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Putin analysierte vier Stunden und vier Minuten lang die Ergebnisse des Jahres


Die russische Wirtschaft ist als eine recht stabile charakterisiert worden, der außenpolitische Kurs bleibt ein unveränderter, die bevorstehende Wahlkampagne stellt kein Problem dar – eben dies ist das Resümee der am 14. Dezember stattgefundenen Pressekonferenz „Bilanz des Jahres mit Wladimir Putin“. Vorgesehen wurde, dieses Format mit dem Format der Call-In-Show (Bürgerfragestunde), die der Präsident früher gern durchführte, zu verbinden. Und das Staatsoberhaupt begann dieses Mal nicht, Wunder zum Jahreswechsel zu vollbringen. Die Fragen aus den Regionen lösten bei ihm die Reaktion eines Typs aus: Man müsse sich genauer ein Bild von der jeweiligen Situation verschaffen, der Staat werde sich weiterhin damit befassen usw. usf. Zu einer Ausnahme wurde die Preisexplosion bei Eiern und Hühnerfleisch, wofür sich Putin sofort im Namen aller verantwortlichen Institutionen entschuldigte. Eine Bestimmtheit zeichnete sich auch hinsichtlich der Haltung des Präsidenten zu den Ereignissen ab, die mit der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine (seit dem 24. Februar 2022 – Anmerkung der Redaktion) zusammenhängen. Entgegen den Prognosen vieler Experten weicht er allem nach zu urteilen im Vorfeld der Wahlen diesem Thema nicht aus und hat es auch nicht vor.

 

Gleich zu Beginn der Veranstaltung im Moskauer Ausstellungszentrum „Gostiny Dwor“ hatten die beiden Moderatoren Putin einen starken Pass vorgelegt: „In der vergangenen Woche haben Sie Ihre Entscheidung verkündet, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren. In diesem Zusammenhang die Frage: Welche Aufgaben sind für Sie im Landesinnern und im Ausland die wichtigsten?“. Jedoch wollte das Staatsoberhaupt nicht detailliert über seine Teilnahme an den bevorstehenden Wahlen (am 17. März kommenden Jahres – Anmerkung der Redaktion) sprechen. Und erläuterte kurz, dass das Wichtigste sei, die Souveränität des Landes hinsichtlich aller Richtungen zu stärken. Im Grunde genommen hat er über das Hauptereignis der Innenpolitik kein Wort mehr gesagt. Freilich mit Ausnahme jener paar Phrasen, als er bei der Erwähnung irgendeines sozial-ökonomischen Problems versprach, dass dazu in einem gewissen Präsidentenprogramm etwas gesagt werde.

Bisher ist schwer zu verstehen, was Putin meinte: Wird man irgendein spezielles Wahlkampfdokument des Hauptkandidaten für das höchste Amt im Staat erstellen oder wird man einfach im Verlauf der Wahlkampagne die Bedürfnisse des Volkes besonders akzentuieren? Klarer wurde entsprechend der Pressekonferenz die Haltung Putins zur militärischen Sonderoperation und den mit ihr verbundenen unterschiedlichen Problemen. Die außerparlamentarische Opposition hatte damit gerechnet, dass er sich bemühen werde, sowohl am 14. Dezember als auch im Weiteren Aussagen über sie zu vermeiden. Dem Aufleben des Präsidenten gerade bei den Antworten auf diesen Typ von Fragen nach zu urteilen, ist diese Rechnung jedoch nicht aufgegangen.

Zumal der Hauptschlusspunkt zu diesem Thema sofort gesetzt wurde: Die russische Armee brauche keine neue Welle einer Mobilmachung. Im Herbst vergangenen Jahres waren 300.000 Menschen einberufen worden. Etwa 250.000 befinden sich derzeit in den Kampfeinheiten. Der Plan in Bezug auf Vertragsmilitärs bis zum Ende dieses Jahres – etwas mehr als 400.000 – ist bereits übererfüllt worden. 486.000 Menschen bekundeten den Wunsch, an der militärischen Sonderoperation teilzunehmen. Freilich hatte Putin aus irgendeinem Grunde mehrmals von der Frontlinie mit einer Länge von ca. 2.000 Kilometern gesprochen, obgleich die Offiziellen früher von etwa 1000 gesprochen hatten. Und wenn der Präsident auf diesen Wert verwies, als er erläuterte, warum mitunter nicht für alle die technischen Mittel und Waffen ausreichen, wird man da nicht später auch dieses Argument bereits im Zusammenhang mit der Truppenstärke anführen?

 

Über die Wirtschaft – mit Optimismus

 

Die Antworten des Präsidenten der Russischen Föderation zu Wirtschafts- und wirtschaftsnahen Fragen haben gezeigt, dass das Staatsoberhaupt gut über die Situation im Land informiert ist und er bereit ist, das Bestehen von Problemen einzugestehen. Nach Aussagen Putins beende die russische Wirtschaft das Jahr 2023 mit ernsthaften Erfolgen. Aber der negative Einfluss der Sanktionen ist im Land zu spüren. Und dies war anhand der Fragen der Bürger ersichtlich, die die Situation mit Vakzinen betrafen, die Probleme im Flugzeugbau, in der einheimischen Automobilindustrie und selbst bei Drohnen-Lieferungen für die Truppen, die nicht durch den Staat im vollen Maße selbst zum Ende des zweiten Jahres der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine gewährleistet werden.

Die Verstärkung der technologischen Souveränität, der Sicherheit und Souveränität im Bereich der Wirtschaft bezeichnete der Kremlchef als seine Hauptaufgabe. Als eines der Beispiele für die beschlossenen Maßnahmen nannte er die Zunahme des Anteils der nationalen Währungen bei den internationalen Zahlungen. „Je mehr wir die nationale Währung bei den Wirtschaftszahlungen verwenden, bei den finanziellen Zahlungen, desto besser. Dies erhöht unsere Souveränität und unsere Möglichkeiten“, erklärte Putin. Nach seinen Worten sei mit dem heutigen Stand der Anteil des Euro und Dollars bei der Abwicklung des russischen Exports von 87 bis auf 24 Prozent gesunken. Dabei habe sich der Anteil des russischen Rubels von elf bis auf 40 Prozent erhöht. Der Anteil des chinesischen Yuans sei von 0,4 bis auf 33 Prozent gestiegen. (Dabei erläuterte das Staatsoberhaupt nicht, dass dies vor allem durch eine Umorientierung der Rohstoff-Exporte gen Osten erreicht wurde. – Anmerkung der Redaktion)

Die Stabilitätsreserve der Wirtschaft bewertete der Präsident als „eine ausreichende, um sich nicht einfach zuversichtlich zu fühlen, sondern auch um voranzugehen“. Diese Reserve an Stabilität werde durch die große Konsolidierung der russischen Gesellschaft, durch die Stabilität des Finanz- und Wirtschaftssystems des Landes gesichert. „Der wichtigste Parameter ist das Wachstum des BIP. In diesem Jahr wird es 3,5 Prozent betragen. Russland hat den Rückgang wettgemacht und hat einen großen Schritt vorwärts getan. Die verarbeitende Industrie wächst – um 7,5 Prozent im Jahr. Schon lange hat es so etwas nicht gegeben“, erklärte das Staatsoberhaupt. Putin fügte hinzu, dass die Investitionen in der russischen Wirtschaft innerhalb eines Jahres um zehn Prozent angestiegen seien. „Die Zunahme der Investitionen sichert wiederum eine garantierte Entwicklung der Wirtschaft in der langfristigen Perspektive. Außerdem demonstriert auch das Bankensystem Stabilität“, betonte der Präsident.

Russlands Staatsschulden hätten sich verringert, das Land zahle gleichfalls ordentlich internationale Kredite zurück. Die Tilgung erfolge rhythmisch, oft mit einem höheren Tempo im Vergleich zum Zeitplan, merkte der Präsident an. Die Realeinkommen der Bevölkerung würden gleichfalls steigen. „Was die Arbeitslosigkeit angeht, so war das Land vor kurzem auf den Wert von drei Prozent stolz. Und jetzt beträgt er 2,9 Prozent. Dies ist ein sehr guter Wert für eine integrierte Wirtschaft“, unterstrich Putin.

Bürger, die am Donnerstag die Chance erhielten, direkt dem Präsidenten ihre Fragen zu stellen, teilten dem Präsidenten mit, dass es unmöglich sei, medizinische Hilfe zu bekommen, dass es Schwierigkeiten bei der Beantragung und Ausstellung sozialer Vergünstigungen und Probleme mit Flügen aufgrund des Mangels einheimischer Flugzeuge gebe. Recht ungewöhnlich sah auch das Eingestehen von Fehlern bei der Regulierung des Lebensmittelmarktes aus, und insbesondere bei den Preisen für Hühnerfleisch und Hühnereier. „Ich bedauere es und entschuldige mich diesbezüglich. Dies ist aber eine Störung in der Arbeit der Regierung“, sagte Putin. Nach seinen Worten hätte die Regierung „rechtzeitig den Import stärker erweitern müssen“. Dabei verwies er direkt auf den Druck der Lobbyisten. „Offensichtlich hatte man damit gerechnet, mehr zu verdienen“.

„Man kann mit Gewissheit sagen, dass die Lebensmittelsicherheit Russlands gewährleistet ist“, unterstrich der Kremlchef. „Es gibt Probleme, die das Saatgut betreffen, vor allem der unterschiedlichsten Kulturen. Hier gibt es etwas, woran gearbeitet werden muss“, gestand Putin ein. „Es stehen Aufgaben auf dem Gebiet der Selektion. Wir haben ein Programm hinsichtlich des Saatgutes, meiner Meinung nach gilt es bis zum Jahr 2030. Und es wird realisiert, es wird umgesetzt, es werden die notwendigen finanziellen Ressourcen bereitgestellt“.

Das Staatsoberhaupt sah sich genötigt, die Wichtigkeit der von den Bürgern aufgeworfenen Probleme anzuerkennen, und versprach, sie in der Zukunft zu lösen. So werde die Verlängerung des Programms für eine Modernisierung der Basis des Gesundheitswesens Teil des künftigen Präsidentenprogramms, versprach Putin. Unter anderen Initiativen für die nächsten Präsidentenamtszeit kann man die Verlängerung des Programms für begünstigte Familienhypotheken, neue Bonusse für die Beschäftigten der nördlichen Regionen und die Bildung einer besonderen Wirtschaftszone in der Stadt Schebekino des Verwaltungsgebietes Belgorod, die durch den ukrainischen Beschuss stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, nennen. „Ich denke, dass man Bedingungen einer besonderen Wirtschaftszone in Schebekino, die Schaffung solch einer Zone dort unterstützen muss. Und ich bitte die Regierung, in der allernächsten Zeit Vorschläge vorzulegen“, sagte Putin. „Man muss dort die Arbeitsplätze bewahren und in der nächsten Zukunft die Wiederherstellung der Wirtschaft gewährleisten“.

Die Bürger, die in den Regionen des Hohen Nordens und Fernen Ostens Russlands geboren wurden, müssten ab dem ersten Arbeitstag Zuschläge zu den Löhnen und Gehältern erhalten und nicht erst eine entsprechende Anzahl von Jahren für einen Zusatzkoeffizienten im Verlauf mehrerer Jahre abarbeiten, erklärte das russische Staatsoberhaupt. Außerdem unterbreitete Putin den Vorschlag, die vergünstigten Hypotheken in den neuen Regionen und für den sekundären Wohnungsmarkt anzuwenden. „Neuer Wohnraum wird dort bisher – gelinde gesagt – wenig errichtet. Daher müsste man dies genauso wie im Fernen Osten auf den sekundären Markt ausdehnen“, sagte Putin. Zu Beginn dieses Jahres hatte der russische Regierungschef Michail Mischustin einen Beschluss über den Start eines begünstigten Hypotheken-Programms für die Donezker und die Lugansker Volksrepublik sowie die Verwaltungsgebiete Saporoschje und Cherson unterschrieben. Eine begünstigte Hypothek mit einem Prozentsatz von maximal zwei Prozent kann man für den Erwerb und die Errichtung von Wohnraum in diesen Regionen erhalten.

 

Die Außenpolitik bleibt unverändert

 

Der nicht mit dem ukrainisch-russischen Konflikt und dem nahen Ausland verbundenen internationalen Thematik war ein vergleichsweise geringer Teil des Donnerstag-Auftritts von Putin gewidmet. Er wiederholte das, was er schon früher mehrfach gesagt hatte: Die Schuld für die Konfrontation Russlands und des Westens liege auf dem Westen, der die erzielten Vereinbarungen gebrochen hätte und nicht wünsche, die Interessen der Russischen Föderation zu berücksichtigen. Lediglich zwei Politiker der EU verdienten eine positive Bewertung Putins – der Premier der Slowakei Robert Fico und Ungarns Premierminister Viktor Orbán. „Ich habe bereits mehrmals gesagt: Sie sind keine prorussischen Politiker, sie sind pronationale. Sie verteidigen ihre Interessen. Solche gibt es aber nicht mehr. Sie gibt es einfach nicht“, sagte der russische Staatschef. In Bezug auf die USA erklärte Putin, dass er bereit sei, Beziehungen mit diesem Land zu gestalten, aber nur, „wenn fundamentale Grundlagen“ nach den „inneren Veränderungen“ in den Vereinigten Staaten an sich geschaffen werden“. Erläuterungen dazu, wer und was solche Veränderungen vornehmen kann, gab er keine. Weder Donald Trump noch Joseph Biden oder irgendein anderer der US-amerikanischen Politiker sind von Putin nicht erwähnt worden.

Hinsichtlich des Nahost-Konfliktes hat der russische Präsident klar die Prioritäten gesetzt: „Das erste ist, man muss die Menschen im Gaza-Streifen bewahren. Das zweite: Man muss den Menschen massive humanitäre Unterstützung gewähren“. Putin betonte die Übereinstimmung der Positionen der Russischen Föderation und der Türkei hinsichtlich der Schaffung eines Staates Palästina und teilte mit, dass er sein Treffen mit Recep Tayyip Erdogan zu Beginn des kommenden Jahres auf türkischem Territorium nicht ausschließe. Über das türkische Staatsoberhaupt hat sich Putin überhaupt recht schmeichlerisch geäußert, wobei er die „erhebliche, die führende Rolle“ Erdogans bei der Wiederherstellung der Situation im Gaza-Streifen betonte. „Wir gehen, genauso wie auch die Türkei, davon aus, dass doch die Entscheidungen der UNO bezüglich der Schaffung eines Palästinensischen Staates mit der Hauptstadt in Ostjerusalem implementiert werden müssen. Und dies ist außerordentlich wichtig. Man muss fundamentale Grundlagen für eine israelisch-palästinensische Konfliktregelung schaffen“, unterstrich der russische Präsident.

Nach der Pressekonferenz ist unklar geblieben, ob russische Sportler zu den Olympischen Spielen nach Paris im kommenden Jahr fahren werden. Putin sagte, dass man die Bedingungen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) analysieren müsse: „Wenn diese künstlichen Bedingungen, die politisch motivierten künstlichen Bedingungen darauf abzielen, unsere Spitzenreiter auszuklammern, jene Sportler auszuschließen, die auf Gold-, Silber- oder Bronzemedaillen Anspruch erheben und unsere Auswahl zu schwächen, nun, da…“. Es sei daran erinnert, dass das IOC am 8. Dezember die Bekanntgabe russischer und weißrussischer Sportler zu den Spielen bekanntgegeben hatte. Aber sie müssen ohne eine nationale Symbolik antreten. Denjenigen, die die militärische Sonderoperation unterstützen oder mit den Strukturen der Rechtsschutz-, Sicherheits- und bewaffneten Organe verbunden sind (zum Beispiel, wenn sie Athleten des Zentralen Armeesportklubs sind – Anmerkung der Redaktion), wurde von Anfang an eine Zulassung zu den Spielen verweigert.

 

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Den Dialog des Präsidenten mit den Medien und dem Volk, der 67 Fragen umfasste, verfolgten auch Autoren russischer gesellschaftspolitischer Telegram-Kanäle.

„Hervorgehoben sei das Dominieren der Inlandsagenda, was gerechtfertigt aussieht. Hinsichtlich der Fragen der Außenpolitik sind Russlands Bürger geeint wie nie zuvor. Aber die drängenden Alltagsprobleme erfordern eine unverzügliche Lösung“, meinen die Autoren des Kanals „Gedanken laut geäußert“. „In diesem Sinne wirkte die Call-In-Show ein weiteres Mal als ein effektives Instrument für eine Verbindung mit der Bevölkerung, die entsprechend ihren Ergebnissen eine sofortige Reaktion auf ihre Frage erhielt (und von den Offiziellen vor Ort erhalten wird)“.

„Die Wiederherstellung der Beziehungen der Länder des Westens mit uns, ist, wenn man alle Worte zu diesem Thema zu einer Thesis zusammenfasst, in einem weitaus größeren Maße ein Problem dieser Länder als unseres. Es hat nichts prinzipiell Neues gegeben. Dennoch aber ist es sehr gut. An so etwas muss man erinnern“, erklären die Autoren des Kanals „Adäquat“.

„Bei der Beantwortung der Frage, warum Russland die Gaslieferungen nach Europa fortsetze, polemisierte Putin mit Olaf Scholz“, denkt „Meister“. „Der hatte, woran erinnert sei, pauschal erklärt, dass Russland der EU das Gas genommen hätte. Putin erinnerte aber daran, dass Gazprom entsprechend der bestehenden Verträge die Lieferungen an die EU über zugängliche Gaspipelines, darunter über ukrainische, fortsetze“.