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Riskiert die ROK, die Wiedervereinigung des Christentums zu verpassen?


Papst Franziskus und der Ökumenische Patriarch (von Konstantinopel) Bartholomeus I. haben Botschaften über eine mögliche Überwindung des Großen Schismas, der Spaltung in das westliche bzw. abendländische und das östliche Christentum ausgetauscht. Aus diesem Prozess wird jedoch scheinbar das Moskauer Patriarchat ausgeschlossen werden, das aufgrund der ukrainischen Autokephalie in eine immer größere Isolation von der griechischen Orthodoxie versinkt. 

In der Botschaft von Franziskus an Bartholomeus und im Antwortschreiben des Patriarchen an den Papst ist davon die Rede, dass in der überschaubaren Zukunft eine Wiedervereinigung des Katholizismus und der Orthodoxie im Sakrament der Eucharistie möglich sei. Dies wird zu einer epochalen Überwindung des Großen Schismas oder der Spaltung führen, das bzw. die sich im Jahr 1054 zwischen Rom und Konstantinopel ereignet hatte. 

Derartige Freundlichkeiten haben die Kirchenoberhäupter auch in den vergangenen Jahren ausgetauscht. Jetzt jedoch haben sie sich bis zum Thema einer gemeinsamen Eucharistie geäußert.

Ende November nahm eine Delegation des Vatikans unter Leitung von Kurienkardinal Kurt Koch, dem Vorsitzenden des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, an einer Göttlichen Liturgie in der orthodoxen Georgskathedrale von Istanbul teil. Dort wurde auch die Botschaft des Summus Pontifex verlesen, in der als Ziel des theologischen Dialogs die Teilnahme der Katholiken und orthodoxen Christen am gemeinsamen eucharistischen Altar ausgewiesen wurde. Dies wird die Wiederherstellung eines vollständigen gottesdienstlichen Kommunizierens bedeuten, „um alle Menschen in einem einzigen Körper und auf dem Eckstein der einzigen und heiligen Kirche zu vereinen“. 

Patriarch Bartholomeus I. antwortete Papst Franziskus, wobei er gleichfalls die vollständige Einheit der östlichen und westlichen Christen als Ziel auswies, die sich in einer gemeinsamen Eucharistie ausdrücken müsse. „Dies erfolgt ungeachtet der Einwände jener, die … den Ökumenismus für eine Utopie halten“, sagte der Patriarch. Er unterstützte die jüngste Enzyklika „Fratelli tutti“ von Papst Franziskus, die den sozialen Problemen der Gegenwart gewidmet ist. Laut Aussagen von Bartholomeus habe das Ökumenische Patriarchat vor kurzem ein Dokument veröffentlicht, das mit der Papst-Enzyklika harmoniere. 

Jedoch kann aus diesem Prozess der Annäherung der beiden wichtigen Zweige des Christentums die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ausgeschlossen werden, die vor einem Jahr die eucharistischen Kontakte mit Konstantinopel abgebrochen hatte. In der seitdem vergangenen Zeit hat sich die Situation nicht normalisiert. Im Gegenteil, die Kirche von Zypern hat sich der Zahl derjenigen angeschlossen, die die Orthodoxe Kirche der Ukraine, eine Schöpfung von Patriarch Bartholomeus, anerkannt haben. Nunmehr ist eine gemeinsame Vornahme liturgischer Handlungen von Klerikern der ROK mit den Hierarchen von vier griechischen Jurisdiktionen nicht mehr möglich. Dabei hat das „historische Treffen“ des Papstes und des Patriarchen von Moskau und Ganz Russland Kirill im Jahr 2016 letztlich keine Fortsetzung erfahren. Obgleich Franziskus regelmäßig mit Bartholomeus persönlich kommuniziert. Unter anderem hat eine entsprechende Audienz im vergangenen Oktober stattgefunden. Freilich, damals war bei dem ökumenischen Gottesdienst im Vatikan ein Bischof der ROK zugegen. Er war aber aus Europa.

Die Widersprüche zwischen der ROK und ihrer Antagonisten in der orthodoxen Welt vertiefen sich. Über informelle Internet-Quellen wird ein Appell des Metropoliten von Saporoschje Luka (Kowaljenko) an die Gläubigen verbreitet, in dem er vorschlägt, Bartholomeus mit einem Kirchenbann zu belegen. „Es hat sich eine Spaltung in der weltweiten Orthodoxie vollzogen. Und dies ist bereits eine vollendete Tatsache. Zum Initiator dieser Spaltung wurde die globale internationale Elite, die heute offen eine neue Weltordnung schafft. Zu einer Marionette dieser antichristlichen Strategie wurde der Häretiker und Gotteslästerer Dimitrios Archondonis, der sich für den Patriarchen von Konstantinopel hält“, sagte angeblich der Hierarch der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. 

Wie auch vor eintausend Jahren bestimmen die Spaltungen zwischen den Christen nicht so sehr theologische Differenzen als vielmehr die große Politik. In unserer Zeit erscheinen der Vatikan und Konstantinopel in der Wahrnehmung der Ideologen der ROK in der Gestalt eines „verallgemeinerten Westens“, der sich in einer Zivilisationskonfrontation mit der „russischen Welt“ befindet.