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ROK machte Schluss mit der Selbstherrschaft Romanows


Schima-Igumen-Konspirologe aus dem Ural erhielt Verbot für seine Tätigkeit und erwartet einen Kirchengerichtsprozess.

Die Jekaterinburger Diözese der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) hat den Beichtvater des Mitteluraler Nonnenklosters zur „Ährenkleidmarien-Ikone“, Schima-Igumen (Vorsteher eines orthodoxen Klosters, der sich den besonders strengen asketischen Verhaltensregeln unterwirft, um sich von der Welt völlig abzuscheiden, um bei Christus zu sein – Anmerkung der Redaktion) Sergij (weltlicher Name – Nikolaj Romanow) mit einem Verbot für dessen geistliches Wirken belegt. Den Schima-Mönch erwartet ein Kirchengericht, und vorerst hat er kein Recht, das Pektorale zu tragen, die Beichte abzunehmen, die heiligen Sakramente zu spenden und Gottesdienste zu leiten, aber auch das Territorium des Johannes-der-Theologe-Mönchsklosters, in dem er sich derzeit aufhalten sollte, ohne eine schriftliche Genehmigung zu verlassen. Seit dem letzten Monat ist dies bereits das vierte Mal, dass die ROK einem Geistlichen verbietet, kirchliche Handlungen vorzunehmen. 

Zum Anlass für die Entscheidung der Diözese wurden die Äußerungen Romanows, in denen er die Kirchenoberen aufgrund der Schließung der Gotteshäuser in der Zeit der Pandemie verdammte, die Kirchenhierarchen bezichtigte, dem Antichristen zu dienen, und die prophylaktischen Maßnahmen gegen Covid-19 als eine „weltweite Verschwörung“ bezeichnete. Zuvor hatte man aufgrund derartiger Worte dem Geistlichen das Recht genommen, zu predigen und öffentliche Gespräche zu führen (ausführlicher in der Printausgabe der „NG“ vom 27.04.2020). Den Kleriker hat dies jedoch nicht zum Aufhören veranlasst. Am 26. Mai wurde auf YouTube ein neuer Auftritt des Schima-Igumens gepostet, der mit den Worten „Predige nicht“ betitelt worden war. Im Verlauf von fast 20 Minuten las Romanow vom Papier ab und belegte die Anhänger der „ungesetzlichen Isolierung“ mit einem Anathem (Bannfluch), warf den Kirchenvertretern und staatlichen Behörden die Folgen der Pandemie, eine Vernichtung des Mittelstands und Kleinunternehmertums sowie die Armut des Volkes vor, warnte vor der Gefahr eines Triumphs des künstlichen Intellekts infolge einer „Chippisierung“ und erklärte die Schaffung eines „elektronischen Lagers des Satans“. Er rief aber auch alle auf, auf die Straßen zu gehen, „hinter den Mauern der Angst, des Weinens, der Ausweglosigkeit, Mutlosigkeit und Verzweiflung“ hervorzukommen. „Alle nimmt man nicht fest, verteidigt eure Zukunft, die Stimme des Volkes ist Gottes Zorn“, rief Romanow am Ende des „Gesprächs“ aus.   

In einem Erlass, der am 27. Mai mit der Unterschrift des Metropoliten von Jekaterinburg und Werchoturje, Kirill (Nakonetschnyj) veröffentlicht wurde, wird erläutert: „Ich hatte mit Ihnen mehrfach ein pastorales vertrauliches Gespräch – sowohl unter vier Augen als auch im Beisein anderer Personen – hinsichtlich des Inhalts Ihrer öffentlichen Predigten und Auftritte. Sie gaben mir das Versprechen, sich zu bessern. Sie haben aber den mir gegebenen Schwur gebrochen“. Nun wird über das Schicksal des Schima-Igumens das Diözesen-Gericht entscheiden.  

Im Moskauer Patriarchat kämpft man allerdings nicht nur gegen Covid-Dissidenten. Ein Kirchengericht erwarten in diesen Tagen noch mindestens drei weitere Geistliche. Oberdiakon Andrej Kurajew wurde am 29. April per Erlass des Patriarchen von Moskau und Ganz Russland Kirill mit einem Verbot, einer geistlichen Tätigkeit nachzugehen, mit der Formulierung belegt: „im Zusammenhang mit der öffentlichen Kränkung der Erinnerungen an den Vorsteher der Epiphania-Kathedrale der Stadt Moskau, Erzpriester Alexander Ageikin (verstarb am 21. April 2020 im Alter von 48 Jahren an den Folgen einer Coronavirus-Infektion – Anmerkung der Redaktion), was diese Tat nicht nur als unethische, sondern auch als besonders zynische charakterisiert, aber auch unter Berücksichtigung vorangegangener Handlungen“. Die Bischöfe von Armavir und Labinsk, Ignatij (Busin), sowie von Kostomukscha und Kem, Ignatij (Tarassow) suspendierte man am 18. Mai von ihren Pflichten aufgrund „eingegangener Mitteilungen, die dokumentarisch argumentierte Vorwürfe gegenüber den oben erwähnten Bischöfen in Bezug auf kirchliche Rechtsverletzungen enthalten“.  

Alle drei genannten, aber auch Schima-Igumen Sergij (Romanow) können das geistliche Amt verlieren. Und der Grund dafür besteht nicht nur in der Enttäuschung des Patriarchen über die erwähnten Geistlichen. In der Zeit der Pandemie wurde das Image der ROK stark untergraben. Jegliche Äußerungen, die nicht die offizielle Position des Moskauer Patriarchats wiedergeben, aber auch die verschiedenartigen Kirchenskandale treffen derzeit besonders den Ruf der Kirche, deren Stellung in der Gesellschaft ohnehin zu einer äußerst verwundbaren geworden ist. Daher hat man gerade jetzt im Moskauer Patriarchat aktiv angefangen, sich von anrüchigen Geistlichen zu trennen, um zumindest irgendwie das Gesicht zu wahren. Wobei die Gedanken und Meinungen sowie Taten der erwähnten Kleriker für die Kirchenhierarchen auch früher kein Geheimnis waren und schon lange die Öffentlichkeit in Aufruhr versetzten. 

Es muss gesagt werden, dass sich die Kirchenführung bei dieser Säuberung bemüht, eine Balance zu wahren: Man bestraft sowohl „liberale“ als auch ultrakonservative „Oppositionelle“. Während freilich dem „liberalen“ Andrej Kurajew die Ehre einer Bestrafung persönlich durch den Willen des Patriarchen zuteilwurde, sind dem Mönch und Konspirologen durch den Diözesen-Bischof Worte und Taten genommen worden.   

https://www.ng.ru/faith/2020-05-27/2_7871_religion.html