Die russischen Truppen haben in der Zone der militärischen Sonderoperation praktisch an der gesamten Linie der Auseinandersetzungen taktische Erfolge, führen aber keine operative Offensive durch, da sie sich augenscheinlich auf Handlungen im Rahmen einer Gegenoffensive durch Truppenteile und Verbände der Streitkräfte der Ukraine vorbereiten. Wahrscheinlich wird sie von Seiten Saporoschje beginnen, wohin laut nichtnachprüfbaren Informationen des Mitglieds des Hauptrates der regionalen Administration, Wladimir Rogow, „in den letzten Tagen rund 3.500 ukrainische Kämpfer, die eine Ausbildung in Großbritannien absolvierten, eingetroffen sind“. Und im russischen Staatsfernsehen erklärte der prorussische Chef des Gebietes Saporoschje, Jewgenij Balizkij, am Donnerstag, dass eine 40.000 Mann starke Gruppierung der ukrainischen Streitkräfte in der Region konzentriert worden sei.
Zuvor war gemeldet worden, dass in das Gebiet von Dnepropetrowsk neu aufgestellte mechanisierte, Infanterie- und Panzerbrigaden der ukrainischen Streitkräfte verlegt werden würden. Die Man-Power dieser Einheiten habe eine Ausbildung im Ausland absolviert (insgesamt bis zu 40.000 Mann) und Gefechtstechnik aus den USA und der NATO erhalten.
Gegenwärtig wird ein Teil dieser Kräfte zeitweise in den Raum von Bachmut (Artjomowsk) verlegt, wo Kampfeinheiten der Söldnerfirma „Wagner“ mit Unterstützung von Einheiten der russischen Armee „die Verteidigung der ukrainischen Gruppierung durchdrücken“. Laut Angaben des Gründers von „Wagner“, Jewgenij Prigoschin, würden seine Kämpfer die „Zange rund um die Stadt schließen“. Und geblieben sei eine Trasse, über die die Versorgung der Einheiten der ukrainischen Streitkräfte in Bachmut erfolgt. In einem am 5. März veröffentlichten Bericht von Analytikern des US-amerikanischen Instituts for the Study of War (ISW) wurde betont, dass „die angreifenden Truppen es vermocht haben, eine ausreichende Überlegenheit in Bezug auf die Positionen zu erreichen, um ein „Umgehungsmanöver“ zu vollziehen. Im ISW ist man aber auch der Meinung, dass die russischen Kräfte in der nächsten Zeit wohl kaum die Stadt einkreisen könnten. Dabei würden laut Meldungen des russischen Telegram-Kanals „Rybar“ die ukrainischen Streitkräfte aus Furch vor einer Einkreisung bereits einige Tage lang einen teilweisen Abzug von Kräften aus der Stadt organisieren. „Gegenwärtig führt das ukrainische Kommando mit Kräften der 93. mechanisierten Brigade der ukrainischen Streitkräfte mit Unterstützung von Spezialeinheiten der Ukraine an Abschnitten der Trassen bis nach Tschasow Jar und Konstantinowka Gegenangriffe für ein Ausbremsen der „Wagner“-Einheiten und einen Zeitgewinn durch. Aber die Schlacht um Bachmut ist ihrem Ende nah“, betonen beinahe euphorisch die Autoren des Kanals „Rybar“.
Derweil erklärte am Donnerstag der Befehlshaber der ukrainischen Landstreitkräfte, Alexander Syrskij, dass die Aktualität des Haltens von Bachmut durch die Verteidiger der Stadt nur zunehme. „Jeder Tag der Verteidigung der Stadt erlaubt uns, Zeit für die Vorbereitung von Reserven zu gewinnen und sich auf künftige Offensivoperationen vorzubereiten. Zur gleichen Zeit verliert auch der Feind bei den Gefechten um diese Festung den ausgebildetsten und schlagkräftigsten Teil seiner Truppen – die „Wagner“-Sturmeinheiten –“, unterstrich der ukrainische General.
„Wenn die ukrainischen Streitkräfte sich aus Bachmut zu vorbereiteten Positionen bei Kramatorsk und Slawjansk zurückziehen, werden, laut Berichten und Angaben der sozialen Netze mindestens vier Brigade des Gegners freigesetzt“, sagte der „NG“ der Militärexperte und Oberst im Ruhestand Nikolaj Schulgin. „Man kann sie zwecks Vervollständigung verlegen und danach an Frontabschnitte in den Raum von Dnepropetrowsk. Vor dort, wie angenommen werden kann, wird in Richtung Berdjansk oder Melitopol die Hauptfrühjahrsoffensive der ukrainischen Reserven organisiert, von der so viel in der Ukraine und NATO gesprochen wird“.
Er lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu augenscheinlich nicht zufällig beim Inspizieren der russischen Truppen in der Zone der militärischen Sonderoperation am vergangenen Samstag in erster Linie gerade die Süd-Donezk-Richtung besucht hätte, wo er einen Bericht des Kommandierenden der Gruppierung „Wostok“ (deutsch: „Osten“), Generaloberst Rustam Muradow, und Offiziere des Stabes „zur aktuellen Lage und zu den Handlungen der Truppen“ entgegennahm. Es ging dabei unter anderem auch um die Lage in der Saporoschje-Richtung. Später nahm der Verteidigungsminister der Russischen Föderation im Stab der Vereinigten Gruppierung der russischen Truppen Berichte der Befehlshaber der anderen Gruppierungen, die in der Zone der militärischen Sonderoperation agieren, entgegen und „leitete eine Beratung mit seinen Stellvertretern zu Fragen der Versorgung der Truppen mit Waffen, Gefechtstechnik und Munition“. Ein vom Verteidigungsministerium verbreitetes Video zeigte, dass an dieser Beratung praktisch alle Schoigu-Stellvertreter teilgenommen hatten. Darunter der Kommandierende der Vereinigten Gruppierung der russischen Truppen, der Chef des russischen Generalstabes Valerij Gerassimow und dessen Stellvertreter bezüglich der Gruppierung.
Bis dahin hatte Schoigu die Gruppierung in der Zone der Sonderoperation am 17. Januar inspiziert, das heißt, eine Woche nach der Ernennung von Gerassimow zum Chef der Gruppierung. Den offiziellen Mitteilungen nach zu urteilen, hat Sergej Schoigu die Beratung mit seinen Stellvertretern „zu Fragen der Versorgung der Truppen mit Waffen, Gefechtstechnik und Munition“ dort in diesem Jahr erstmals am 4. März durchgeführt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie auch mit der Überprüfung der Ausgaben des russischen Verteidigungsministeriums durch die Föderale Staatskasse (Schatzamt) im Auftrag von Regierungschef Michail Mischustin zusammenhängt. Sie betrifft vier Hauptrichtungen: Nachrichtenmittel, gepanzerten Schutz, Kraftstoffe sowie die Instandsetzung und Herstellung von Waffen für die Bedürfnisse der militärischen Sonderoperation.
Der Ex-Abgeordnete des ukrainischen Parlaments, der Werchowna Rada, Oleg Zarjow, ist der Auffassung, dass die Überprüfung des Verteidigungsministeriums im Rahmen des unter Leitung von Mischustin geschaffenen Koordinierungsrates zur Befriedigung der Bedürfnisse der Streitkräfte der Russischen Föderation aufgrund der „Versorgungsprobleme, die sich besonders markant gleich nach Beginn der Mobilmachung offenbart hatten“, erfolge. „Interessant ist, dass die Überprüfung gerade das Schatzamt – ein dem Finanzministerium unterstehendes Organ – vornimmt. Die schlimmste Bestrafung entsprechend den Ergebnissen des Schatzamtes ist eine Geldstrafe, laut dem Ordnungsstrafrecht meines Erachtens von bis zu 50.000 Rubel und eine disziplinare Bestrafung für die Person, die sich schuldig machte“, betonte Zarjow. Dabei ist er der Auffassung, dass, wenn der Rechnungshof der Russischen Föderation, der „nicht der Regierung untersteht“, die Überprüfung durchführen würde, könnte er „in Abstimmung mit der Staatsduma der Russischen Föderation“ härtere Entscheidungen treffen.
Bisher gibt es keine Ergebnisse der Überprüfung der Finanztätigkeit des russischen Verteidigungsministeriums durch das Schatzamt. „Möglicherweise werden die Angaben zu dieser Überprüfung, um die öffentliche Meinung nicht aufzuwühlen, zu einer Verschlusssache“, meinte der Militärexperte und Generalleutnant im Ruhestand Jurij Netkatschjow gegenüber der „NG“. „Schließlich erfüllt die Armee gegenwärtig wichtige Aufgaben in der Zone der militärischen Sonderoperation. Und an der Versorgung und Absicherung nehmen entsprechend alle Regierungsstrukturen und regionalen Behörden teil. Man muss das Ansehen der Streitkräfte des Landes erhöhen sowie den moralischen Geist der Armee und des Volkes stärken“. Netkatschjow ist wie auch viele andere Experten der Auffassung, dass, wenn die Zeit des Regen- und Schlammwetters zu Ende gehe, die ukrainischen Streitkräfte anzugreifen versuchen würden, wobei sie sich bemühen würden, in erster Linie zum Asowschen Meer durchzubrechen.
Auf eine Offensive bereiten sich die ukrainischen Streitkräfte unter anderem in Deutschland vor. Dieser Tage schrieb die US-amerikanische Zeitung „New York Times“, dass ukrainische Militärs Trainings in der Bundesrepublik durchführen (was freilich keine Neuigkeit ist – Anmerkung der Redaktion). Reuters meldete, dass „auf dem amerikanischen Stützpunkt in Wiesbaden Kommando-Stabsübungen erfolgen“. Die besuchte in der vergangenen Woche General Mark Milley, der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs der Streitkräfte der Vereinigten Staaten. „Ich glaube unendlich an den Willen der Ukrainer zum Widerstand. Und letzten Endes glaube ich, dass eine freie, unabhängige und souveräne Ukraine zu dessen Ergebnis wird“, erklärte er. Der Befehlshaber der US-Armee in Europa, General Darryl A. Williams, würdigte ebenfalls die ukrainischen Militärs, die bei den Übungen zugegen waren, wobei er sagte, dass sie „sehr, sehr gute sind“.
„Schon recht bald werden alle Einheiten der ukrainischen Streitkräfte von den Truppenübungsplätzen der NATO an die Frontlinie zurückkehren. Sie werden zurückkehren, bewaffnet mit neuen Panzern, Schützenpanzerwagen, hochpräzisen Waffen und Artillerie. Dies wird ein ernsthafter Gegner sein. Und die russische Armee muss sich ernsthaft auf dessen Abwehr vorbereiten“, meinte Netkatschjow.
Post Scriptum
Der im Beitrag erwähnte Chef der Söldnerfirma „Wagner“, Jewgenij Prigoschin, informierte derweil am Freitag über die Eröffnung von 58 Rekrutierungszentren in Russland. „In 42 Städten der Russischen Föderation wurden Rekrutierungszentren im Auftrag von Wagner eröffnet“, erklärte der Geschäftsmann am Freitag im Telegram-Kanal seines Unternehmens Concord. „Neue Kämpfer kommen dort an, sie werden uns begleiten, um ihr Land und ihre Familien zu verteidigen.“ Allein in Moskau sind es laut vorliegenden Informationen acht Zentren, die sich vor allem in Sportclubs für Kampfsportarten eingerichtet haben. Eines dieser Zentren liegt übrigens nur einen Steinwurf vom Sitz der russischen Regierung entfernt.