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Liberale Kräfte haben am vergangenen Wochenende Solidaritätsaktionen sowohl mit den Einwohnern von Chabarowsk als auch mit den Bürgern von Weißrussland veranstaltet


Liberale Kräfte haben am vergangenen Wochenende Solidaritätsaktionen sowohl mit den Einwohnern von Chabarowsk als auch mit den Bürgern von Weißrussland veranstaltet. Und scheinbar beginnen die Offiziellen der Russischen Föderation, sich hinsichtlich der Reaktion auf die Sommer-Meetings festzulegen. Sie wurden selten unterbunden. Doch je mehr weiß-rot-weiße Flaggen der weißrussischen Opposition bei ihnen auftauchten, umso häufiger stellt man den Aktivisten gerade „politische-administrative Protokolle“ aus. Experten betonen, dass die „Belarusifizierung“ des Protests dem Kreml signalisieren würden, dass breite Massen die Straßen verlassen. Und folglich ergebe sich die Möglichkeit, bei Bedarf die „Schrauben anzuziehen“.

Das zahlenmäßig größte Meeting am Wochenende fand erwartungsgemäß in Chabarowsk statt. Es wurde für diese Stadt zum 36. derartigen. Laut Schätzungen der Opposition waren zur Unterstützung des verhafteten Ex-Gouverneurs Sergej Furgal rund 30.000 Menschen zusammengekommen. Das Bürgermeisteramt zählte lediglich zweitausend Protestierende.   

Dabei wurde offenkundig, dass sich der Protest in Chabarowsk rasch politisiert. Am Samstag gab es an der Spitze des Marschzuges das Plakat „Russland ohne Putin!“. In der Menge waren gleichfalls Transparente mit den Worten „Belarus, Chabarowsk hält für dich die Fäuste bereit!“ und eine große Anzahl von weiß-rot-weißen Flaggen der weißrussischen Opposition auszumachen. 

Derweil wird eine immer größere Anzahl von Aktivisten bereits nach den Straßenaktionen zur Verantwortung gezogen. Auf der Internetseite der Verwaltung von Chabarowsk wird zum Beispiel mitgeteilt, dass 139 Protokolle über ordnungsrechtliche Verstöße ausgestellt wurden, darunter 13 hinsichtlich der Organisatoren der nichtgenehmigten Meetings, die übrigen 126 – gegen Teilnehmer. „Durch ein Gericht sind 101 Materialen behandelt worden, darunter zwölf gegen die Organisatoren der nichtsanktionierten öffentlichen Veranstaltungen gemäß Teil 1 und 2 des Artikels 20.2. des Ordnungsstrafrechts der Russischen Föderation und 89 – gegen Teilnehmer. Festgenommen wurden 13 Aktivisten“, vermeldeten die Beamten. Es macht Sinn zu betonen, dass im Juli seltene Protokolle in Chabarowsk und zahlreichere in anderen Städten des Landes vor allem wegen der Verletzung der epidemiologischen Beschränkungen ausgestellt wurden. 

Wie die Internetseite „Horizontales Russland“ (https://7×7-journal.ru/allrussia) meldete, fanden am 15. August in über 40 Städten des Landes Solidaritätsaktionen für die Einwohner von Chabarowsk statt. Das Auf-die-Straße-kommen zum „Füttern von Tauben“ wurde bereits zu einem traditionellen Anlass solcher Manifestationen, doch jetzt kommen zu den Losungen für Chabarowsk wirklich häufiger Worte der Unterstützung für die protestieren Weißrussen hinzu. 

In Moskau beispielsweise kamen am Samstag rund eintausend Menschen auf die Straße, um „Tauben zu füttern“. Und diese Veranstaltung verlief ohne Festnahmen. In Petersburg waren zur Unterstützung sowohl von Chabarowsk als auch des Volkes von Weißrussland über 200 Menschen zusammen, die eine „Solidaritätskette“ bildeten. Zum Ort der Aktion waren „grüne Minnas“ (Gefangenenwagen) gekommen, doch die Polizei hat keinen festgenommen. In Omsk bildeten laut Angaben des Regionalstabes von Alexej Nawalnyj etwa 50 Menschen einen Kreis, um ein aktuelles Problem – chemische Schadstoffemissionen – zu erörtern. All dies erfolgte zu dem Lied „Ich möchte Veränderungen!“ der Gruppe „Kino“. Festgenommene gab es keine. Auf dem Hauptplatz von Krasnodar traten rund 40 Menschen sowohl zur Unterstützung der Einwohner von Chabarowsk als auch „Für Belarus“ auf, und auch unter der akustischen Begleitung der Band „Kino“. In Tjumen zogen die Protestierenden durch die Stadt. An der Aktion nahmen über 40 Aktivisten und rund ein Dutzend von Polizeibeamten teil. In Irkutsk wurden ebenfalls ein Meeting und ein Umzug veranstaltet – auch nichtsanktionierte und mit dem Abspielen des Songs „Ich möchte Veränderungen!“.

Obgleich es keine massenhaften Festnahmen von Aktivisten gibt, dauern vereinzelte an und werden gar verstärkt. Doch dabei werden gegen die Festgenommenen immer häufiger keine „epidemiologischen“, sondern gerade „politische“ Protokolle gemäß Artikel 20.2. des Ordnungsstrafrechts über die „Verletzung der Modalitäten für die Durchführung eines Meetings“ ausgestellt. In Chabarowsk selbst nahm man nach der Aktion den Koordinator des Nawalnyj-Stabes Alexej Worsin fest, der öffentlich zu Streiks in Unternehmen aufgerufen hatte. Über Nacht wurde er im Polizeirevier festgehalten. Die Gerichtsverhandlung wurde für Montag angesetzt. Wie die „NG“ in Erfahrung brachte, ereigneten sich punktuelle Festnahmen gemäß Artikel 20.2. und Artikel 19.3. über die „Nichterfüllung der legitimen Forderung eines Polizeibeamten“ auch in Wladiwostok, Krasnojarsk, Nowosibirsk, Tscheljabinsk und Twer. 

Es kommt das Gefühl auf, dass die schnelle Politisierung der „Chabarowsker“ Proteste und die „Belarusifizierung“ durchaus von den Offiziellen für ein härteres Reagieren auf die Straßenaktionen, die scheinbar außer Kontrolle geraten, ausgenutzt werden können. Allerdings haben Experten gewarnt, dass die politische Wirkung eines Unterdrückens der Proteste verpuffen könne. Der Kreml brauche jetzt am wenigsten Vergleiche mit den Regierenden Weißrusslands. 

Konstantin Kalatschjow, Leiter der Politischen Expertengruppe, erläuterte der „NG“: „Damit man den Offiziellen keine irrationale Härte vorwirft, nutzen sie die weißrussische Thematik zu ihrem Nutzen aus. Es sei ja nicht das Volk, sondern die prowestliche Opposition gehe auf die Straßen“. Der Experte ist aber der Auffassung, dass eine „Belarusifizierung“ des Protests sowohl vorteilhaft als auch unvorteilhaft für den Kreml sei. Einerseits könnte man dank diesem „die Schrauben anziehen“. Andererseits aber würden solche Überschneidungen in der Gesellschaft unnötige Assoziationen zwischen dem russischen und dem weißrussischen Regime hervorbringen. Außerdem „verheißt diese Überschneidung der Tagesordnung einen Synergieeffekt“. Da sich aber der „Volksprotest“ immer mehr politisiere, könne man das verständliche und gewohnte Set von Maßnahmen gegen die Aktivisten mobilisieren, wie dies beispielsweise beim „Moskauer Fall“ gewesen sei, betonte Kalatschjow. Freilich, bisher sei nach seiner Meinung die Härte der ordnungsrechtlichen Urteile genau berechnet. Und daher könne man von keiner Unterdrückung des Volksprotests sprechen. Aber die Zunahme der Anzahl der Strafen und Festnahmen hinsichtlich einzelner Aktivisten beginne, den Massen der Protestierenden Angst zu machen. „Die Offiziellen agieren in der gewohnten Logik: Je weniger Volk auf die Straßen kommt, umso einfacher ist es, Verfahren einzuleiten. Und je mehr Verfahren eingeleitet werden, umso weniger wollen auf die Straßen kommen“, betonte der Experte.

Alexej Kurtow, Präsident der Russischen Vereinigung der Polit-Konsultanten, erinnerte die „NG“ daran, dass das Auftauchen ausländischer Flaggen bei Meetings tatsächlich unsere vergessene Tradition sei: „Bei den kommunistischen Meetings in der UdSSR haben wir uns ständig mit linken Politikern anderer Staaten, mit Völkern anderer Länder solidarisiert. Doch natürlich, diejenigen, die diese Erscheinung auf ihre Art interpretieren möchten, erfinden jegliche Horrorgeschichten in der Art von einer Übernahme der Meetings durch Nichteinverstandene, Einflussagenten usw.“. Nach Meinung des Experten sei jetzt das Hauptziel der Offiziellen, markante radikale Führungskräfte herauszusuchen, damit sich der Protest in Chabarowsk nicht endgültig politisiere. Heute könne man aber noch davon sprechen, dass dies gerade ein Volksprotest sei. Bisher könne man nicht sagen, dass die Hauptforderung der Protestierenden die nach einem Machtwechsel sei.