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Nawalny bittet bereits nur, sich auf die Vertreter von „Einiges Russland“ zu stürzen


Die Anzahl der Personen, die durch die Polizei im Rahmen von Überprüfungsmaßnahmen entsprechend einer Liste von Anhängern von Alexej Nawalny aufgesucht wurden, hat die 500er Marke überschritten. Die Führung der Nawalny-Vertreter hat sich mit dem Vorschlag an die Medien gewandt, nicht auszuweisen, dass dies Personen aus der Datenbank des „Smart Votings“ seien. Es hätte keinen Datenverlust aus ihr gegeben, es gebe ihn nicht und könne auch nicht sei, erklärte Leonid Wolkow. Und im Namen von Nawalny veröffentlichte er aber die wahre Bitte an die auf Protest eingestellten Bürger, zumindest zu versuchen, der Kremlpartei „Einiges Russland“ bei den Wahlen zur Staatsduma (dem Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) mindestens in einigen Wahlbezirken einen Flop zu bescheren. Das Herunterfahren des „Smart Votings“ ist augenscheinlich zum Ergebnis unter anderem auch des Schlages geworden, der den oppositionellen (Wahl-) Beobachtern versetzt wurde. Zur ersten in der neuen Liste des russischen Justizministeriums für die gesellschaftlichen Vereinigungen, die Funktionen ausländischer Agenten wahrnehmen, aber nicht offiziell registriert worden sind, wurde die Bewegung „Golos“ („Die Stimme“).

In einem der Agitationsclips hat der bereits erwähnte Wolkow gerade zugestimmt, als einen Erfolg des „Smart Votings“ den Sieg zumindest in der Hälfte von mehr als 30 Direktwahlbezirken anzusehen. Damit sind jene gemeint, in denen verschiedene oppositionelle Kandidaten mehr oder weniger ordentliche Chancen haben, den Vertretern von „Einiges Russland“ Paroli zu bieten. Nawalny hat jedoch die Planke erheblich tiefer angesetzt: „Lasst uns zumindest einige (Wahl-) Bezirke ihnen wegnehmen. Wir werden ihnen nicht erlauben, 225 von 225 zu bekommen. Bringt im verbliebenen Monat ein paar Freunde und Bekannte zum „Smart Voting“. Lasst uns gemeinsam angreifen und zumindest probieren!“.

Während Wolkow im Verlauf der letzten Wochen vorsichtig zu verstehen gab, dass scheinbar nicht mehr als ein halbes Dutzend an Regionen bleiben werde, wo die Wahlen zur Staatsduma zumindest formal an diese Prozedur erinnern werden, hat sich Nawalny in seinem Post aus dem Gefängnis weitaus entschiedener geäußert: „Ja, jetzt geht es nicht darum, dass wir viele gute Kandidaten in die Duma bringen können. Man hat sie fast alle von den Wahlen ausgeschlossen. Doch wir werden zumindest jene in die Duma-Kressel bringen, für die man gestimmt hat. Anstelle jener, die man im Kreml ernannte“, erklärte er. Die kremlnahen Media-Ressourcen begannen auch sofort zu tönen, dass Nawalny in Pessimismus geraten sei, er schon nicht mehr an den Triumph seiner oppositionellen Sache glaube und mit schönen Worten die Anerkennung seiner kommenden Niederlage verschleiere.

Und in der Tat, die jetzigen Erklärungen sehen ganz anders aus als die lautstarke Losung „Wir werden „Einiges Russland“ zu Fall bringen!“, die selbst noch am Vorabend des offiziellen Starts der Wahlkampagne erklang. Tatsächlich möchte jedoch Nawalny – allem nach zu urteilen -, den Anhängern zumindest einen Teil des Drives des Jahres 2019 zurückgeben. Leider wird dies wohl kaum gelingen. Damals war dies erstens ein lokaler elektoraler Akt – die Wahlen zum Moskauer Stadtparlament, der Stadtduma. Zweitens wurden oppositionelle Kandidaten in einer großen Zahl nominiert und sogar registriert. Und diejenigen, die man nicht zugelassen hatte, wurden zu Organisatoren von Protesten. Folglich hat sich drittens die Atmosphäre vor dem Tag der Abstimmung als ein gut aufgeheizte erwiesen. Und letztlich war gerade in der Hauptstadt die mächtigste Basis der Nawalny-Anhänger, während sich die Offiziellen nachsichtig über das „Smart Voting“ amüsierten und es belächelten. All dies war auch zu den Voraussetzungen des Erfolges geworden. Die nunmehrige Wahlkampagne aber weist nicht einen dieser Faktoren auf.

Mehr noch, die Offiziellen haben gerade der dritten Komponente des „Smart Votings“ einen ernsten Schlag versetzt, die die Oppositionellen als eine unbesehen vorhandene gewertet hatte. Gemeint ist die Organisationsstruktur zur Entfaltung einer Armee von Wahlbeobachtern. Die Bewegung „Golos“, die ohne die Bildung einer Rechtsperson agiert, eröffnete am Abend des 18. August die Liste der Organisationen des bisher leeren Registers des russischen Justizministeriums, in die die ausländischen Agenten in Gestalt gesellschaftlicher Vereinigungen aufgenommen werden, die keine offizielle Registrierung aufweisen. Natürlich hat „Golos“, die wieder zu einem ausländischen Agenten geworden ist, bereits eine scharfe Erklärung abgegeben, wonach sie den Kampf für eine unabhängige Wahlbeobachtung nicht aufgeben werde. Und selbst die neuen Antioppositionsgesetze scheinen auch dies nicht direkt zu verbieten. Es gibt jedoch auch Rechtsnormen, die man so interpretieren und auslegen kann, dass auf maximale Weise die Vertreter von „Golos“ oder mit ihr verbundene Aktivisten nicht in die Wahllokale gelassen werden. Zum Beispiel die Regeln für die Akkreditierung von Medien, unter deren Marke oft Wahlbeobachter handeln. Jetzt erlaubt man den Wahlkommissionen, den Medien eine Akkreditierung zu verweigern, die die Offiziellen nicht von der Realität ihrer Existenz überzeugten. Oder einfach, weil diese Medien den Verdacht hinsichtlich eines möglichen Abgehens von einer konstruktiven Berichterstattung der Wahlprozeduren wecken. Und gerade solche Vorwürfe werden ständig an die Adresse von „Golos“ vorgebracht. Kurzum, es ist klar, dass, wenn man mit irgendeinem Gesetz der Opposition einen Schlag versetzen kann, so wird dies getan.

Beispielsweise hat die Polizei am 19. August das Aufsuchen von Bürgern fortgesetzt, die potenziell aufgrund eines Datenverlusts oder Datenklaus aus der Datenbank der Nawalny-Anhänger leiden konnten. Laut Medienberichten sollen bereits etwa 500 Personen aufgesucht worden sein. Die Rechtsschützer haben aber bisher offiziell nicht mitgeteilt, ob dies im Rahmen irgendeines der laufenden Strafverfahren erfolge oder ob es um eine operative Absicherung eines gewissen neuen Verfahrens gehe. Wolkow hat bereits an die Adresse jener Medien, die diese Geschichte verfolgen, erklärt, dass man diese Bürger, die von den Überprüfungsmaßnahmen erfasst wurden, nicht als Personen des „Smart Votings“ und in der Eigenschaft von Wählern nennen solle. Er unterstrich, dass es hinsichtlich derjenigen, die sich für das „Smart Voting“ registrierten, es keinerlei Informationsverlust gegeben hätte, gebe und geben könne, da die Nawalny-Vertreter sie prinzipiell nicht sammeln würden. Dies ist nicht ganz so. Speziell wird dies scheinbar auch nicht getan, doch in den Telefon-Apps gibt es die Option, die E-Mail-Adresse für einen schnellen Versand des Namens einen konkreten Kandidaten im entsprechenden Wahlbezirk zurückzulassen.

Das Geschehen kommentierten auch Autoren russischer gesellschaftspolitischer Telegram-Kanäle. „Die Bewegung „Golos“, in welche Register man sie auch immer eintragen mag, bleibt die professionellste gesellschaftliche Organisation zur Wahlbeobachtung. Selbst wenn sie der Staat für einen ausländischen Agenten hält“, meint der Chefredakteur des hauptstädtischen Rundfunksenders „Echo Moskaus“, Alexej Wenediktow (https://t.me/aavst55).

„Einst geriet „Golos“ als erster auch ins Register der NGOs, die als ausländische Agenten gelabelt wurden“, erinnert „Temnik“ („Der Finstere“ – https://t.me/polittemnik). „Danach trennte sie sich vom Status einer Rechtsperson und setzte die Arbeit in Gestalt einer Bewegung fort. Jetzt verspricht man auch, seine Tätigkeit nicht aufzugeben. Die Schlüsselfrage ist: was wird sich verändern? Den ausländischen Agenten ist es untersagt worden, die Wahlen zu beobachten und irgendwie den Wahlprozess zu beeinflussen. „Golos“ arbeitet vor allem als ein System zur Sicherstellung – schult Wahlbeobachter, die im Namen von Parteien oder einzelner Kandidaten in die Wahllokale entsandt werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird eine gewisse juristische Unbestimmtheit hinsichtlich des künftigen Funktionierens des ausgewiesenen Mechanismus fixiert. Aber eine Lösung wird es in der nächsten Zeit geben müssen“.