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Fremdsprachen-Kenntnisse der Russen auf einem Stand zwischen Afghanistan und Bolivien


Eines der Hindernisse auf dem Weg der Entwicklung der russischen Wirtschaft ist das schwache Beherrschen von Fremdsprachen selbst unter qualifizierten Fachleuten. Russland liegt ernsthaft hinter den meisten Ländern selbst auf dem Gebiet der Englisch-Kenntnisse zurück. Höchstens 15 Prozent der Absolventen der russischen Hochschulen beherrschen Englisch auf einem mehr oder wenigen freien Niveau. Doch im Durchschnitt beherrschen in Russland lediglich rund 5 Prozent der Bevölkerung Englisch. Zum Vergleich: In Polen beherrscht die Hälfte der Bevölkerung die Sprache von William Shakespeare. All dies macht russische Spezialisten auf dem globalen Arbeitsmarkt einfach zu nichtwettbewerbsfähigen. 

Die russischen Bürger und in erster Linie der Hochschulabsolventen demonstrieren mehr als nur bescheidene Fertigkeiten auf dem Gebiet der Beherrschung von Fremdsprachen, gestehen Experten ein. 

Der Beherrschungsgrad der englischen Sprache von russischen Absolventen beispielsweise ist sehr gering, wenn man mit anderen Ländern einen Vergleich anstellt, erklärt Jeanna Wolkowa, Marketing-Direktorin von Kelly Services. „Laut unseren Untersuchungen beherrschen nur 5 Prozent der Bewerber aller Altersgruppen im ganzen Land Englisch, in Moskau und Sankt Petersburg ist dieser Prozentsatz höher und macht rund 10 (Prozent) aus“, erläutert sie, wobei sie unterstreicht, dass selbst diese erbärmlichen Ziffern weitaus besser seien als noch vor einigen Jahren. Über einen geringen Wissensstand spricht auch Violetta Usanowa, Leiterin der Firma „Skyeng Education System for University“. „Laut unseren Untersuchungen kommen die Studenten des ersten Studienjahres in den nichtlinguistischen Fachrichtungen mit einem durchschnittlichen Englisch-Sprachniveau von A1 bis A2 (Anfangsniveau) in die Hochschulen und werden mit einem Beherrschungsgrad von A2 bis B1 (mittlere – über dem mittleren) entlassen“, teilte sie mit.

Usmanowa fügte hinzu: Meistens lernt man die englische Sprache an den Universitäten nur in den ersten beiden Semestern und dann, drei Jahre später im Rahmen des Magisterstudiums. „Für Reisen und ein Kommunizieren auf dem Alltagsniveau ist dies in der Regel ausreichend. Für einen Spezialisten, Forscher oder Profi ist dies aber wenig. Er muss nicht nur die Grammatik kennen und einen Basiswortschatz besitzen, sondern auch über spezielle Fertigkeiten für Fachgespräche in Englisch und die spezifische Terminologie verfügen, den Kontext des Dialogs verstehen und es verstehen, ihn zu führen“, erklärte die Expertin. 

Zuvor hatte das Internetportal „Rabota.ru“ über 2.000 russische Studenten aus 140 Hochschulen des Landes befragt und gelangte zu der Schlussfolgerung, dass lediglich ein unerheblicher Teil von ihnen in der Lage ist, sich frei in der Sprache Shakespeares zu artikulieren. So sprechen nur 15 Prozent der Befragten Englisch auf dem Niveau „Upper Intermediate“ und „Advanced“. „Praktisch jeder fünfte Befragte (23 Prozent) beherrscht die Sprache auf dem Durchschnittsniveau (Intermediate), 16 Prozent der Studenten und Absolventen beherrschen sie auf dem Niveau Pre-Intermediate, rund 20 Prozent besitzen Englischkenntnisse auf dem Anfangsniveau“, folgt aus den Befragungsergebnissen. Bemerkenswert ist, dass unter den Magister-Studenten 22 Prozent Englisch auf einem fortgeschrittenen Niveau beherrschen, bei den Bachelor-Studenten – ganze 14 Prozent. Dabei lernen die meisten Auszubildenden (90 Prozent) diese Fremdsprache, unterstreichen die Forscher. 

Nach Meinung von Experten hängt der Kenntnisstand wesentlich von den Plänen der künftigen Bewerber an sich ab. So haben einen fortgeschrittene Beherrschungsgrad hinsichtlich der englischen Sprache diejenigen, die ihre Arbeitstätigkeit in der Russischen Föderation ausüben wollen, nur 17 Prozent. Unter denjenigen aber, die beabsichtigen, in der Zukunft in einem anderen Land zu arbeiten, liegt dieser Wert bei etwa einem Drittel der Befragten, wie die erwähnte Umfrage des Internetportals „Rabota.ru“ zeigte. 

Im internationalen Vergleich sieht die Situation Russlands ganz und gar deprimierend aus. So fand sich entsprechend dem Index für die Beherrschung der englischen Sprache, der alljährlich durch die Bildungsorganisation English First ermittelt wird, Russland auf dem 48. Platz der einhundert möglichen, womit es zur Gruppe der Länder mit einem geringen Beherrschungsgrad dieser Sprache gehört. Dabei liegt Russland nur unter den europäischen Staaten auf dem 28. von 33 Plätzen. Im Endergebnis ist der Englisch-Beherrschungsgrad in Russland zum gegenwärtigen Zeitpunkt genau solch einer wie beispielsweise in Afghanistan, Vietnam, Pakistan und Bolivien. 

Nicht zu übersehen ist auch eine Ungleichmäßigkeit hinsichtlich des Niveaus der Englischkenntnisse zwischen Moskau und Sankt Petersburgs einerseits und der Regionen des Landes andererseits, was Felix Kugel, Geschäftsführer der HR-Firma UNITY, gegenüber der „NG“ bestätigte. „Rund 80 Prozent der Absolventen der führenden russischen Hochschulen beherrschen die englische Sprache auf dem Niveau Upper-Intermediate und Advanced“, betonte er. Weiter konstatierte er: Je besser der Beherrschungsgrad umso aktiver werden die Studenten in die Prozesse der Zusammenarbeit zwischen Hochschulen involviert. Jedoch gewährt bei weitem nicht jede Hochschule in der Russischen Föderation seinen Studenten solche Möglichkeiten, konstatiert Natalia Fominikh, Professorin an der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität. „Die Hauptprogramme einer statistisch durchschnittlichen Hochschuleinrichtung sind für die Erlangung eines durchschnittlichen (keines hohen oder fortgeschrittenen) Grades der Fremdsprachenbeherrschung ausgelegt und sehen ein obligatorisches Studium einer Fremdsprache in den ersten zwei bis vier Semestern vor“, erläutert sie, wobei sie unterstreicht, dass viele Spitzen-Hochschulen des Landes nach Möglichkeiten für eine Erweiterung dieses Zeitraums durch die Integrierung fremdsprachiger Bildungsprogramme suchen. 

Noch ein Problem ist der Mangel an Ausbildungskräften an sich. Laut den Ergebnissen der Untersuchung „Monitoring der Effektivität der Schule“ der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst aus dem vergangenen Jahr sei in vielen Regionen der Russischen Föderation der größte Personalmangel gerade unter den Fremdsprachenlehrern zu beobachten, hebt Natalia Fominikh hervor. „Auf einen Lehrer kommen in den russischen Schulen 25 bis 28 Auszubildende, während das Verhältnis von eins zu 13 optimal ist. Dementsprechend sind bei weitem nicht alle Studienanfänger bereit, eine Fremdsprache entsprechend dem Hochschulprogramm zu studieren und erreichen nur das Basisniveau für das Beherrschen zum Abschluss des Universitätslehrgangs“, teilte N. Fominikh mit. Offensichtlich wurde der schwache Ausbildungsgrad der Schullehrer an sich zu einem der Gründe für das Bildungsministerium, sich von der Idee eines obligatorischen Abiturexamens (in Russland nach Abschluss der 11. Klasse – Anmerkung der Redaktion) in einer Fremdsprache zu trennen. Dabei wird das Ministerium auch noch von den Bürgern Russlands massiv unterstützt, wie eine am 4. August vorgelegte Untersuchung des Internetportals „Superjob.ru“ zeigte. Jeder zweite Befragte (51 Prozent) hält die Entscheidung über die Nichteinführung einer Fremdsprache als Pflichtfach für die Abiturprüfungen für richtig. Als Argumente wurden dabei unter anderem ins Feld geführt: geringe Qualifikation der Lehrer, nicht jeder brauche Fremdsprachenkenntnisse im Leben und bei der Arbeit sowie die Unfähigkeit einiger Schüler, sich überhaupt eine Fremdsprache anzueignen, und die allgemeine Überlastung der Schulabgänger.      

Damit wird die Tatsache ignoriert, dass Fremdsprachenkenntnisse heute praktisch in jedem Bereich notwendig sind, unterstreichen Experten. Und 54 Prozent der durch das Allrussische Meinungsforschungszentrum befragten Russen vertreten ebenfalls die Meinung von der Notwendigkeit, Fremdsprachen zu beherrschen. „Englischkenntnisse sind (beispielsweise) für diejenigen wichtig, die in Vertretungen großer internationaler Unternehmen arbeiten möchten…“, erklärt Felix Kugel. Schließlich könne selbst ein ausgezeichneter Spezialist seine Position nicht darstellen, wenn sein Englisch mangelhaft ist. Und umgekehrt werden diejenigen, die Englisch beherrschen, selbst wenn sie sehr durchschnittliches Wissen und Fähigkeiten besitzen, oft zu Führungskräften, einfach weil sie schön und richtig sprechen, merkt Jeanna Wolkowa an.

Den aktuellen Grad der Fremdsprachenbeherrschung kann man selbst für diejenigen als einen kritisch geringen bezeichnen, die vorhaben, in Russland zu arbeiten, meint Mark Agranowitsch, Direktor des Forschungszentrums für Monitoring und Statistik des Bildungswesens bei der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst. „Heute ist die Wissenschaft global. Es ist unmöglich, etwas zu tun ohne ein Verstehen dessen, was die ausländischen Kollegen machen. Beinahe die ganze wissenschaftliche Literatur ist auf Englisch. Um unsere Wissenschaft zu propagieren und von einer Konkurrenzfähigkeit zu sprechen, um sich in die Welt einzubringen, muss man unter anderem auch in englischsprachigen ausländischen und internationalen Zeitschriften publizieren. Dafür sind auch Sprachkenntnisse nötig. Eine schwache Beherrschung des Englischen schmälert unseren Beitrag zur internationalen Wissenschaft und Konkurrenzfähigkeit“, betont er. „Das gleiche gilt auch für die Produktion, Technik und Berufstätigkeit. Die Sprache hilft uns zu erfahren, welche Technologien in anderen Ländern genutzt werden, die Markt- und technologischen Tendenzen kennenzulernen, über die man in ausländischen Zeitschriften schreibt“, fährt der Experte fort. 

Und überdies können Sprachkenntnisse auch wesentlich den Verdienst des künftigen Spezialisten beeinflussen. So kann im staatlichen Sektor die Beherrschung der englischen Sprache über 75 Prozent zum Verdienst beisteuern. Den Bewerbern für einen Job im Bildungsbereich – rund 37 Prozent, im juristischen Bereich und in der IT-Sphäre – rund 30 Prozent, berichtete man beim Internetportal „Rabota.ru“. „Im Durchschnitt kann mit Blick auf den gesamten Markt die Forderung nach Englischkenntnissen rund ein Drittel zum Grundgehalt beisteuern“, resümierte Xenia Kurnikowa, Marketing-Direktorin von „Rabota.ru“, wobei sie unterstrich, dass der Mangel an solchen Kräften auf dem Markt die Arbeitgeber veranlasse, solchen Spezialisten mehr zu bezahlen.