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Kann man Russlands Kultur von Denunziationen und einer Nötigung zur Buße „reinigen“?


Vertreter der systemkonformen Partei „Gerechtes Russland – Für die Wahrheit“ haben die Etablierung einer Gruppe zur Untersuchung antirussischer Tätigkeit im Kulturbereich bekanntgegeben. An ihrer ersten Versammlung nahm der Chef der Parlamentsfraktion Sergej Mironow, der Partei-Co-Vorsitzende und Schriftsteller Sachar Prilepin sowie der Vorsitzende des Staatsduma-Ausschusses für Nationalitätenfragen, Gennadij Semigin, teil.

Entsprechend den Ergebnissen der Beratung sind mehrere Initiativen formuliert und eine Pressemeldung, die als „Kampf gegen die 5. Kolonne“ angekündigt wurde, verfasst worden. In ihr heißt es, dass die Gruppe „zwecks Schaffung von Bedingungen für eine Abwehr des prowestlichen Einflusses im humanitären Bereich und für die Formierung einer patriotischen Kulturelite“ organisiert worden sei. Die Erscheinung an sich ist nicht neu. Der Kampf gegen den verderblichen Einfluss des Westens, die Schändung der traditionellen Werte sowie die Kränkung der Gefühle von Gläubigen hat nicht erst gestern begonnen. Aber seine neuen Episoden und die eigentliche Herangehensweise der Gruppe zur Untersuchung antirussischer Tätigkeit im Kulturbereich verdienen Aufmerksamkeit.

Die Gruppe plant, die Aufmerksamkeit der Aufsichtsbehörden auf Tatsachen einer Unterstützung von jenen Kulturschaffen durch Vertreter der Machtorgane und staatlicher Unternehmen, die eine feindselige Haltung hinsichtlich der Handlungen der Russischen Föderation zur Stärkung der Souveränität und zur Verteidigung der staatlichen Interessen einnehmen, zu lenken. Entsprechend den Ergebnissen der Sitzung sind Schreiben an Konstantin Ernst und Wladimir Urin gerichtet worden. Man bittet die Chefs des Ersten Kanals und des Bolschoi-Theaters, mit den Unterstellten ein Gespräch zu führen, die die militärische Sonderoperation in der Ukraine negativ bewerteten, und sie zu öffentlichen Entschuldigungen zu nötigen. Die Mitglieder der Gruppe haben augenscheinlich eine „Untersuchung“ durchgeführt und für sich herausgefunden, wie viele Experten der Kino-Stiftung und der Jury „eines bedeutenden Literaturpreises“ die seit dem 24. Februar erfolgenden Sonderoperation in bzw. gegen die Ukraine unterstützten (nicht ein Mitglied!).

Es schien, dass eine Verfolgung und Denunziantentum in der Russischen Föderation nicht allzu sehr traditionell gebilligte Methoden sind. Dem Statement der von Prilepin initiierten Gruppe nach zu urteilen, werden jedoch nicht nur Säuberungen von andersdenkenden Kunstschaffenden, sondern auch finanzielle Sanktionen für Theater vorgeschlagen. Während man in der letzten Zeit in der Kultur die Regel „Experimente auf eigene Kosten“ aufoktroyierte, geht Mironow weiter. „Wenn du kreativ sein möchtest, bitte schön: schreibe, male, formuliere und inszeniere Stücke bei dir in der Küche. Wenn du aber beabsichtigst, ein Werk einem breiten Publikum vorzustellen, und umso mehr mit einer Finanzierung aus dem Staatshaushalt, Vergünstigungen oder eine Unterstützung von Staatsorganen rechnest, so erlaube, einige Anforderungen zu entsprechen und nicht in den Brunnen zu spucken, aus dem du trinken willst“, erklärte der 69jährige studierte Geophysiker.

In Russland gibt es aber eine Gesetzgebung, wonach die künstlerische Tätigkeit die eigentliche Kultureinrichtung bestimmt. Das Gesetz garantiert den Bürgern sowohl eine Redefreiheit als auch die Meinungsfreiheit und sogar eine Nichteinmischung des Staates in das künstlerische Schaffen. „Die Organe der Staatsmacht und Verwaltung, die Organe der örtlichen Selbstverwaltung mischen sich nicht in die kreative Tätigkeit der Bürger und deren Vereinigungen, der staatlichen und nichtstaatlichen Kultureinrichtungen ein. Eine Ausnahme bilden die Fälle, wenn solch eine Tätigkeit zu einer Propagierung eines Krieges, von Gewalt und Brutalität, einer durch die Rasse begründeten sowie nationalen, religiösen, Klassen- und einer anderen Ausschließlichkeit oder Intoleranz sowie von Pornografie führt“, heißt es im Artikel 31 der Grundlagen der Gesetzgebung der Russischen Föderation über die Kultur.

Die Initiativen der Gruppe zur Untersuchung antirussischer Tätigkeit im Kulturbereich könnte man einer Unkenntnis der Gesetze der Russischen Föderation zuschreiben, die Gruppe kennt aber die Gesetze (bzw. tut so, dass sie diese kennt – Anmerkung der Redaktion) und hält sie einfach für ein Hindernis, wobei sie betont: „Man muss die Gesetzgebung ändern – und vor allem das Gesetz über die Grundlagen der Kulturtätigkeit“. Jedoch ist in noch einem Dokument davon die Rede, dass „jedem die Gedanken- und Redefreiheit garantiert werden“. In der Verfassung der Russischen Föderation. Und das Bestreben, jene zu veranlassen, zu schweigen oder Buße zu tun, die die derzeitige Politik des Staates nicht bedingungslos unterstützen. Widerspricht dem Grundgesetz. Natürlich kann man in der Hitze des Gefechts auch die Verfassung ändern. Dann muss man aus ihr auch die Worte „unzulässig sind eine Propaganda oder Agitation, die einen sozialen … Hass und Feindseligkeit auslösen“ entfernen, damit die ständigen Aufrufe, in der Russischen Föderation eine „5. Kolonne“ zu finden und zu vernichten, der Gesetzgebung entsprechen.