalismus. Und die Republiken leben natürlich unter Bedingungen eines wilderen Kapitalismus. Ein Teil der Bergleute hat ja schon die Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation. Und sowohl die Führung in Donezk als auch die Führung in Lugansk besitzen komplett die Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation… Das heißt: Bürger der Russischen Föderation blockieren die Kumpel, verletzen deren Rechte, entführen und üben Terror aus“.
Kohle für Kiew
Die Lugansker Bergarbeiter machen die einheimische Führung der Republik für all ihre Nöte und Probleme verantwortlich, aber auch den Geschäftsmann Sergej Kurtschenko, der sich im Auftrag Moskaus mit dem „Wiederaufbau“ der Wirtschaft in dieser Region befasst. Bis 2017 befanden sich die meisten Kohlegruben und Unternehmen der Region im Besitz ukrainischer Geschäftsleute – von Rinat Achmetow, Sergej Taruta, Jurij Iwanjustschenko und Viktor Janukowitsch. Das ging so weit, dass das Altschewsker Metallwerk, das sich auf dem Territorium der Lugansker Volksrepublik befindet, an die Ukraine die Steuer für die sogenannte antiterroristische Operation (ein von Kiew im Frühjahr des Jahres 2014 begonnene Militäroperation gegen die selbst proklamierten Republiken im Osten der Ukraine – Anmerkung der Redaktion) zahlte. Ab 2017 wurden die meisten Betriebe und Kohleschächte des Donbass nationalisiert und in das sogenannte Staatseigentum der Republik integriert. Vom Wesen her wurde das Firmenschild des Unternehmens, das die Vermögen verwaltet, ausgetauscht. Die Eigentümer blieben die bisherigen. Doch es tauchte eine zusätzliche Zwischenstruktur in Gestalt der Firma „Vneshtorgservice“, die sich unter der Kontrolle eben dieses Kurtschenko befindet, auf. Das Verkaufsschema für die Kohle aus den Schächten des Donbass ist recht banal. Die Steinkohle wird an kommerzielle Organisationen verkauft, die eine Registrierung in Russland, Abchasien oder Südossetien haben. Diese wiederum verkaufen die Kohle an ukrainische Abnehmer zu Marktpreisen. Die Differenz verschwindet in deren Taschen. In einigen Medien wurde mitgeteilt, dass „Vneshtorgservice“ von Kurtschenko im Donbass die Kohle zu einem Preis von etwa 1200 Rubel (umgerechnet knapp 14 Euro) die Tonne erwirbt, aber zu einem Preis von 4.000 Rubel (umgerechnet etwa 46,30 Euro) – darunter über Zwischenhändler – an ukrainische Wärmekraftwerke verkauft.
Bereits im Jahr 2016 hatte ein anderes Unternehmen von Sergej Kurtschenko, die Firma „Handelshaus „Erdölprodukt““, das Recht erhalten, Brenn- und Schmierstoffe in die LVR zu liefern. In die Donezker Volksrepublik wurden diese Stoffe bis zur Ermordung von Alexander Sachartschenko (am 31. August 2018 in Donezk – Anmerkung der Redaktion) entsprechend von Schemas und unter der Kontrolle des Industrie- und Handelsministeriums der Republik eingeführt. Das „Handelshaus „Erdölprodukt“ befasst sich außerdem auch mit Stromlieferungen an die LVR. Noch ein Kurtschenko-Unternehmen in der Donezker Volksrepublik, die Firma „Donbassgaz“, hat seit 2015 Milliarden-Schulden angehäuft. Und der Sektor an sich ist in der Republik vollkommen zerstört worden.
Krieg den einen, Gewinn – anderen
Nach Ende der aktiven Kampfhandlungen arbeitete der Ministerrat der Lugansker Volksrepublik im Beschluss Nr. 457 „Über die Bestätigung der Elektroenergietarife für die Verbraucher in der LVR“ Elektroenergietarife für die „Handelshaus „Erdölprodukt““ GmbH aus. Und bereits am 31. August 2016 verabschiedete der Ministerrat den Beschluss Nr. 466 „Über die Bestätigung des Typisierten Vertrags für die Lieferung von Elektroenergie für Rechtspersonen“. Darin wird darauf verwiesen, dass die gesamten Schulden hinsichtlich der Stromlieferungen für das Territorium der LVR im Zeitraum vom 12. Mai 2014 bis einschließlich 15. Juli 2016 getilgt werden müssten und zum Rechtsnachfolger bezüglich dieser Schulden die „Handelshaus „Erdölprodukt““ GmbH werde.
Es muss betont werden, dass sich praktisch alle Betriebe auf dem Territorium der LVR im Bereich der Führung von Kampfhandlungen befanden und deren Besitzer oft aufgrund objektiver Ursachen die kommunalen Ressourcen oder die verbrauchte Elektroenergie nicht bezahlen konnten. Ein Teil dieser Unternehmen war durch unterschiedliche Einheiten besetzt worden. Letztere gingen später in die Strukturen der Volksmiliz, des Innenministeriums und des MfS der LVR ein. Dabei war per Anordnung des damaligen Oberhauptes der LVR Igor Plotnizkij verkündet worden, dass alle Unternehmer der LVR, deren Unternehmen in der einen oder anderen Weise für die Verteidigung der Republik wirksam geworden waren, von der Bezahlung der kommunalen Ressourcen im ausgewiesenen Zeitraum befreit werden würden. Dennoch verpflichtete man alle Unternehmer, die entweder selbst oder durch ihre Betriebe die Verteidigung der Republik unterstützt hatten, die Schulden aus der Zeit der aktiven Kampfhandlungen zu tilgen.
Im September 2016 hatte man auch auf persönliche Anweisung des Oberhauptes der LVR Igor Plotnizkij alle Beschäftigten des staatlichen Unternehmens der Lugansker Volksrepublik „Lugansker Energieversorgungsbetrieb“ entlassen und in die Belegschaft der „Handelshaus „Erdölprodukt““ GmbH übernommen. Danach begannen Mitarbeiter der Kiewer Inkasso-Firma „Finanzunternehmen „Vertrauen und Garantie““, in die LVR zu kommen und bei Einwohnern und Unternehmen Kreditschulden einzutreiben. Es wurde ermittelt, dass die Vertreter der Inkasso-Firma zu den Personen kamen, deren Daten aus dem „Lugansker Energieversorgungsbetrieb“ an die „Handelshaus „Erdölprodukt““ GmbH übergeben worden waren. Bis November letzten Jahres hatte sich diese Situation in der Republik in keiner Weise verändert.
Russische Spuren rund um Lugansker Wirtschaftsobjekte
In der Lugansker Volksrepublik gibt es faktisch kein großes Industrieunternehmen. Die einzigen Vermögenswerte, die in der LVR die Strukturen Kurtschenkos interessieren konnten, waren die des Altschewsker Metallwerks, das bereits im Jahr 2017 unter die Kontrolle von „Vneshtorgservice“ kam. Früher wurde es durch den „Donbass-Industrieverband“ (DIV) kontrolliert, in dem Sergej Taruta einer der Besitzer ist. DIV-Aktien hält derzeit im Interesse der russischen Vneshekonombank das Moskauer Investmentunternehmen „Vardanian, Broitman und Partner“. Wichtig ist hervorzuheben, dass Kurtschenko und Taruta langjährige und bilaterale Business-Interessen verbinden. Nicht weniger interessant ist, dass „Vneshtorgservice“ mit Billigung russischer Rechtsschutzorgane die Geschäftsführung des DIV wahrnimmt, nachdem einer dessen Mitinhaber wegen Betrugs in großem Umfange festgenommen wurde.
Ja, und im Sommer 2018 begehrten die Strukturen von Sergej Kurtschenko die Rowenki-Bierfabrik, den bedeutendsten Steuerzahler in der LVR. Die Lugansker Staatsanwaltschaft unternahm den Versuch, ein Strafverfahren einzuleiten und den Betrieb zu nationalisieren. Nachdem aber dieser Konflikt publik wurde und die Belegschaft sich an Russlands Präsident Wladimir Putin wandte, distanzierten sich die Offiziellen der LVR von ihren Absichten.
Die russischen Wirtschaftsinteressen in den selbsternannten Volksrepubliken im Donbass sind mannigfaltig, wobei auffällig ist – sie werden nicht an die große Glocke gehängt. Beobachter meinen, dass dies auch durch die nach wie vor nicht abgeschlossene Neuaufteilung der lukrativsten Wirtschaftsobjekte bedingt wird. Überdies fließen russische Gelder in die Region, die scheinbar wenig kontrollierbar sind. Moskau ist gleichfalls nicht daran interessiert, dass sein Engagement im Osten der Ukraine groß bekannt wird. Vor allem mit Blick auf die westlichen Sanktionen, die erst jüngst wieder durch Brüssel verlängert wurden.