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Opposition und Offizielle führen Scharmützel mit Umfrageergebnissen


Die meisten Gegner der Verfassungsänderungen denken immer noch, zu Hause zu bleiben.

Vor der Abstimmung zu den Verfassungsänderungen hat eine aktive Auseinandersetzung auf dem Gebiet der Informationen begonnen. Ein Krieg der Umfrageergebnisse ist vom Zaun gebrochen worden, in dessen Verlauf die Opposition erfreut einen relativ hohen Grad der Proteststimmungen fixiert. Sie ist aber natürlich gezwungen, auch das geringe Potenzial hinsichtlich der Beteiligung unter den Gegnern der Änderungen anzuerkennen. Den Offiziellen gefällt jegliche Soziologie, denn die Zahl ihrer Anhänger ist stets größer. Experten sind der Auffassung, dass es für die Nichteinverstandenen, für die Ablehner schwer sein werde, ihr Elektorat selbst in der Situation eines Erwachens des apolitischen „Sumpfes“ zu mobilisieren. 

Das Zentrum für Erforschung der politischen Kultur Russlands (ZEPKR) führte vom 19. bis 21. Juni eine Telefonumfrage zur Abstimmung zu den Verfassungsänderungen durch. Die Änderungen billigen 39 Prozent, 32 Prozent billigen sie nicht. Diejenigen, die sich nicht festgelegt haben, machen 27 Prozent aus, und zwei Prozent lehnten es ab, ihre Position mitzuteilen. 

Dabei beabsichtigen, wie diese in 82 Regionen der Russischen Föderation durchgeführte Untersuchung mit 1500 Befragten zeigte, 67 Prozent der Befragten, am Plebiszit teilzunehmen, 13 Prozent haben nicht vor, zu ihm zu gehen, doch 20 Prozent haben noch nichts entschieden. Daher liegt die Prognose des ZEPKR für die Beteiligung bei weniger als 40 Prozent. Die mit der KPRF zusammenarbeitenden Soziologen haben derweil herausgefunden, dass die Entscheidung der Partei, gegen die Änderungen zu votieren, lediglich 30 Prozent in der einen oder anderen Art unterstützten, 48 Prozent sind damit nicht einverstanden. Und 22 Prozent erklärten, dass sie eine „andere“ Meinung hätten.  

Übrigens, unter denjenigen, die fest die Absicht haben, in die Abstimmungslokale zu kommen, machen die Anhänger der Änderungen 44 Prozent aus. Die Gegner machen in dieser Gruppe aber nur 27 Prozent aus, obgleich es auch noch genauso viele gibt, die keine endgültige Entscheidung getroffen haben. Dabei lehnen es nach wie vor über 70 Prozent des potenziellen Protestelektorats ab, an der Abstimmung teilzunehmen. Die Experten des ZEPKR kommen zu dem Schluss, dass „die Kampagne für einen Boykott gerade die Gegner der Änderungen von den Abstimmungslokalen wegtreiben“.  

Die ZEPKR-Umfrage ermittelte gleichfalls, dass die Zahl derjenigen allmählich zunehme, die die bevorstehende Abstimmung für ein „Vertrauensreferendum für Putin“ halten. Jetzt sind dies 60 Prozent der Befragten. Und nur 20 Prozent sind mit solch einer Auffassung nicht einverstanden, während weitere 13 Prozent sich mit einer Antwort nicht festgelegt hatten. Die Kommunisten an sich ziehen ausgehend von den Umfrageergebnissen die schwere Schlussfolgerung, dass die Kampagne um die Verfassungsänderung „über das Resetten der Amtszeiten des Präsidenten“ eine geringe Effektivität besitzt. Denn, während zwei Drittel derjenigen, die dem zustimmen, dass dies ein „Plebiszit für Putin“ sei, ganz bestimmt in die Abstimmungslokale kommen werden, wobei unter ihnen vor allem seine Anhänger sind, so pflichten 55 Prozent dem nicht bei. Und in ihrer Mehrheit werden die Präsidentengegner in keiner Weise kommen wollen. 

In den letzten Tagen sind noch einige Umfrageergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Die Partei „Jabloko“ veröffentlichte beispielsweise die Ergebnisse eines beim Levada-Zentrum in Auftrag gegebenen Vergleichs der offiziellen Verfassungsänderungen und derjenigen, die die Partei selbst vorbereitet hatte. Erstere würden eine Unterstützung von 25 Prozent erhalten, die zweiten mit dem Titel „Verfassung freier Menschen“ – 28 Prozent. Natürlich ist dies eine spekulative Untersuchung, da keine alternativen Varianten beim Plebiszit zur Abstimmung stehen. Obwohl 80 Prozenten der Befragten sagten, dass es richtig wäre, die „Jabloko“-Änderungen neben die des Präsidenten zu stellen. 

Erinnert sei daran, dass die Kampagne „Nein!“ Mitte Juni ebenfalls eine soziologische Umfrage durchführte, der zufolge herauskam, dass die Anhänger der Veränderungen 37,6 Prozent ausmachen, die Gegner – 23,9 Prozent und diejenigen, die sich nicht festgelegt haben – ganz und gar 40 Prozent. Dies wurde zu einer Begründung für die Verschärfung des Informationskampfes, der vom Agitationsformat zum politischen und juristischen Format zurückgekehrt ist. Auf der Internetseite der Gegner eines Resettens der Präsidentenamtszeiten ist bereits ein umfangreicher Beitrag erschienen, in dem die Rechtmäßigkeit sowohl der Vornahme der Verfassungsänderungen an sich als auch deren Vorlage zur Abstimmung untersucht werden. Das Ergebnis der politischen und juristischen Analyse ist eine Erklärung, wonach die gegenwärtige Verfassungsreform nicht legitim sei. Es sei jedoch noch einmal angemerkt: Die Umfrage des ZEPKR zeigte, dass die Entlarvung des Resettens die Ergebnisse des Wahlprozesses allem Anschein nach nicht beeinflusst. 

Die Offiziellen antworten auf diese Versuche, die Meinung der Anhänger der Verfassungsänderungen zu verändern und deren Gegner aus dem „Boykott-Sumpf“ herauszuholen, mit ihren Umfragen. Das Allrussische Meinungsforschungszentrum VTsIOM teilte beispielsweise mit, dass mit Stand vom 22. Juni der Anteil derjenigen, die an der Abstimmung teilzunehmen planen, 71 Prozent ausmachte. Die feste Absicht, dass sie abstimmen werden, bekunden 54 Prozent der Befragten. Daher ist die VTsIOM-Prognose solch eine: Für die Änderungen stimmen 67 bis 71 Prozent, dagegen – 28 bis 32 Prozent, ein bis zwei Prozent machen die Stimmzettel ungültig. Etwas andere Perspektiven verkündete der Direktor für politische Analyse des Unternehmens INSOMAR, Viktor Poturemskij. Laut Berechnungen dieser Struktur werde die Beteiligung bei 55 bis 58 Prozent liegen, dafür würden 64 bis 69 Prozent stimmen, dagegen – 30 bis 35 Prozent.  

Der für die analytische Arbeit zuständige Sekretär des ZK der KPRF, Sergej Obuchow, erklärte gegenüber der „NG“, was an Interessantem die ZEPKR-Umfrage ermittelt hätte: „Die Spanne zwischen den Anhängern und Gegnern der Änderungen verringert sich, wobei auch die Gegner nicht sehr abstimmen gehen wollen. Und der sehr große Anteil derjenigen, die sich nicht festgelegt haben. Nicht einmal ein Drittel von denen hat es je vor einer Wahl gegeben, besonders eine Woche vor ihnen. Dies ist ein Alarmsignal für die Offiziellen“. Er bringt die Zahl derjenigen, die sich nicht festgelegt haben, mit zwei Faktoren in Verbindung: Dies seien die Demobilisierung der Protestabstimmung durch die Anstrengungen der Boykott-Verfechter und die Stimmungsschwankung bei den gestrigen Anhängern der Offiziellen. Obuchow sagte jedoch, dass jetzt die einzige Chance der Opposition, die Anhänger für eine aktive Abstimmung zu mobilisieren, fehlerhafte Schritte seien, die der Kreml im Verlauf der (letzten) Woche machen könne. Nach Obuchow’s Meinung gebe es zwei Varianten: Entweder werden die Offiziellen aktiv Ergebnisse malen, wobei sie riskieren, eine Wiederholung der „Weiße-Bänder-Proteste“ (Protestbewegung, die im Zusammenhang mit den Dumawahlen von 2011 entstand und als Symbol weiße Bänder verwendete – Anmerkung der Redaktion) zu bekommen, oder sie mobilisieren schwere Artillerie in Gestalt des Präsidenten und in Form seiner aktiven Teilnahme am Überzeugen der Bürger. Der Kommunist zweifelt im Übrigen in keiner Weise an der Glaubwürdigkeit der „Jabloko“-Umfrage: „Wir haben ebenfalls eine Umfrage zu den Verfassungsänderungen der KPRF durchgeführt. Bei uns war auch der Anteil ihrer Anhänger weitaus größer als der der Änderungen des Präsidenten. Die Sache ist die, dass die Änderungen der Machthaber stärker politisierte und für das Volk weniger verständliche und weniger nahe als die Vorschläge der Opposition sind, die einen stärkeren sozialen Charakter tragen. Die Opposition hat aber vorerst keinen Zugang zur Mehrheit, die Ressourcen der sozialen Netzwerke sind ausgeschöpft, und es gibt keine Chance, das TV-Publikum zu gewinnen.“ 

Konstantin Kalatschjow, Leiter der Politischen Expertengruppe, erläuterte der „NG“, dass die Verwendung von Umfragen im Informationskrieg ungeachtet aller Zweifel an ihrer Methodologie durchaus logisch sei: „Tatsächlich ist dies ein gelungener Schachzug seitens der Opposition. Natürlich, die Ablehner haben keinen Zugang zu einem großen Publikum, sie zwingen aber die Offiziellen, zu antworten und die Angaben eigener Umfragen zu veröffentlichen, in deren Hinsicht auch nicht alles so eindeutig ist. Wir sehen, dass der Kreml die eindeutige Unterstützung der Mehrheit verliert. Während noch vor zwei Jahren die auf Proteste eingestellten Bürger 10 bis 15 Prozent ausmachten, so sind es heute 30 bis 35 Prozent“. Nach Meinung von Kalatschjow „hat das Thema der Verfassungsänderungen die Gesellschaft gespalten“, und die Zahl derjenigen, die sich nicht festgelegt haben, nehme aufgrund dessen zu, dass der apolitische „Sumpf“ aufgewacht sei, die schweigenden Anhänger der Offiziellen, die nun angefangen hätten, sich darüber  Gedanken zu machen, was ihnen mehr Vorteil bringe – die Unterstützung der Offiziellen, damit sie dann ihnen dafür danken, oder im Gegenteil die Abstimmung dagegen, damit die  Offiziellen gezwungen sein werden, sich auf sozial-ökonomische Reformen einzulassen. Nach Aussagen des Experten wären die Chancen der Opposition gestiegen, wenn sie eine geschlossene Position hinsichtlich einer Abstimmung gegen die Änderungen eingenommen hätte, doch bisher würden sich die Ablehner nicht mit einer Mobilisierung der Anhänger befassen, wie es sich gehört.