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Katholiken in Weißrussland setzte man der Opposition gleich


Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko hat am 1. September versprochen, dass nicht eine der Kirchen in Bedrängnis gebracht werde. „Sehen Sie, wir haben die Kirchen selbst dann nicht geschlossen, als sie ihre Anti-Lukaschenko-, eine staatsfeindliche Propaganda betrieben haben. Im Gegenteil, wir versuchen, sie zu unterstützen, nicht zu schließen“, zitiert die staatliche Nachrichtenagentur BelTA die Worte Lukaschenkos. Die Erklärung soll jene beruhigen, die davon überzeugt sind, dass die Offiziellen der Republik zu einer aktiven Offensive gegen die Katholiken übergegangen seien. Am 31. August hatte man Erzbischof Tadeusz Kondrusiewicz nach einer Auslandsdienstreise ohne Erklärungen der Gründe nicht ins Land gelassen. „Solch eine Entscheidung der Grenzdienste ist für mich als einen Staatsbürger der Republik Belarus absolut unverständlich, da im Artikel 3 des Gesetzes der Republik Belarus Nr. 49-G „Über die Modalitäten für die Ausreise aus der Republik Belarus und die Einreise in die Republik Belarus“ vom 20. September 2009 Folgendes bestimmt wird: „Das Recht eines Staatsbürgers auf die Einreise in die Republik Belarus kann nicht eingeschränkt werden“. Ich hoffe, dass dies einfach ein ärgerliches Missverständnis ist, dass so schnell wie möglich geklärt wird“, zitiert die offizielle Internetseite der Metropolie von Minsk und Mogiljow den Erzbischof.

Kondrusiewicz „erhielt bestimmte Aufgaben“ in Polen und habe nicht nur eine Staatsbürgerschaft. So erklärte Lukaschenko den Kasus mit dem Oberhaupt der Katholiken. „Wir prüfen. Wenn da alles sauber und gemäß dem Gesetz ist, werden wir entsprechend dem Gesetz vorgehen. Für uns ist unwichtig, um wen es sich handelt – den Vorsteher der Katholiken, das Oberhaupt der orthodoxen Christen oder das Oberhaupt der Muslime. Er hat entsprechend dem Gesetz zu leben. Aber wenn du auch in die Politik eingegriffen und die Gläubigen mit hineingezogen hast, die Katholiken, die wunderbare Menschen sind, so ist das eine doppelte Verantwortung“, fügte er hinzu.

Es sei daran erinnert, dass Lukaschenko am 22. August bei einem Besuch von Grodno die Geistlichen gewarnt hatte: „Befassen Sie sich mit Ihrer Angelegenheit. Die Menschen sollen in die Kirchen kommen, um zu beten! Die Kirchen, die katholischen Gotteshäuser sind nicht für die Politik da. Dorthin müssen die Menschen durch die Seele kommen, wie dies immer war. Gehen Sie nicht an der Leine von Abtrünnigen. Sie werden sich dafür schämen und Schande empfinde, was für eine Position Sie, einige von Ihnen, heute einnehmen. Und der Staat wird sich dies nicht mit Gleichgültigkeit anschauen.“ „Weder die katholische Kirche noch die anderen Kirchen und religiösen Gemeinschaften sind in die Politik involviert. Als Katholiken lassen wir uns von der sozialen Lehre der Kirche leiten. Gemäß den Prinzipien, an denen sich auch die orthodoxe Kirche hält, haben wir ein Recht, das Geschehen aus moralischer Sicht zu bewerten. Wir stacheln die Menschen nicht auf, sondern rufen zu Eintracht und Versöhnung auf“, parierte damals Kondrusiewicz in einem Interview der Nachrichtenagentur KIA. „Uns droht eine internationale Isolierung… Immer häufiger kann man den Gedanken darüber hören, dass die Gefahr eines Bürgerkrieges zu einer realen wird“, sagte der Erzbischof in einem Appell an die Gläubigen am 30. August. 

Am Abend des 26. Augusts blockierten Angehörige der Milizsondereinsatzkräfte OMON, die zum Auseinandertreiben Oppositioneller, die sich auf dem Platz der Unabhängigkeit versammelt hatten, gekommen waren, dutzende Menschen in der Roten Kirche (römisch-katholische Kirche des Heiligen Symeon und der Heiligen Helena – Anmerkung der Redaktion), die sich unweit des Hauses der Regierung auf dem Platz der Unabhängigkeit im Zentrum von Minsk befindet. Der Generalvikar der Diözese von Minsk und Mogiljow, Bischof Jurij Kasabuzkij warnte die staatlichen Organe der Republik, aber auch die Führung der Rechtsschutzorgane: „Eine Kirche ist ein Heiligtum Gottes, das alle ungehindert aufsuchen können. Das Verbot für einen Zutritt und das Verlassen durch die Menschen widerspricht dem Recht der Bürger auf Gewissens- und Religionsfreiheit, das durch die Verfassung der Republik Belarus garantiert wird, es verletzt die Gefühle der Gläubigen und geht über den Rahmen der Gesetzes des Menschen und Gottes hinaus“. Am 27. August bildeten rund einhundert Frauen eine „Solidaritätskette“ um die Rote Kirche herum. 

Zuvor hatte sich das Oberhaupt der Katholiken Weißrusslands mit dem Innenminister der Republik, Jurij Karajew, getroffen und „Besorgnis über die schwierige gesellschaftspolitische Situation im Land nach den Präsidentschaftswahlen und den brutalen Aktionen der Rechtsschutzorgane bekundet“. Bis dahin hatte man eine Woche lang die Vertreter von T. Kondrusiewicz nicht in den U-Haftanstalten zu denen gelassen, die durch Misshandlungen der Miliz gelitten hatten. Zu der Zeit organisierten Gläubige unterschiedlicher christlicher Konfessionen, vorrangig Katholiken, mit Darstellungen von Heiligen und mit der Bibel in den Händen eine lebende Kette ab dem bewaldeten Gelände Kuropaty nahe Minsk (das sowjetische NKWD ließ dort im Zeitraum von 1937 bis 1941 tausende Menschen zunächst mit LKWs heranschaffen, vornehmlich durch Erschießen ermorden und hinterher in Massengräbern verscharren – Anmerkung der Redaktion) bis zu den U-Haftanstalten an der Okrestina-Straße, was zu „eine Symbol der Buße und des Verzeihens für die an diesen Orten niedergetrampelte menschliche Würde“ werden sollte.

Öl ins Feuer gossen die Worte von Papst Franziskus nach seinem Angelusgebet vom 16. August. „Meine Gedanken gehen auch an das liebe Belarus. Ich verfolge aufmerksam die Situation nach den Wahlen in diesem Land und rufe zum Dialog, zur Ablehnung von Gewalt und zur Achtung von Recht und Gesetz auf,“ sagte der Pontifex. 

Zu noch einem Element der Gesamtsituation wurde die Anwesenheit des franziskanischen Geistlichen Pjotr Korneljuk in diesen Augusttagen an der weißrussischen Botschaft in Moskau. „Ich bin ein Staatsbürger von Belarus. Und mein Herz schmerzt dadurch, was sich gegenwärtig im Land ereignet“, erklärte der Geistliche gegenüber der „NG“. „Ich bin zur Botschaft gekommen, weil ich sehr für Belarus und dessen Volk beten wollte. In diesem Moment wollte ich ebenfalls mit meinen Landsleuten zusammen sein und sie zu einem Gebet für Frieden im Land einladen. Mich bewegte kein politischer Zweck, sondern die pastorale Bestimmung. Ungeachtet dessen, dass ich in Russland diene, gehöre ich dennoch der weißrussischen Diaspora an, die sich in Moskau befindet“.

Der Geistliche unterstrich, dass die weißrussischen Katholiken nie danach gestrebt hätten, irgendeinen Konflikt zu entfesseln. „Der Katholizismus in Belarus ist zahlenmäßig die zweitgrößte Konfession. Die Katholiken in der Republik machen laut unterschiedlichen Angaben 15 bis 20 Prozent aus. Und sie machen sich sehr Sorgen darum, was gegenwärtig im Land geschieht, sie beteiligen sich an Gebetsmarathons für Frieden. Doch weder sie und umso mehr der Vatikan bringen in keiner Weise den zwischenkonfessionellen Frieden ins Schwanken und verstärken nicht die politische Konfrontation. Dies ist eine von Grund auf falsche und unkorrekte Behauptung, die keinem nötig ist. Die Hierarchen der katholischen Kirche treten für Frieden und einen Dialog zwischen der Regierung und dem Volk ein und nicht umgekehrt. Dass man gerade die Katholiken als liberalere eingestellte ansieht, ist ebenfalls nicht ganz korrekt. Die Belorussen sind heute bei der Annahme eigener Entscheidungen frei, die Grenzen sind offen, die Menschen können sie frei passieren und sehen, wie andere leben, und Schlussfolgerungen ziehen, wohin sie streben wollen – gen Westen oder gen Osten. Man sollte nicht nur den Katholiken vorwerfen, dass sie liberale Werte in die Gesellschaft einbringen. Dies gilt in gleichem Maße auch sowohl für die Protestanten als auch die Orthodoxen. Es ist sehr schade, dass man angesichts der jüngsten Ereignisse angefangen hat, sich gerade gegenüber den Katholiken voreingenommen zu verhalten. All diese Vorwürfe sind erfunden. In Belarus hat es nie Konflikte auf religiöser Grundlage gegeben“, sagte der Kleriker.

„Die Katholiken des Landes sind in politisch-sozialer Hinsicht stets aktiver und reagieren auf jegliche Ereignisse“, betonte gegenüber der „NG“ Swetlana Karasjewa, Dozentin am Lehrstuhl für Kulturphilosophie der Fakultät für Philosophie und Sozialwissenschaften der Weißrussischen Staatsuniversität. „Das, was sich derzeit ereignet, fügt sich vollkommen in den traditionellen Verhaltensstil der Konfessionen der Republik ein. Ja, und die religiöse Karte ist nie ernsthaft in der weißrussischen Politik ausgespielt worden. Dies ist ganz und gar nicht im weißrussischen Stil. Hier werden alle zwischenreligiösen Konflikte und Meinungsverschiedenheiten recht ausgewogen und vernünftig gelöst.“