Der englische Zerstörer „HMS Defender“ („Verteidiger“) ist aus den Territorialgewässern Russlands verdrängt worden. Der Zwischenfall ereignete sich drei Kilometer vor dem Kap Fiolent bei Sewastopol, was an und für sich nicht bloß eine Verletzung der Normen der Schifffahrt ist, sondern auch eine offenkundige Herausforderung Moskaus. Obgleich London die Erklärung der Russischen Föderation von Warnschüssen zurückwies und behauptete, dass das Schiff eine „friedliche Passage durch die Territorialgewässer der Ukraine“ vorgenommen hätte.
Großbritanniens Premierminister Boris Johnson kommentierte diesen Zwischenfall und unterstrich, dass unter Berücksichtigung der Tatsache „die Nutzung internationaler Gewässer berechtigt war“, dass das Vereinigte Königreich die „Annexion“ der Krim durch Russland nicht anerkenne. Dabei wich er einer Antwort auf die Frage aus, ob er eine persönliche Anweisung erteilt habe, dass „HMS Defender“ unweit der Krim-Küste fahre.
Ein Vertreter des Regierungschefs, dem die gleiche Frage gestellt worden war, fügte hinzu, dass er das Thema des „Treffens operativer militärischer Entscheidungen“ nicht erörtern werde. Mit diesen Kommentaren haben die Briten recht klar zu verstehen gegeben, dass es keinerlei Fehler gegeben hat, dass das Schiff entsprechend einem vorab erstellten Plan unterwegs war und die Seeleute ausgezeichnet gewusst hatten, dass sie zu einer Zielscheibe für die russischen Einheiten werden können. Sie gestehen dies auch selbst ein.
Der Kapitän des britischen Zerstörers Vince(nt) Owen berichtete dem Londoner Blatt „Daily Mail“, dass „er in seiner 21jährigen Karriere das erste Mal so nah an russische Schiffe gekommen ist“. „Ich vermute, dass das Feuer eines der Schiffe der Küstenwache führte“. Wir verhielten uns zuversichtlich, ließen uns auf keine Konfrontation ein und nutzten unser Recht, die friedliche Passage durch internationale Gewässer entsprechend einer anerkannten Schifffahrtsroute fortzusetzen“, zitiert die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Novosti Owen’s Worte. Er fügte hinzu, dass die russischen Schiffe bis auf eine Entfernung von 100 bis 120 Yards (rund 90 bis 180 Meter) an den Zerstörer herangekommen seien. Solch eine Entwicklung der Ereignisse sei nach seiner Meinung „keine ungefährliche und für Seeleute ungehörige“.
Also denn, der britische Offizier, der vorsätzlich internationales Recht verletzt, urteilt über seine Sicherheit und die Aggressivität des Gegners. Die Beziehungen Moskaus und Londonss sind auf einem Nullpunkt. Dies bedeutet aber ganz und gar nicht, dass die Seiten einander offenkundig oder heimlich Mist bauen können.
Andererseits ist es offensichtlich, dass im Vorfeld der amerikanisch-ukrainischen Manöver „Sea Breeze 2021“, die am 28. Juni begonnen haben und bis 10. Juli andauern sollen und an denen neben Washington und Kiew mehr als ein Dutzend westlicher Mitgliedsländer des Nordatlantikpaktes teilnehmen, der Brite eine Gefechtsaufklärung vorgenommen hat. Er klärte die funktechnische Lage auf, ermittelte Positionen von Schiffsabwehr-Raketenkomplexen und prüfte die Zeit für das operative Reagieren der Schiffs- und Fliegerkräfte der Schwarzmeerflotte Russlands. Buchstäblich ein James Bond im stillen Hinterland des Feindes.
Daher erfüllte „Defender“ unabhängig vom Ergebnis, das man im Verteidigungsministerium der Russischen Föderation als ein episches Fiasko bezeichnet hat, seine Mission. Dies zu überprüfen, wird sehr bald möglich sein. Traditionsgemäß kehren die britischen und amerikanischen Seeleute nach erfolgreichen Gefechtseinsätzen unter dem Jolly Roger in die Stützpunkte zurück.
Allerdings kann der schon recht bald der Triumph verblassen. Die russische Flotte hat „überraschend“ beschlossen, Manöver unweit von Zypern durchzuführen. Dort befinden sich zwei britische Militärstützpunkte – Akrotiri und Dekelia. Sie bilden ein überseeisches Territorium Großbritanniens – sie befinden sich unter dessen Souveränität, gehören aber nicht zu dessen Staatsverband. Dies sind nur ganze drei Prozent der Fläche der Insel Zypern. Doch wie auch im Fall mit der Passage unweit von Fiolent ist dies für die königliche Flotte und die Luftstreitkräfte eine Herausforderung. Zumal sich derzeit in dieser Region der überaus neue Flugzeugträger „Queen Elizabeth“ befindet. Ihm zu trotzen haben die Kräfte des ständigen operativen Verbands der Seekriegsflotte und die Fliegerkräfte der Luft- und Kosmos-Streitkräfte. Dies sind fünf Schiffe: der Raketenkreuzer „Moskau“, die Fregatten „Admiral Essen“ und „Admiral Makarow“ sowie die U-Boote „Staryj Oskol“ und „Rostow am Don“. Aber auch Schiffsabwehr- und strategische Flugzeuge. Darunter die Kampfjets MiG-31BM, die mit den Hyperschallraketen „Dolch“ bewaffnet sind. Lex talionis – Auge um Auge. Eine Situation an der Grenze eines vollständigen gegenseitigen diplomatischen Nichtverstehens von Moskau und London.