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Forum in Nowgorod wird zu einer Prüfung für die Herrschenden


Eine Million Rubel für den Semskij-Kongress kommunaler Abgeordneter, der am 22. und 23. Mai in Nowgorod stattfinden soll, sind faktisch zusammengetragen worden, die Delegierten gewählt. Die Teilnehmer des Forums, die über 30 Regionen des Landes vertreten, werden künftigen Kandidaten und den Parteien vorschlagen, die Resolutionen über die Entwicklung der örtlichen Selbstverwaltung zu unterstützen. Dies wird zu einem Test in Sache oppositioneller Einstellung der Teilnehmer der Wahlen. Die Offiziellen aber haben ihren Test zu bestehen: Ein Auseinanderjagen der Veranstaltung oder ein Nichteingreifen in ihre Durchführung werden zeigen, erfolgt derzeit ein Kampf nur gegen die außerparlamentarischen Radikalen-Extremisten oder generell gegen die Bürgeraktivitäten.

Die für den Semskij-Kongress (Semstwo — lokale Selbstverwaltungseinheit auf Kreis- und Gouvernementsebene im Russischen Kaiserreich, die 1864 im Zuge liberaler Reformen unter Zar Alexander II. eingeführt wurde – Anmerkung der Redaktion) zusammengetragenen Spenden haben bereits seinen Organisatoren erlaubt, die Hotelkosten, den Konferenzsaal und die Fahrkarten für die Delegierten zu bezahlen. Veröffentlicht wurde gleichfalls die Tagesordnung der Veranstaltung – eine oppositionelle und offenkundig von den bevorstehenden Wahlen bestimmte.

Einer der Initiatoren, der Abgeordnete aus der Stadtduma von Kostroma Nikolaj Sorokin, erläuterte freilich der „NG“, dass der Kongress hinsichtlich seiner Spezifik in erster Linie ein Ort für einen Erfahrungsaustausch und ein Zusammenwirken verschiedener politischer Kräfte sei. Zu seinen Ergebnissen würden Erklärungen zu Fragen der Entwicklung der örtlichen Selbstverwaltung vorbereitet werden – was es für Probleme hier gebe und was für ihre Lösung getan werden müsse. Vorgeschlagen werde allen Parteien und Kandidaten für die Staatsduma (das Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion), die Resolution des Semskij-Kongresses zu unterstützen. Die Kommunalpolitiker werden dies als einen Test zwecks Ermittlung jener ansehen, die demokratisch und oppositionell eingestellt sind und die folglich bei den Wahlen unterstützt werden sollten.

Dabei stehe nach Aussagen von Sorokin bisher ein konkretes Gespräch über die Duma-Wahlen nicht auf der Tagesordnung, jedoch würden die Teilnehmer natürlich im Verlauf des Forums alles entscheiden. Und in der Tat, einer der Initiatoren des Semskij-Kongresses, die Moskauer Kommunalpolitikerin Julia Galjamina, erinnerte die Delegierten ein weiteres Mal daran: „Wir lernen uns kennen, tauschen Erfahrungen aus und erarbeiten eine gemeinsame Strategie zu den Wahlen und Anforderungen an die Kandidaten für die Staatsduma. Horizontale Verbindungen jetzt zu gestalten, ist nötig und wichtig, schließlich sind die nächsten Wahlen eine Chance, die Situation im Land in unsere Richtung zu bringen“. Die Organisator*innen verweisen ständig auf den Semskij-Kongress von 1904, wobei sie ihn als ein historisches Ereignis bezeichnen, das damals eine wichtige Rolle bei der Demokratisierung der russischen Gesellschaft gespielt hätte.

Bisher ist unbekannt, ob sich die Offiziellen entschließen werden, die Veranstaltungen zu verbieten oder gar auseinanderzutreiben. Jedoch sind Hindernisse bereits geschaffen worden – was die Finanzierungskanäle angeht. Das Organisationskomitee erwähnte in seinem Bericht die Überwindung von „Schwierigkeiten aufgrund der Blockierung von Konten“. Dennoch aber sind 950.000 Rubel für den Semskij-Kongress gesammelt und bereits ausgegeben worden. Im Verlauf von ein paar Tagen sollen noch 50.000 Rubel für unvorhergesehene Ausgaben akkumuliert werden.

Zum Kongress ist auch ein Expertenreport über Probleme der politischen Vertretung in Russland veröffentlicht worden. In dem kann man recht harte Erklärungen nachlesen. „Das politische System enthält eingebaute Restriktionen, die eine adäquate Vertretung unmöglich machen und zu einer künstlichen Dominanz einer Partei führen.“ Gleichfalls gibt es in dem Dokument eine Kritik an der Judikativen: „Das Verfassungsgericht ist dazu berufen, in Russland die Rolle eines politischen Schiedsrichters zu spielen, der die Verfassung interpretiert. Tatsächlich verwandelt es sich jedoch zu einer geschlossenen Kaste, repräsentiert nicht die Position der Juristen-Community und widerspiegelt nicht die Werte u8nd Weltanschauungen, die in der russischen Gesellschaft existieren“. Eine der schärfsten Thesen betrifft die sich verstärkende Monopolisierung der Macht. „Je weiter umso stärker reflektiert sie vorrangig die Interessen der Bürokratie, während sich das Verhältnis der Positionen in der Gesellschaft nicht zu Gunsten der Bürokratie verändert.“

Allerdings sind bisher keinerlei Signale für irgendwelche geplante Verfolgungen von Delegierten des Semskij-Kongresses oder sein Auseinanderjagen auszumachen. Laut Informationen des bereits erwähnten Abgeordneten Sorokin seien bisher seine Kollegen-Organisatoren mit keinem Druck konfrontiert worden. Doch unter den gegenwärtigen Bedingungen könne man nichts voraussagen. „Wenn man objektiv urteilt, so ist die Veranstaltung vollkommen legitim und verfassungsgemäß. Es schicken sich konstruktive Menschen, die zu Machtorganen und Organen der örtlichen Selbstverwaltung gehören, an zu kommen. Sie wollen Probleme hinsichtlich ihrer Spezifik erörtern. Ja, und es werden öffentliche Menschen zusammenkommen, deren Position seit langem bekannt ist. Dies sind Abgeordnete und keine Untergrundkämpfer. Im Großen und Ganzen kann man aber morgen schon auch einen Kongress von Katzenliebhabern auseinanderjagen, nachdem man entschieden hat, dass dies ein schlechtes Beispiel sei, oder um sich einfach Verdienste zu ergattern“. Wenn irgendein Druck auf den Kongress ausgeübt wird, so werden die Delegierten des Kongresses bereits vor Ort entscheiden, was zu tun ist, unterstrich Sorokin.

Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow erläuterte: „Der Semskij-Kongress ist ein Lackmustest für Offiziellen, entsprechend dessen Ergebnissen klar wird, was uns im Weiteren erwartet. Da dort ganz und gar keine radikalen oppositionellen Kräfte zusammenkommen, sondern kommunale Abgeordnete, und sie vorhaben, die örtliche Selbstverwaltung zu diskutieren, so dürfte man dies von der Idee her nicht auseinanderjagen. Derartige Kongresse sind in der Tat sogar unter dem Zaren durchgeführt worden. Wenn aber eine solche Veranstaltung aufgelöst wird, so ist dies ein Signal dafür, dass jegliche nichtsanktionierten Versammlungen nicht begrüßt werden, dass sich die Menschen überhaupt nicht selbst organisieren dürfen. Es wird interessant sein zu sehen, wird es jetzt brutaler als unter Nikolaj II. werden“. Der Experte ist der Auffassung, dass es umso mehr keine Gründe für ein Auseinanderjagen gebe, da man die Kongressteilnehmer ohnehin schon seit langem „auf dem Kicker“ habe. Daher gebe es nach Meinung von Kalatschjow für den Kreml keinen Grund, harte Kommandos zu geben. Aber „wenn man auseinanderjagt, so wird dies der Landesbevölkerung zeigen, dass sie nicht als ein Subjekt des Zusammenwirkens anerkannt wird, sondern einfach jeglichen Entscheidungen der Herrschenden dankbar sein muss“. „Dies wird zu einem Punkt für das Land, nachdem es keine Rückkehr gibt, und der den Begriff „Zivilgesellschaft“ vernichtet. Es werden nur von den Offiziellen sanktionierte Projekte und das Wirken der prostaatlichen Organisationen bleiben“, erklärte der Experte.

Alexej Makarkin, 1. Vizepräsident des Zentrums für politische Technologien, denkt, dass, „da derzeit ein Verbotstrend vorherrscht, macht es Sinn, eine negative Haltung der Offiziellen gegenüber dem Semskij-Kongress zu erwarten. Wie sich aber gerade dieses Negative offenbaren wird, ist bisher nicht möglich zu sagen. Das Arsenal der Handlungen ist sehr mannigfaltig – von einem gewaltsamen Auseinandertreiben bis zur Verweigerung eines Anmietens der Räumlichkeit. Dabei wird man in erster Linie auf die personelle Zusammensetzung der Delegierten schauen. Und dies bedeutet, dass sich die Haltung der Offiziellen zu der Veranstaltung jeden Augenblick ändern kann. Das Problem besteht darin, dass die Logik der Herrschenden nicht immer verständlich ist. Sie ist nicht transparent. Es gibt keine klaren Kriterien dafür, was als unerwünscht angesehen wird und was als erwünscht. Und obgleich zur Zarenzeit die Verschärfungen zu nichts Gutem geführt hatten, funktioniert bei den russischen Herrschenden nach wie vor eine Sicherheitslogik. Wie sie dieses Mal wirken wird, wird die Zeit zeigen“, konstatierte der Experte.