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Orthodoxie mit einem roten Stern


Das monumentale Objekt im Odinzowo-Kreis des Moskauer Verwaltungsgebietes wird bei allen christlich-orthodoxen Attributen und der religiösen Ausgerichtetheit in größerem Maße zu einem Museumskomplex zur Erinnerung an die russischen, sowjetischen und russländischen Soldaten, die bei der Verteidigung des Vaterlands ums Leben gekommen sind, zu einem Zentrum des sakralen Gedenkens, das alle Nationalitäten und Religionen unseres Landes vereint. So erläuterte der stellvertretende Verteidigungsminister der Russischen Föderation und Leiter der militärpolitischen Hauptverwaltung der Armee, Andrej Kartapolow, das Wesen der Errichtung der Hauptkirche der Streitkräfte. Die Einmaligkeit des Objekts ist sofort zu sehen. Das ist eine unglaubliche Verschmelzung von Atheismus, christlicher Orthodoxie, Islam, Buddhismus und des einfachen Wunschs, seiner Geschichte und Familie zu gedenken. 

Jelena Mironenko, Direktorin des Museums- und Kirchenkomplexes „Weg der Erinnerung“, erzählt, dass den Komplex über 5.000 Menschen am Tag besuchen. Dies sind sowohl Einzelbesucher als auch organisierte Exkursionsgruppen. „Dies sind mehr als die Besucher des Staatlichen A.-S.-Puschkin-Museums der Bildenden Künste in Moskau“, sagt Mironenko. „Wenn der Trend anhält, werden wir in die Top-20 der führenden Museen der Welt gelangen.“

Andrej Kartapolow ergänzt, dass der Kirchenkomplex zum technologischsten Museumskomplex in der Welt geworden sei. „Wir wissen von der Schlacht auf dem Eise (am 5. April 1242 auf dem Peipussee, als ein russisches Heer unter Führung des Nowgoroder Fürsten Alexander Newski eine Streitmacht des Livländischen Ordens besiegte – Anmerkung der Redaktion), der Kulikowo-Schlacht (Schlacht auf dem Schnepfenfeld zwischen dem Heer der russischen Fürstentümer und der mongolischen Goldenen Horde am 8. September 1380 – Anmerkung der Redaktion) und die Verteidigung von Sewastopol (während des Krimkrieges von 1854 bis 1855 zwischen Russland einerseits und dem Osmanischen Reich, Frankreich, Großbritannien und ab 1855 auch dem Königreich Sardinien andererseits – Anmerkung der Redaktion), doch außer den Feldherren, deren nächsten Mitstreiter oder einzelner Helden, können wir uns die Gesichter jener nicht vorstellen, die in den Regimentern und Bastionen waren“, sagte der General. „Heute haben wir die Möglichkeit, die Erinnerungen an jeden Teilnehmer des Großen Vaterländischen Krieges personengebunden festzuhalten.“

Dies erlaubt, die hinsichtlich ihrer Komposition und Gestaltung einmalige Ausstellung „Weg der Erinnerung“ zu schaffen – eine unterirdische Galerie, die sich halbkreisförmig um die Kirche herum befindet. Ihre Länge beträgt 1418 Schritte zur Erinnerung an jeden Tag des Krieges mit einer interaktiven Beschreibung der Ereignisse, die sich zu diesem Zeitpunkt abgespielt hatten. 

Die Kirche ähnelt mehr einem Pantheon militärischen Ruhmes. Ihre Fassade schmücken Flachreliefs mit Motiven historischer Siege der russischen Armee. Im Innern hängen Regimentsbanner mit roten Sternen, den Namen von Gardetruppenteilen und anderen Attributen der sowjetischen Epoche. Dies ist praktisch die vollständige Geschichte der Herausbildung des russischen Staates ab der Christianisierung der Rus bis zur Oktoberrevolution von 1917.

Ein ähnliches Vorgehen war bei der Errichtung der Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau, die zur Erinnerung an die gefallenen Helden des Krieges von 1812 erbaut wurde, angewandt worden. Man zerstörte sie auf der Welle der proletarischen Revolution (1931 – Anmerkung der Redaktion). Einen Teil der Tafeln mit den Namen von Helden des Krieges verwandelte man in eine Art Schotter und legte damit Wege in Moskauer Parkanlagen an. Ein anderer Teil wurde zur Ausgestaltung städtischer Gebäude verwendet. 

Beim Wiederaufbau in den 1990er Jahren kehrten in die untere Galerie der Kathedrale, wo sich ein Memorial des Vaterländischen Krieges befindet, 177 Tafeln mit in Gold festgehaltenen Namen von Helden und mit einer Beschreibung der wichtigsten Schlachten jenes Krieges aus dem Vergessen zurück und fanden einen würdigen Platz. Doch die einstige sakrale Bedeutung hat das Gebäude nicht zurückerlangt. Dies ist heute vor allem eine Kathedrale der Russisch-orthodoxen Kirche. 

In der Hauptkirche der Streitkräfte werden Gottesdienste stattfinden. Man wird sie mit denkwürdigen Daten der Arten und Gattungen der Truppen, mit historischen Siegen der russischen Armee und anderen Ereignissen der Militärgeschichte des Landes in Verbindung bringen. Dabei teilte der Vorsitzende der Synodalen Abteilung für das Zusammenwirken mit dem Verteidigungsministerium und den Rechtsschutzorganen, der Bischof von Klin und Vikar des Patriarchen von Moskau und Ganz Russland, Vater Stefan, mit, dass in dem Gotteshaus für alle Interessenten Tauf- und Traurituale vorgenommen werden. Eingerichtet wird eine „Sonntagsschule“ für Erwachsene. Begonnen wurde die Ausbildung von Geistlichen für die Truppen. Außerdem werde erstmals im Land eine Hochschule für die Ausbildung von barmherzigen Schwestern und Brüdern geschaffen. Laut Aussagen von Andrej Kartapolow seien für diese bereits die ersten 20 Kandidaten aus den Reihen der Wehrpflichtigen ausgewählt worden, die den Wunsch bekundet hatten, einen alternativen Wehrdienst zu leisten. 

Die Kirche ist nicht nur in der Dimension, sondern auch in den Details monumental. In ihrem oberen Teil wird die Gegenwart reflektiert, die Mehrdeutigkeit und Zwiespältigkeit des Bürgerkrieges, der Große Vaterländische und, was äußerst wichtig ist, die Gegenwart. Die die Kirchenwände schmückenden Mosaiken erzählen buchstäblich in einer Komposition von der Teilnahme der Armee an den einen oder anderen Ereignissen. Hier kann man beispielsweise unsere Piloten sehen, die am japanisch-chinesischen Krieg 1937-1945 auf der Seite der Volksrepublik China teilgenommen hatten. Weiter sind da Kämpfer des Korea- und des Vietnam-Krieges, Militärs, die die Kette von Konflikten auf dem afrikanischen Kontinent und in Afghanistan sowie von Kampfhandlungen auf dem Territorium einstiger Republiken der UdSSR, der Antiterroroperation im Nordkaukasus und schließlich in Syrien durchmachten. Dies sind Zeugnisse der Teilnahme der UdSSR und des heutigen Russlands an militärischen Konflikten. Darüber spricht das Verteidigungsministerium erstmals offiziell, wobei es die Erinnerungen an Soldaten und Offiziere einer großen Armee sowie von unterschiedlichen Nationalitäten und Religionen verewigt. 

Vor dem Hintergrund der christlichen Attribute und historischen Installationen steht die Figuren-Komposition „Den Müttern der Sieger“ von Daschi Namdakow, einem vom Glauben her Buddhisten und Bürger Russlands. Sie bündelt die Widersprüche hinsichtlich des Komplexes. Dies ist ein neun Meter hohes Denkmal. Das Gesicht der Frauen wird durch die Handflächen verdeckt. Sie weint. Am unteren Saum ihres Umhangs brennen Flämmchen dahingegangener Seele… Es ist schwer, sich eine eindrucksvollere Darstellung des Abschiednehmens von Verwandten vorzustellen. 

Andrej Kartapolow unterstreicht, dass der Kirchenkomplex erlaube, aller Bürger des Landes zu gedenken, die für dessen Freiheit gefallen seien. Das Verteidigungsministerium hat an einem, an diesem Ort auch Symbole der Stärke zusammengetragen: Militärtechnik, Bilder von Verteidigern, Ikonen, Banner von Truppenteilen der Sieger und Familienreliquien. 

Wenn Sie keine Möglichkeit haben, das Grab des Großvaters oder Vaters, das sich im nahen und fernen Ausland befindet, aufzusuchen, so ist in dem Kirchenkomplex Erde von mehr als 20.000 Grabstätten von Kämpfern des Landes zusammengetragen worden. In den Hülsen von Artilleriegeschossen wird sie aufbewahrt. An jeder kann man der Kämpfer gedenken, beten, eine Kerze aufstellen oder einfach verweilen. 

Innerhalb einer Woche nach Eröffnung haben den im vor den Toren Moskaus gelegenen Park „Patriot“ gelegenen Komplex über 30.000 Menschen besucht. Im Zusammenhang damit gewährte Andrej Kartapolow der „NG“ folgendes Interview: 

Wird das orthodoxe Christentum zum Hauptinstrument der Erziehung der Militärs in der russischen Armee?

Nicht, dass die Orthodoxie zum hauptsächlichen wird. Der christlich-orthodoxe Glaube trägt einfach in sich sehr viele geistige Klammern, die für die russische Gesellschaft traditionell sind. In der christlich-orthodoxen Armee haben auch Moslems und Buddhisten gedient. Dies ist ein weitaus breiteres Verständnis als die religiösen Neigungen eines einzelnen Menschen. Und der zweite Bestandteil ist: Der christlich-orthodoxe Glaube basiert auf der Vaterlandsliebe. Denn es gab, wie Sie sich erinnern, die Losung „Für den Glauben, den Zaren und das Vaterland!“. Das Vaterland ist klar, der Zar – ist verständlich. Jetzt ist der höchste Oberbefehlshaber der Präsident, das heißt, die erste Person des Staates. Und der Glaube. Ohne den geht nichts. Er enthält tiefgründigere Antworten auf alle Fragen des Menschen. Daher auch christlich-orthodoxe Armee bzw. Heer in dem Sinne, dass sie bzw. es für die Wahrheit kämpft. 

Und wie wird sich die erzieherische Arbeit in den Streitkräften unter Berücksichtigung dessen gestalten, dass sich die Menschen verändert haben? Die sowjetischen hatten den Kodex der Erbauer des Kommunismus, gleiche Löhne, gleiche Waren in den Läden. Heute aber haben wir eine sehr ernste soziale Differenzierung und unterschiedliche finanzielle Möglichkeiten? 

Im Verteidigungsministerium sind militärpolitische Strukturen geschaffen worden, die für den moralisch-politischen und psychologischen Zustand des Personalbestands verantwortlich sind. Dies ist einer der Bestandteile der Gefechtsausbildung. Dies ist ein sehr wichtiger Faktor, den man ins Kalkül ziehen muss. Und heute verstehen wir: Ein tiefer Patriotismus, der auf der Liebe zur großen und kleinen Heimat, zu seiner Familie, zu seinen Freunden beruht, ist das Rückgrat und der Inhalt eines Militärs.

Wird faktisch das Studium der Geschichte des russischen Staates, der nationalen Besonderheiten der in Russland lebenden Völker zu jenem Dreh- und Angelpunkt, auf dem das gesamte System basiert? 

Unbedingt! Und die Geschichte unserer Armee, ihrer Siege ist eine der geistigen Klammern, die ein Bestandteil der Militärideologie ist.

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Kampfbanner von Regimentern haben ich nur in anglikanischen Kirchen in Großbritannien gesehen. Verschlissene, mit Spuren von Kugeln und Geschosssplittern. Ich war von den Kompositionen der Figurengruppen an den Denkmälern der Regimenter und Einheiten in den Hauptstädten westlicher Länder begeistert. An ihnen standen ohne Umschweife die Orte ihres Kampfesruhmes geschrieben: Archangelsk, Balaklawa, Sewastopol, Moskau usw. Am Triumphbogen von Paris, der auf Anordnung von Napoleon 1806-1836 durch den Architekten Jean-François Chalgrin zur Verherrlichung der Siege seiner französischen Armee errichtet wurde, gibt es dies auch. Jedoch haben wir all diese Kriege gewonnen. Unsere Pferde tranken aus der Seine. Das Wort „Bistro“ haben unsere Kosaken in die französische Sprache eingebracht. Berlin haben zweimal russische und später sowjetische Soldaten eingenommen. Aber nicht an einem unserer Sieges-Denkmäler gibt es die Namen dieser Städte. In dieser Hinsicht ist die Kirche der Streitkräfte ein Symbol nicht für Eroberungen oder kurzzeitige Errungenschaften, sondern der Staatspolitik: Wenn wir Feuer bringen, so nur im Interesse der Wahrheit.