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Frühjahrseinberufung in Russland erlebt neuen Rekord


In der Russischen Föderation und in der Ukraine vollziehen sich ab dem 1. April wichtige Veränderungen im System der Einberufung und Auffüllung der Truppen, was sich indirekt auf die Situation in der Zone der militärischen Sonderoperation auswirken kann. Gemäß dem Erlass des russischen Präsidenten Wladimir Putin Nr. 222 vom 31. März werden im Rahmen der Frühjahrseinberufungskampagne erstmals 150.000 Bürger Russlands im Alter von 18 bis 30 Jahren zum Wehrdienst eingezogen. Ihnen werden teilweise im Rahmen eines Tests elektronische Einberufungsbefehle übergeben. In der Ukraine beginnt derweil gemäß einem von Präsident Wladimir Selenskij unterzeichneten Gesetz ab 1. April eine Demobilisierung aller Grundwehrdienstleistenden, die zwei Monate dauern wird. Jedoch endet damit weder in Russland noch in der Ukraine die Reformierung des Systems der Erfassung, Auffüllung und Ausbildung der zu mobilisierenden Reserven.

Gemäß den Anweisungen des russischen Staatsoberhauptes Wladimir Putin soll die Führung des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation ein System zur Übergabe elektronischer Einberufungsbefehle an die Bürger sowie zur Erfassung der Wehrpflichtigen ohne deren persönlichem Erscheinen in den Militärkommissariaten erproben. Laut dem Gesetz der Russischen Föderation, das am 11. April 2023 verabschiedet wurde, soll solch ein System im Land bereits ab 1. Januar 2025 eingeführt werden. Nach diesem Stichtag wird ein elektronischer Einberufungsbefehl für den jeweiligen Wehrpflichtigen sieben Tage nach dessen Publizierung in einem speziellen Register als ein ausgehändigter angesehen. Aber schon heute, in der sogenannten Übergangsperiode, wird es für die Bürger Russlands nach Erhalt des Einberufungsbefehls im zuständigen Militärkommissariat verboten sein, ins Ausland zu reisen. Im Falle eines Nichterscheinens in der Einberufungsstelle innerhalb von 20 Tagen sind eine Geldstrafe von bis zu 30.000 Rubel, aber auch andere restriktive Maßnahmen vorgesehen. Zu denen gehören ein Verbot für die Registrierung als ein Privatunternehmer oder als ein Selbstbeschäftigter, die Aussetzung der staatlichen Registrierung von Immobilien, eine Einschränkung für das Nutzen von Transportmitteln und ein Verbot für deren Registrierung.

Im Verlauf der Herbsteinberufung des vergangenen Jahres waren 130.000 Personen in die Streitkräfte der Russischen Föderation, in andere Truppen und militärische Formationen eingezogen worden. In diesem Frühjahr wird gemäß dem Präsidenten-Erlass Nr. 222 eine Rekordzahl im Vergleich zu den vergangenen 10 bis 15 Jahren in die Armee und andere bewaffnete Strukturen einberufen – 150.000 Personen. Die Zunahme der Zahl der Neueinberufenen beeinflusste die Anhebung der Obergrenze des Einberufungsalters gleich um drei Jahre bis auf 30 Jahre. Wie Generaloberst Jewgenij Burdinskij, Chef der Organisations- und Mobilmachungshauptverwaltung des Generalstabs der Streitkräfte der Russischen Föderation, erklärte, „wird die Einberufung von Bürgern höheren Alters wohltuend das moralische Klima der Truppenteile und -einheiten beeinflussen, da Bürger in die Truppen kommen, die garantiert eine Berufsausbildung und Lebenserfahrungen besitzen“.

Der General versicherte, dass die zum einjährigen Grundwehrdienst einberufenen russischen Bürger nicht für eine Teilnahme an der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine eingesetzt werden würden. Gleichfalls versicherte man, dass sie nicht zu Dislozierungsorten der Streitkräfte in den neuen Regionen Russlands – in die Donezker und die Lugansker Volksrepublik sowie die Verwaltungsgebiete Cherson und Saporoschje – gebracht werden würden. Derweil ist nichts gesagt worden, ob die neueinberufenen Militärs ihren Wehrdienst in Grenzgebieten der Verwaltungsgebiete Belgorod, Kursk und Brjansk leisten werden, die regelmäßig durch die Streitkräfte der Ukraine beschossen werden. Unklar ist ebenfalls, ob in diese Regionen Grundwehrdienstleistende für einen Dienst im Grenzdienst des FSB Russlands entsandt werden. Das Gesetz über das Recht der Bürger der Russischen Föderation, entsprechend einer Einberufung in diesen Truppen zu dienen, war am 25. Dezember 2023 unterzeichnet worden.

Mit einer Reformierung ihres Mobilmachungssystems befasst sich auch die Ukraine. Im April und Mai beginnt dort die Entlassung aller Grundwehrdienstleistenden in die Reserve, die gegenwärtig in den Truppen dienen. Wie aus den Erklärungen des ukrainischen Verteidigungsministers Rustem Umerow deutlich wird, wird man keine jungen Männer mehr in die ukrainischen Streitkräfte im Rahmen des Grundwehrdienstes einziehen. Anstelle dessen wird im Land „eine intensive Militärausbildung der Bürger im Einberufungsalter“ organisiert. Sie wird aber nicht als Militärdienst angesehen, da sie in Form von Trainingslagern, Lehrgängen, Vorlesungen, Übungen usw. organisiert werden wird. Nach solch einer Ausbildung können die Bürger im Rahmen einer Mobilmachung eingezogen werden. Wie der Mechanismus für die Schulung der Reservisten und deren Mobilmachung aussehen wird, ist bisher unbekannt. Er soll neben den Hauptbestimmungen, die der Einberufung und Auffüllung der ukrainischen Truppen gewidmet werden, in einem neuen Gesetz festgeschrieben werden, dass bereits über drei Monate in der Werchowna Rada der Ukraine (das Landesparlament – Anmerkung der Redaktion) diskutiert wird.

Heute ist klar, dass laut den Plänen Kiews in den Streitkräften der Ukraine und in anderen bewaffneten Strukturen des Landes (in der Nationalgarde und im Grenzdienst) Freiwillige, die einen Vertrag unterschrieben, und im Rahmen einer Mobilmachung erfasste Bürger dienen werden. Nach Einschätzungen von Experten werde sich im Zusammenhang mit der Demobilisierung der Grundwehrdienstleistenden der Personalbestand der ukrainischen Streitkräfte um 40.000 Mann verringern. Gerade solch eine Anzahl junger Männer im Alter von bis zu 27 Jahren war im Oktober des Jahres 2021 und früher in die ukrainische Armee eingezogen worden. Für sie war nach Beginn der Kampfhandlungen im Frühjahr 2022 die Demobilisierung durch die ukrainische Gesetzgebung ausgesetzt worden. Und jeder der Grundwehrdienstleistenden diente somit mindestens mehr als zwei Jahre und gar noch länger. Wobei sie laut den ukrainischen Gesetzen eigentlich anderthalb Jahre dienen sollten, und Personen mit einer Hochschulausbildung – nur ein ganzes Jahr.

In den Streitkräften der Ukraine hofft man, dass die zu entlassenen Soldaten und Unteroffiziere Verträge unterschreiben und den Dienst fortsetzen werden. Derweil versuchen, Veröffentlichungen in den Medien nach zu urteilen, manche Bürger einer Mobilmachung zu entgehen. Der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte, Alexander Syrskij, gestand ein, dass „für eine Beibehaltung der Kampffähigkeit und für eine Absicherung der Rotation der Einheiten und Truppenteile der Streitkräfte an der Front mehrere Hunderttausend Bürger des Landes im Rahmen einer Mobilmachung eingezogen werden müssen, aber keine500.000 Mann“. „Nach einer Überprüfung unserer inneren Ressourcen und Präzisierung des Kampfbestands der Streitkräfte der Ukraine wurde diese Zahl wesentlich verringert. Wir erwarten, dass wir ausreichend Männer haben werden, die in der Lage sind, die Heimat zu verteidigen. Es geht nicht nur um im Rahmen einer Mobilmachung erfasste Männer, sondern auch um Freiwillige“, sagte Syrskij.

Diese Erklärungen von Syrskij widerlegen aber seine Unterstellten. Eine Reihe von Nachrichtenagenturen zitierten dieser Tage Roman Istomin, den Sprecher eines regionalen territorialen Zentrums für Auffüllung (vergleichbar mit den russischen Militärkommissariaten – „NG“), der mitgeteilt hatte, dass die Polizei im Verwaltungsgebiet Poltawa 30.000 Männer suchen würde, die sich einer Mobilmachung entziehen. „Weitere 36.000 Wehrpflichtige sucht die Polizei im Verwaltungsgebiet Iwano-Frankowsk“, teilte Roman Bodnar, stellvertretender Chef des dortigen Zentrums für Auffüllung, mit. Und dieser Tage erklärte der Befehlshaber der Landstreitkräfte, Generalleutnant Alexander Pawljuk, dass die Bürger im ganzen Land „bis zu einer Hetzkampagne“ gegen die Zentren für Auffüllung übergegangen seien, von denen die meisten mit Militärs personell ausgestattet sind, die im Verlauf von Gefechten ihre Gesundheit verloren haben und für einen Dienst an der Front als untauglich eingestuft wurden.