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Für Jawlinskij ist Nawalnys Abwesenheit in der Politik von Vorteil


Die Gerichtsverhandlung zur Beschwerde hinsichtlich der Ablehnung, ein Verfahren zur Vergiftung von Alexej Nawalny einzuleiten, ist auf den 22. März vertagt worden. Der Oppositionelle an sich kommt aufgrund des Rahmens der Gefängnistagesordnung nicht in die Politik, obgleich seine Anhänger bereits einen Kanal für den Erhalt von Mitteilungen aus dem Straflager organisiert haben. Der Koordinator der Nawalny-Stäbe Leonid Wolkow erklärte jedoch, dass es keinerlei Ersetzung des Führers geben werde, schließlich sei der gerade in der Haft zum Hauptfeind des Regimes und ein „russischer Nelson Mandela“ geworden. Derweil haben „Jabloko“ und ihr Gründer Grigorij Jawlinskij die Rhetorik gegen die Herrschenden verschärft. Allem nach zu urteilen ist dies ein Versuch, einen Vorteil aus der politischen Abwesenheit Nawalnys zu ziehen. Zum Beispiel den Versuch zu unternehmen, selbständig Protestelektorat zu akkumulieren. Allerdings enthalten sich sowohl die Nawalny-Vertreter als auch die „Jabloko“-Mannen einer Polemik. Und dies bedeutet, dass sie die Perspektiven einer Zusammenarbeit bei den Wahlen nicht verwerfen.

Nawalny wollte nicht an der Behandlung der Beschwerde über die Untätigkeit der Untersuchungsorgane, die am 16. März in einem der Moskauer Militärgerichte begonnen hatte, teilnehmen. „Die Gerichtsverhandlung wird bis 11.00 Uhr des 22. März vertagt, um den Seiten das Recht zu gewähren, mit Erwiderungen aufzutreten“, entschied Richter Andrej Tolkatschenko.

In der letzten Zeit sind die Nachrichten über Nawalny ausschließlich Gefängnis-Neuigkeiten. Und er selbst schickt von Zeit zu Zeit Notizen aus der Haft und sagt kein Wort über Proteste und die bevorstehenden Wahlen. Jedes Wort Nawalnys aus der Haft wird in den sozialen Netzwerken veröffentlicht. Doch was sind dies für Worte. Mal beklagt sich der Oppositionelle, dass ihm die Masleniza-Eierkuchen fehlen, ein anderes Mal beschreibt er schön seinen rauen Alltag. Letzteres kann man natürlich bereits als eine gewisse Anspielung auf Politik ansehen, was aus der Erklärung seines nächsten Mitstreiters Wolkow klar geworden ist.

Er meldete sich mit einem Video mit dem spektakulären Titel „Wer wird Nawalny ersetzen?“ zu Wort, in dem er allerdings unterstrich, dass solch eine Frage nicht einmal stehen würde. Wolkow konstatierte, dass im Kontext der Rückkehr Nawalnys nach Russland Präsident Wladimir Putin vor die Entscheidung gestellt worden sei: einsperren oder auf freiem Fuß lassen. Wenn letzteres gewählt worden wäre, merkte Wolkow an, hätte es nicht die Straßenaktionen gegeben. Und das Wichtigste – keinen Einbruch des Ratings des Präsidenten. Dann aber hätte der angeblich seiner Umgebung Schwäche gezeigt. Indem aber die Herrschenden den harten Weg einschlugen, hätten sie angeblich selbst Nawalny auch als Hauptfeind anerkannt. Und jetzt nehme nicht einfach das Antirating Putins zu, sondern stimuliere das Rating Nawalnys. Das heißt: Der Protest habe von nun an ein Symbol und ein Banner. Im Großen und Ganzen macht Wolkow keinen Hehl daraus, dass der Plan Nawalnys darin bestanden hätte, zu einem „russischen Mandela“ zu werden.

Möglicherweise wird gerade deshalb der Nachrichtenkanal mit Nawalny vorerst nicht für politische Erklärungen seitens des letzteren genutzt. Denn das Wichtigste ist vorerst die Festigung des Images des wichtigsten Gefangenen des Regimes und eines Märtyrers für das Volk. Doch es ist nicht ausgeschlossen, dass es den Mitstreitern von Nawalny einfach nicht gelingt, diesen Plan umzusetzen, der eine Bewahrung der informationsseitigen Dominanz des Oppositionellen verlangt. Und es ist für ihn objektiv schwierig, die ersten Positionen zu halten. Wenn sich allerdings der Kanal für den Erhalt von Mitteilungen aus dem Gefängnis als ein stabiler erweist, ist ein Versuch, Nawalny in die sozialen Netzwerke zurückzubringen, durchaus möglich.

Alexej Makarkin, 1. Vizepräsident des Zentrums für politische Technologien, erläuterte der „NG“, dass die Publikationen auf dem Kanal Nawalnys über seinen Gefängnisalltag vorsätzlich gepostet werden würden, um ein Mitgefühl der Gesellschaft auszulösen. Schließlich war Mandela, auf dessen Figur sich die Umgebung Nawalnys beruft, bei weitem nicht sofort zu einer moralischen Autorität geworden, sondern erst dann, nachdem er auf bewaffnete Methoden des Kampfes verzichtet hatte.

„Das Hauptproblem Nawalnys besteht darin, dass ihn viele für einen Radikalen halten. Stark geschadet hat ihm auch die Geschichte mit dem Kriegsveteranen. Es gibt viele jener, die sich die Videos von Nawalny anschauen und sogar Mitgefühl für ihn haben, doch ihn als einen Politiker nicht unterstützen, wobei sie an seinen wahren Zielen und Motiven zweifeln“, unterstrich der Experte. Das heißt: Derzeit suche Nawalny emotionale Wege zur Mehrheit.

Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow pflichtet dem bei, dass „eine Vermenschlichung Nawalnys in den Augen der Wähler erfolgt, denn er besitzt einen hohen Wiedererkennungsgrad. Der aber geht in kein Vertrauen und keine elektorale Unterstützung über“. Es besteht Ziel zu zeigen, dass Nawalny genau solch einer wie alle ist. Er hat Interessen und Schwächen. Das heißt, es geht darum, die Stärke des Geistes und des Charakters zu zeigen. Dies heiß: „Jetzt wird eine Dramaturgie geschaffen, die auch zur Grundlage für die Wahlkampagne wird.“

Alexej Kurtow, Präsident der Russischen Vereinigung politischer Berater, ist der Auffassung, dass die Erklärung Wolkows – Nawalny kann durch keinen ersetzt werden – tatsächlich eine sehr traurige sei. Der Experte unterstrich: „Unter solchen Bedingungen ist es schwer, über irgendetwas anderes, außer über die Prüfungen zu schreiben. Unter solchen Bedingungen ist es schwer, selbst solche Mitteilung zu veröffentlichen. Und wenn Nawalny anfängt, politische Aufrufe und Appelle zu schreiben, wird die Kontrolle über den Kommunikationskanal verschärft“.

Derweil ist offenkundig „Jabloko“ als wichtigste Oppositionskraft bestrebt, zu einem Nutznießer der Inhaftierung Nawalnys zu werden. In einem seiner jüngsten Artikel erklärte Jawlinskij, dass „die Putin-Macht das Land mit Hilfe von Angst lenkt. Andere Hebel hat das System nicht“, und „solche Institute wie Wahlen, der Schutz der Menschenrechte und Justiz sind nicht vorhanden“. Jawlinskij ist der Auffassung, dass „die Hauptgefahr für Russland die nicht wechselnden und durch nichts eingeschränkten Herrschenden sind, die darauf aus sind, den Menschen die Freiheit zu nehmen und das Leben eines jeden total unterzuordnen“. Es scheint, dass die „Jabloko“-Vertreter objektiv in den Vordergrund rücken. Und obgleich natürlich keiner denkt, Nawalny direkt zu ersetzen, gibt Jawlinskij zu verstehen, dass ohne seine Partei keinerlei Pläne der Nawalny-Vertreter realisierbar seien. Bezeichnend ist, dass sich derzeit diese beiden Kräfte irgendwie auf keine Auseinandersetzung miteinander einlassen.

Makarkin betonte, dass es bisher verfrüht sei, über „Jabloko“ als einen Benefiziar der Proteste zu sprechen. „Potenziell – ja. Die „Jabloko“-Vertreter ziehen als einzige liberale registrierte Partei einen Gewinn daraus. Und Wolkow als ein erfahrener Politiker beeilt sich nicht, eindeutige Erklärungen abzugeben, wobei er versteht, dass auf irgendeiner Etappe „Jabloko“ zu einem Verbündeten werden kann. Vorerst aber sind viele Wähler über den Artikel von Jawlinskij mit einer Kritik an Nawalny verärgert. Obgleich im Weiteren alles davon abhängen wird, wie sich die Partei verhalten wird. Wenn bis Ende des Sommers klar wird, dass ihr Rating drei Prozent erreicht hat, werden die Chancen bei den Wahlen zunehmen. Und die Nawalny-Vertreter werden entsprechend der Situation agieren“. „Jabloko“ wird jedoch vor der Entscheidung stehen werden: Nawalny-Vertreter von der Partei zulassen oder nicht. Im ersten Fall würde dies bedeuten, zusätzliche Stimmen zu gewinnen, sich aber endgültig mit den Herrschenden zu überwerfen.

Kalatschjow ist der Auffassung, dass „Jabloko“ zu einem Benefiziar des liberalen Protests geworden wäre, wenn Jawlinskij nicht den Artikel veröffentlicht hätte. „Damals hatte er den Bogen überspannt. Jetzt versucht er, den Schaden zu beheben. Doch Sympathien des Elektorats können nicht scharfe Artikel auslösen, sondern Taten. Jawlinskij an sich hat als ein politischer Führer seine Chance verloren. „Jabloko“ aber wird zu einem Nutznießer des gesamten Protestelektorats aufgrund ihrer Alternativlosigkeit auf dem Rechtsfeld. Die Nawalny-Vertreter verstehen, dass alles zu seiner Zeit und an seinem Ort erfolgen wird, und sie warten ab, wobei sie vorerst „Jabloko“ nicht verwerfen.“