Die in Tadschikistan stationierten Militärs des 201. Stützpunktes der Russischen Föderation nehmen bisher nicht an der Verstärkung der tadschikisch-afghanischen Grenze teil, zu der Kämpfer der in Russland verbotenen „Taliban“-Bewegung vorgerückt sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich Moskau nicht auf mögliche Kampfhandlungen gegen die Islamisten vorbereitet.
Russlands Verteidigungsministerium informiert über Manöver des 201. Stützpunkts, die unter Beteiligung tadschikischer Truppen auf den Gebirgsübungsplätzen Lyaur und Sambuli (Tadschikistan) stattfinden. Und russische Spezialeinheiten des Zentralen Militärbezirks haben in der vergangenen Woche in den Bergen des West-Tienschans im Ausbildungszentrum der usbekischen Streitkräfte „Tschimgan-Forst“ (Verwaltungsgebiet Taschkent) einen Lehrgang zur Hochgebirgsgefechtsausbildung abgeschlossen. In der nächsten Zeit werden Einheiten des Zentralen Militärbezirks eine Verlegung zur Grenze mit Afghanistan im Bereich des usbekischen Verwaltungsgebietes Surchan-Darja vornehmen, wo auf dem Truppenübungsplatz Termez Anfang August gemeinsame Manöver „zur Vernichtung angenommener illegaler bewaffneter Formationen, aber auch zur Führung von Handlungen der Gefechtsaufklärung und zum Anlegen von Hinterhalten unter Hochgebirgsbedingungen stattfinden werden.
In Taschkent macht man sich bisher keine großen Sorgen aufgrund einer möglichen Eskalation des Konflikts im Zusammenhang mit der Einnahme der nördlichen afghanischen Provinzen durch die Taliban. Augenscheinlich hat Taschkent nichts dagegen, mit der „Taliban“-Bewegung engere Beziehungen zu unterhalten, wie dies unter Präsident Islam Karimow der Fall gewesen war. Den Trend im Zusammenhang mit einer möglichen Verstärkung des religiösen Faktors hat auch Usbekistans Präsident Shavkat Mirziyoyev markiert, der dieser Tage Änderungen am Gesetz „Über die Religionsfreiheit und religiöse Organisationen“ unterzeichnete und damit das Verbot für das Tragen des Hidschabs an öffentlichen Orten aufhob, aber auch die Registrierung religiöser Organisationen vereinfachte.
Dabei zieht man aber in Taschkent doch einen möglichen Export von Instabilität und einen Flüchtlingsstrom ins Land im Zusammenhang mit dem afghanischen Bürgerkrieg ins Kalkül. In den sozialen Netzwerken teilen usbekische Nutzer unter Berufung auf Einheimische mit, dass außerhalb von Termez, das direkt an der Grenze zu Afghanistan liegt, ein Zeltlager errichtet worden sei. Es wird die Auffassung vertreten, dass dies für die Flüchtlinge getan wurde, die wahrscheinlich aus den afghanischen grenznahen Provinzen kommen werden.
Eine unbestimmtere Situation herrscht in Turkmenistan, neben dem das grenznahe Territorium durch die Taliban besetzt worden ist. Vor einer Woche noch hatte unter dem Vorsitz von Präsident Gurbanguly Berdymuhamedov eine Sitzung des turkmenischen Sicherheitsrates stattgefunden, auf der laut inoffiziellen Angaben beschlossen wurde, den Schutz der turkmenisch-afghanischen Grenze durch eine Teilmobilmachung und Hinzuziehung privater Militärfirmen zu verstärken. Ob dies getan wurde, ist unbekannt. Doch besorgniserregende Nachrichten hinsichtlich des Wirkens der Taliban an der turkmenisch-afghanischen Grenze hat es nicht gegeben. Aschgabat hat gleichfalls die Grenze zum Iran verstärkt, an die turkmenische Spezialeinheiten verlegt worden sind.
Mit der Planung einer Abwehr möglicher militärischer Bedrohungen aus Afghanistan befasst sich ebenfalls der Vereinigte Stab der Organisation des kollektiven Sicherheitsvertrages (OKSV), dessen Leiter Anatolij Sidorow mit einer operativen Gruppe zur Beurteilung der Situation in Duschanbe eingetroffen ist. „Das Hauptziel in der Arbeit der operativen Gruppe sind ein Monitoring der Lage im tadschikisch-afghanischen Grenzgebiet und die Vorbereitung von Vorschlägen für gemeinsame Schritte im Format der OKSV“, erklärte Sidorow. Unklar ist jedoch erstens: Werden die Verbündeten der Russischen Föderation bezüglich der kollektiven Verteidigung die „gemeinsamen Schritte“ unterstützen? Und zweitens: Für alle ist klar, dass die Entscheidung über einen Einsatz militärischer Gewalt an der Grenze Tadschikistans zu Afghanistan im Bedarfsfall durch die Führung der Russischen Föderation getroffen wird. Ungeklärt bleiben die Informationen darüber, welche Handlungen Usbekistan und Turkmenistan, die nicht zur OKSV gehören, im Zusammenhang mit der Belastung der Situation an ihren Südgrenzen unternehmen werden.
Russische Analytiker prognostizieren, dass außer der „Taliban“-Bewegung andere, radikalere Organisationen die Situation ausnutzen und eine Aggression gegen Länder der Gemeinschaft beginnen könnten. „Wenn in Afghanistan Zellen der „Al-Qaida“ (die in Russland verboten ist) in Gestalt uigurischer Extremisten und andere Organisation vom Typ der Islamischen Bewegung Usbekistans (die in Russland verboten ist), die in Syrien unter der Schirmherrschaft des „Islamischen Staats“ (in Russland ebenfalls verboten) handeln, zu agieren beginnen, so wird dieses Land erneut den Status eines terroristischen Staates erlangen. Und militärische Konflikte werden in Zentralasien zu unvermeidlichen“, meint der Militärexperte Oberst Nikolaj Schulgin.
Der Experte sagt, dass alle die Meldungen einiger kurdischer Medien beunruhigen würden, wonach Geheimdienste der Türkei unter den kontrollierten Gruppierungen der Syrischen Nationalen Armee (SNA) agitieren und sie für eine Entsendung nach Afghanistan vorbereiten würden. „In der ersten Partie sind 2.000 Kämpfer. Ihr Salär beträgt 3000 Dollar“, sagt Schulgin. „Wenn die Informationen stimmen, ergibt sich die Frage: Auf wessen Seite werden diese Kräfte der SNA handeln? Es bestehen Zweifel, dass sie gegen die Taliban handeln werden und sich für das offizielle Kabul als nützlich erweisen. Möglicherweise ist dies Kanonenfutter, dass die Situation in Afghanistan und in den postsowjetischen Staaten Zentralasiens zu destabilisieren beginnt“.
Es sei angemerkt, dass laut Angaben der russischen staatlichen Nachrichtenagentur RIA Novosti und anderer russischer Medien eine Delegation des politischen Büros der „Taliban“-Bewegung in Moskau zwei Tage lang zu Gesprächen weilte, was am Freitag auch durch eine Pressekonferenz in der russischen Hauptstadt bestätigt wurde. Sowohl im Außenministerium als auch im Kreml erklärte man zur Kritik, dass man sich mit einer in Russland verbotenen Organisation getroffen hätte, dass ein interafghanischer Dialog ein Unterpfand für Stabilität in der Region sei. Und dazu seien auch solche Mittel rechtens.
Den Moskau-Aufenthalt erörterten Autoren gesellschaftspolitischer russischer Telegram-Kanäle. „Nun fängt es natürlich an! Wie schicken wir uns denn da an, mit Terroristen zu sprechen?!“, erkundigte sich der „Gnadenlose PR-Mann“ (https://t.me/prbezposhady). „Nun, erstens, wir sind nicht die ersten. Die Amerikaner unterhalten sich mit ihnen schon zehn Jahre lang. Und die letzten zwei Jahre haben sie überhaupt offizielle Verhandlungen geführt und wollte sogar sehr sie in die afghanische Gesellschaft als eine politische Bewegung integrieren. Und zweitens, wenn man sich nicht unterhält, besteht die Perspektive, an den Grenzen der GUS ein richtiges Blutbad zu bekommen… Millionen Flüchtlingsströme (auch in die GUS) und ein totales Chaos“.
Der Chefredakteur des Hörfunksenders „Echo Moskaus“ Alexej Wenediktow bemühte sich sarkastisch, die Nachrichten über die afghanischen Angelegenheiten auf eine innenpolitische Ebene zu heben, indem er ein Foto des russischen Außenministers Sergej Lawrow bei den Verhandlungen mit den Islamisten postete (https://t.me/aavst55). „Die Beteiligung der Nummer 2 in der Liste (der Kremlpartei) „Einiges Russland“ für die Wahlen zur Staatsduma (das Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) an der extremistischen Organisation „Taliban“-Bewegung, die durch das Oberste Gericht Russlands zu einer terroristischen erklärt wurde, ist mit diesem Foto bewiesen worden. Wird man die Liste annullieren?“, stellt er die rhetorische Frage.