In der „NG“ erschien dieser Tage ein redaktioneller Beitrag zum bevorstehenden Verfassungsplebiszit in Russland. Die „NG Deutschland“ veröffentlicht nachfolgend eine leicht gekürzte Übersetzung dieses Artikels.
Warum sich das Elektorat der Kommunisten nicht seiner Partei(KPRF) unterordnet
In einem homogenen Umfeld ist es schwer, die politische Orientierung zu bestimmen.
Laut Angaben einer Umfrage des Allrussischen Meinungsforschungszentrums (VTsIOM) werden 71 Prozent der Anhänger der KPRF an der Abstimmung zu den Verfassungsänderungen teilnehmen. Dabei haben lediglich 39 Prozent von denen, die abstimmen werden, vor, sich gegen die Änderungen im Grundgesetz auszusprechen. Für die Änderungen sind 43 Prozent.
Dies kann man als aufschlussreich ansehen, da das Präsidium der KPRF die Bürger am 4. Juni aufgerufen hatte, gegen die Änderungen zu votieren. In einer von Gennadij Sjuganow unterzeichneten Erklärung heißt es, dass die 15 Schlüsselvorschläge der Kommunisten zur Änderung des sozial-ökonomischen Kurses abgewiesen wurden. Die neue Variante der Verfassung „verstärkt lediglich das Präsidentendiktat und verankert die oligarchische Herrschaft“. Und die Abstimmung vom 1. Juli an sich „trägt einen rituellen Charakter“ und „entlarvt die Falschheit der bourgeoisen Demokratie“. Es stellt sich heraus, dass das Elektorat der KPRF seiner Parteiführung kein Gehör schenkt.
Die VTsIOM-Angaben muss man überhaupt nicht unbedingt als die Wahrheit ansehen. Allein der Begriff „Anhänger der Partei“ ist in solch einer Befragung zweifelhaft. Es geht nicht um diejenigen, die zu kommunistischen Meetings gehen und die Reden der Parteiführung lauschen. Ein Anhänger in diesem Fall ist derjenige, der den Soziologen mitteilte, dass, wenn er in der nächsten Zeit zu den Duma-Wahlen gehe, er für die Kommunisten („Einiges Russland“, die LDPR, für „Gerechtes Russland“) votieren würde. Dies ist nicht das Kernelektorat. Von solchen Bürgern ist schwerlich eine politische Disziplin zu erwarten.
Die Homogenität des Elektorats ist ein Problem für die oppositionellen Duma-Parteien und die Kommunistische Partei im Besonderen. Für sie ist es schwierig, die Wählerbasis zu erweitern. Es ist nicht leicht, Menschen zu finden, besonders unter der neuen Generation, die nicht in der UdSSR gelebt hat, die bereit sind, das politische Leben als einen Kampf des „guten“ sozialistischen Ansatzes gegen den „bösen“ kapitalistischen wahrzunehmen und die herrschende Elite als eine Verkörperung des letzteren anzusehen. Der sozialistische Diskurs in Russland ist für viele politische Strukturen und Bewegungen charakteristisch. In der Sprache der Linken artikulieren sich sowohl Vertreter von „Einiges Russland“ als auch ein Teil der nichtsystemkonformen Opposition. Die KPRF kann sich lediglich durch die Rhetorik hervorheben. Die ist aber häufig archaisch und nicht den Anforderungen der Zeit adäquat. Stalin und die Errungenschaften der Fünfjahrpläne kann man auf dem politischen Markt nur Menschen mit einem ausgeprägten postsowjetischen Ressentiment „verkaufen“, von denen ein Teil trotzdem für Putin und „Einiges Russland“ stimmt.
In solch einer Situation liegt die Chance der Duma-Opposition auf ein Überleben, auf Mandate, Sitze und Privilegien in der Beibehaltung der politischen Spielregeln. Sie bestehen unter anderem darin, dass die Regierenden mit bereits bewährten Akteuren arbeiten. Die Opposition wird somit weiter in die System- und in die Nichtsystem-Opposition aufgeteilt. Letztere wird entweder sehr dosiert oder ganz und gar nicht zu den Wahlen zugelassen. Wenn die politische Lage eine ruhige ist, erhält die Duma-Opposition einfach das, was ihr zusteht. Wenn sich die Situation aufheizt und die Proteststimmungen zunehmen, dann wird auch eben jene Kommunistische Partei zusätzliche Stimmen einheimsen.
Der Aufruf der KPRF, gegen die Änderungen zu stimmen und nicht das Plebiszit zu boykottieren, ist auch eine gewisse Unterstützung für das System. Die Partei verliert nicht das Gesicht. Ihr schenkt die Minderheit Gehör. Und diese Minderheit legitimiert die Abstimmung und macht deren Ergebnisse zu glaubwürdigeren.