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Fehler in der Wetterprognose führte zu Problemen auf dem Nördlichen Seeweg


Ein Fehler bei der Beurteilung der Eissituation im Gebiet des Nördlichen Seeweges hat dazu geführt, dass 24 Schiffe von meterdicken Eisschollen gefangengenommen worden sind. Die Schiffe stehen in einem „Stau“ in den Buchten von Pewek, im Norden der Jenissej-Bucht (Karasee), im Gebiet des Kaps Deschnjow und des Kaps Zhelaniya sowie der Insel Dikson. Nach Aussagen von Rosatom-Generaldirektor Alexej Lichatschjow hatte sich die nicht zu kontrollierende Situation im Bereich des Nördlichen Seeweges vor etwa zwei Wochen herauszubilden begonnen. Gegenwärtig beeinflusst dies nicht nur die Sicherheit der Besatzungen, sondern auch die Termine für den Abschluss der sogenannten Nördlichen Lieferungen – einer alljährlichen Maßnahme zur Versorgung der Ortschaften im Gebiet des Hohen Nordens mit Lebensmitteln und anderen Materialien und Technik.

Das Setzen auf die globale Erwärmung und die Zugänglichkeit des Nördlichen Seeweges hat sich als zu vermessen erwiesen. Der heiße Sommer hatte die Situation in der Arktis nicht beeinflusst. Und erstmals seit sieben Jahren ist es hier ernsthaft kalt geworden. Dies vermochte nicht einmal Roshydromet, Russlands offizielles Wetteramt, vorauszusagen. Auf der Internetseite der Organisation war bis in die jüngste Vergangenheit die Wetterprognose auf der Route als eine günstige für die Schifffahrt ausgewiesen worden. Und die Eissituation war als eine „leichte“ eingestuft worden. In Rosatom betont man, dass sich die Seereedereien bei der Organisierung des Transports der Frachtgüter über den Nördlichen Seeweg an diesen Daten orientieren.

„Das Business ist halt Business, und die Führungskräfte der Reedereien hatten, sich an der günstigen Prognose orientierend, beschlossen, den Zeitraum der Beförderungen zu verlängern. Ohne einen Einsatz von Eisbrechern, ohne unsere Begleitung“, betonte Alexej Lichatschjow.

In diesem Jahr hat der Einsatz der Eisbrecher aufgrund der Pandemie-Einschränkungen erheblich später als die geplanten Monate September-Oktober begonnen. Verschoben hatte man ihn auf Ende Oktober und den November. „Das heißt auf jenen Zeitraum, in dem nicht empfohlen wird, eine eigenständige Bewegung, ohne die Hilfe von Eisbrechern über den Nördlichen Seeweg vorzunehmen“, teilte der Rosatom-Chef mit.

Alexej Lichatschjow betont, dass die Institution formal keine Verantwortung gegenüber den Frachtgutbeförderern trage. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegt die Verantwortung dafür, wer und wie sowie in welchen Zeiträumen die Schiffsüberfahrten vornimmt – mit einer Begleitung durch Eisbrecher oder ohne diese – beim Schiffseigner. Wir verstehen aber sehr wohl, dass, wenn eine Notsituation eintritt, keiner sich des Schiffseigners erinnern, sondern man erinnert sich an Rosatom, an das Transportministerium. Und wir haben im Notstandsregime, im Regime eines operativen Stabes diese Probleme zu lösen. Wir hätten es natürlich gern, dass man, wenn man das eine oder andere Schiff in die Region lässt, dennoch eine ernsthaftere Arbeit mit dem Schiffseigner bezüglich der Zeit und den Prinzipien für die Organisierung der Passage eines jeden der Schiffe durchführt. Dabei geht es nicht nur um eine Regulierung und Kontrolle, sondern auch eine Notwendigkeit des Zusammenwirkens, einer Vorabplanung“, betont der Rosatom-Chef.

Nach Aussagen von Alexej Lichatschjow „muss man natürlich Schlussfolgerungen aus dem Geschehenen ziehen und in diesem Sinne sich doch zum Nördlichen Seeweg nicht nur wie zu einer Magistrale, sondern auch wie zu einem sich entwickelnden Raum verhalten und ihn klar mit Eisbrechern und einer Eisbrecher-Absicherung verbinden. Derzeit gewährleistet Rosatom die Begleitung von Schiffen mittels Eisbrecher auf einer langfristigen Vertragsgrundlage. Die Hauptpartner – NOVATEK, Norilsk Nickel und Gazpromneftj – erhalten in dieser Situation eine transportseitige Absicherung gemäß früher unterzeichneten Abkommen. In der derzeitigen, an einen Notstand erinnernden Situation befasst sich Rosatom bereits rund zehn Tage lang mit Fragen einer Rettung der Schiffe dritter Organisationen, die in die Gefangenschaft riesiger Eisfelder geraten sind. Im Unternehmen ist ein operativer Stab unter Leitung des stellvertretenden Generaldirektors des Konzerns Wjatscheslaw Rukscha gebildet worden. Laut Angaben von „Atomflot“ (gehört zu Rosatom) sind derzeit im Bereich des Nördlichen Seeweges die drei Atomeisbrecher „Jamal“, „Taimyr“ und „Waigatsch“ im Einsatz. Anfang Dezember wird sich der aus einer planmäßigen Instandsetzung zurückkehrende Atomeisbrecher „50 Jahre des Sieges“ zu ihnen gesellen.

„In Bezug auf acht Schiffen ist die Aufgabe schon gelöst worden. Hinsichtlich der verbliebenen 16 wird gearbeitet. Ich hoffe sehr, dass die aufopferungsvolle Arbeit der Kapitäne der Atomeisbrecher und die reibungslosen Handlungen der Kapitäne der Frachtschiffe uns erlauben, bis Ende Dezember alle Probleme zu beseitigen“, unterstrich Alexej Lichatschjow.

Der Leiter von Rosatom versicherte, dass auch das Problem der rechtzeitigen Vornahme der nördlichen Anlieferungen gelöst werde. Im Arsenal befinde sich ein atomgetriebenes Leichtertransportschiff der Eisklasse „Nördlicher Seeweg“. Gegenwärtig ist das Schiff nach Wladiwostok unterwegs, wo es Frachtgüter für Pewek laden wird. Danach wird es kurzfristig nach Archangelsk verlegt, wo es noch Frachtgut für Tschukotka von sieben im Eis stecken gebliebenen Schiffen übernehmen wird.

Das Problem einer ungehinderten Schifffahrt über den Nördlichen Seeweg das gesamte Jahr über war im Juni im Rahmen des Arktis-Tages in Sankt Petersburg diskutiert worden. Alexej Lichatschjow hatte damals betont, dass der Nördliche Seeweg bis zum Jahr 2030 zu einer komfortablen internationalen Logistik-Route werden solle. Zu dieser Zeit sollten über sie bis zu 160 Millionen Tonnen Frachtgüter aus Europa nach Asien und zurück befördert werden. Dabei hatte der stellvertretende Leiter von Roshydromet Dmitrij Saizew hervorgehoben, dass „das Eis taut. Dies bedeutet aber nicht, dass es vollkommen verschwindet“. Betont wurde das Fehlen einer allumfassenden elektronischen Kartografie der Region. Dieses Problem lösen nicht einmal die Satelliteninformationen. Und bei einem Abweichen von der Route oberhalb des 76. Breitengrades sind die Schiffseigner gezwungen, Navigationskarten auf Papier zu nutzen. Und wie heute auszumachen ist, werden auch noch zusätzliche Eisbrecher-Kapazitäten gebraucht.

Bei der Beurteilung der sich in der Arktis herausgebildeten Situation gestand Alexej Lichatschjow die Notwendigkeit einer „Erhöhung der Zuverlässigkeit des Erhalts von Angaben zu den Wetterprognosen und der Eislage“ ein. „Wir haben es nicht gelernt, auf jene Veränderungen zu reagieren, die sich in der Natur vollziehen. Wir leben mit dem Unterpfand sehr einfacher und nicht immer wissenschaftlicher Wahrheiten: die generelle Erwärmung würde es auch in der Arktis geben. In den vergangenen Monaten habe ich mehrfach die Vorwürfe gehört, dass es in der Arktis wärmer wird, Sie aber Gelder für Eisbrecher erbitten. Die heutige Situation belegt, dass man noch mehr Eisbrecher und in noch kürzeren Zeiträumen bauen muss. All Haupteisbrecher des Unternehmens sind aus den 80er Jahren. Für sie ist es schwer zu arbeiten“, klagte Alexej Lichatschjow.

Bis zum Jahr 2035 plant Rosatom, sechs zusätzliche Eisbrecher zu bestellen. Dies sind Atomeisbrecher der Serie 22220 vom Typ „Arktis“ mit einer Leistung von 60 Megawatt, die mit einer 2-Reaktoren-Anlage vom Typ RITM-200 ausgerüstet sind. Der Eisbrecher dieses Typs gilt als weltweit stärkster. Er ist imstande, einen 54 Meter breiten Kanals durch Eis mit einer Stärke von drei Metern zu bahnen. Dies erlaubt, Tanker mit einer Wasserverdrängung von mehr als 100.000 Tonnen passieren zu lassen. Nach Schätzungen von Rosatom-Experten liegen die Kosten für einen Atomeisbrecher bei 60 Milliarden Rubel.

Neben ihnen ist geplant, weitere vier Eisbrecher auf Kiel zu legen, die mit verflüssigtem Erdgas arbeiten sollen. Dies sind leichte Eisbrecher mit einer Leistung von 25 bis 45 Megawatt für einen Einsatz in leichten Eisgebieten und in Flussmündungen. Geplant ist, sie in einer Allianz mit Vertretern des Big Business zu bauen, die an einem störungsfreien Transport von Frachtgütern über den Nördlichen Seeweg interessiert sind.

Allerdings gilt dies für die mittelfristige Perspektive, bis zum Jahr 2026. In den Jahren 2023-2024 schickt sich Rosatom an, eine Entscheidung darüber zu fällen, was für eine Menge an großen, in Serie gefertigten Eisbrechern mit einer Leistung von 120 Megawatt das Land nach 2030 benötigt. Es geht dabei um das Projekt 10510 „Leader“. Das erste Schiff dieser Serie wurde im Juni dieses Jahres auf der Werft „Swesda“ auf Kiel gelegt.